BAUCHSPEICHELDRÜSENKREBS: FRÜHE DIAGNOSE WICHTIG!
„Bauchspeicheldrüsenkrebs wird im nächsten Jahrzehnt hinter Lungenkrebs die zweithäufigste Todesursache unter den Krebserkrankungen sein“, sagen Ass.-Prof. PD Dr. Gerald Prager, Klinische Abteilung für Onkologie an der Medizinischen Universität Wien, und Mag. Michaela Hartenstein, SHG Pankreaskarzinom. Welche Faktoren spielen eine Rolle in der Entstehung der Erkrankung?
Prager: Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine eher seltene Erkrankung und für rund vier Prozent der soliden Tumorerkrankungen verantwortlich. Die Inzidenz ist allerdings mit ca. plus 50 Prozent in 20 Jahren im Steigen begriffen. Während wir bei den häufigsten Krebserkrankungen rückläufige Mortalitätsraten beobachten, so ist das beim Pankreaskarzinom umgekehrt. Beinahe jede Person, die diese Diagnose erhält, verstirbt daran. Allerdings gibt es durchwegs Fortschritte, z.B. durch die Weiterentwicklung medikamentöser Behandlungen und durch verbesserte Operationsmöglichkeiten in spezialisierten Zentren für Pankreaschirurgie. Neben Alkohol- und Nikotinkonsum gibt es auch einen Zusammenhang mit Diabetes mellitus. Vor allem scheint der kurzfristige starke Anstieg des Blutzuckerspiegels, wie das beim ausgiebigen Konsum von zuckerhältigen Getränken, sog. Soda-Drinks oder Smoothies, sowie übertriebenem Naschen der Fall ist, einen unterschätzten Risikofaktor darzustellen. Hier muss die Bauchspeicheldrüse gegenregulierend eingreifen, was nicht nur zum metabolischen Syndrom und zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch zu Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse führen kann. Ein weiterer Risikofaktor ist das Alter: Das Risiko steigt bei Menschen ab dem 60. bis 65. Lebensjahr, wobei wir leider auch zunehmend jüngere Personen behandeln müssen. Aufgrund des aggressiven Wachstums gibt es für die Allgemeinbevölkerung keine effiziente Vorsorgeuntersuchung. Einzig bei familiärer Häufung, wenn zwei oder mehr Angehörige ersten Grades an Pankreaskarzinomen erkrankt waren, bei speziellen genetischen Syndromen oder speziellen Bauchspeichelentzündungen, gibt es Empfehlungen einer engmaschigen Vorsorge.
Wie aggressiv diese Erkrankung ist, sieht man daran, dass trotz dieser engen Kontrolle alle sechs Monate manchmal auch dies nicht ausreichend ist.
Warum wird Bauchspeicheldrüsenkrebs oft so spät erkannt?
Prager: Die Diagnose erfolgt meist erst sehr spät, da die Erkrankung lange unbemerkt bleibt. Symptome wie unspezifische Rückenschmerzen werden zumeist falsch zugeordnet und zunächst z. B. orthopädisch abgeklärt. Man sollte aber gerade bei Rückenschmerzen oder unspezifischen Oberbauchschmerzen, bei denen eine symptomatische Therapie keine Besserung bringt, auch an die Bauchspeicheldrüse denken. Ein weiteres Symptom kann das schmerzlose Gelbwerden der
Haut, ein sogenannter Ikterus, sein. Der Großteil der Diagnosen wird allerdings erst zu einem Zeitpunkt gestellt – und das ist bei rund 80 Prozent der Patienten der Fall –, wenn eine chirurgische Entfernung des Tumors nicht mehr möglich oder sinnvoll ist.
Hartenstein: Mögliche Warnsignale wie unerklärlicher Gewichtsverlust bleiben oftmals ungehört. In der heutigen Gesellschaft ist es leider oft so, dass sich viele Menschen darüber freuen, wenn sie einfach einige Kilos verlieren, dass dies aber kein gutes Signal
ist, wenn damit nicht bewusst eine Ernährungs- oder Lifestyleänderung einhergeht, ist vielen nicht bewusst. Weitere Warnsignale können auch Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall, unspezifische Rückenschmerzen oder ein neu auftretender Diabetes sein. Ein Symptom alleine muss noch nichts bedeuten, wenn aber zwei oder mehr dieser Warnsignale auftreten, sollte ein hellhöriger Hausarzt auch die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs in Betracht ziehen und seinen Patienten zur Abklärung an ein Zentrum verweisen.
Welche Relevanz hat eine frühe Diagnose für den weiteren Verlauf der Erkrankung?
Prager: Nur eine Operation, also die Entfernung des Tumors, bietet die Chance auf Heilung, und dazu ist eine frühzeitige Diagnose essenziell. Ob der Tumor entfernt werden kann, ist nicht so sehr von seiner Größe abhängig, sondern von der Lage zu den großen Blutgefäßen. Die Bauchspeicheldrüse liegt im Bauchraum unmittelbar vor den großen Arterien, die die Blutversorgung von wichtigen Organen wie Magen, Milz und Zwölffingerdarm gewährleisten. Hat der Tumor Kontakt dazu, nimmt er viel Platz ein oder sind bereits Metastasen vorhanden, ist eine chirurgische Entfernung nicht möglich oder sinnvoll. Ist eine Operation möglich, wird danach prophylaktisch eine Chemotherapie verabreicht, allerdings liegt das Risiko eines Rezidivs bei rund 60 bis 90 Prozent. Im metastasierten Stadium haben wir derzeit sieben Medikamente zur Verfügung, die wir sequenziell in bis zu drei Therapielinien hintereinander verabreichen können – die Überlebensspanne wird dadurch signifikant verlängert und die akute Erkrankung kann oft in einen chronischen Zustand bei guter Lebensqualität überführt werden.
Herr Prof. Prager, was sind Ihre Kriterien für die Wahl der passenden Therapie eines Pankreaskarzinoms?
Prager: Neben der optimalen Medikation, spielen Faktoren wie der Allgemeinzustand des Patienten und seine Wünsche eine Rolle bei der Auswahl der Therapieoption. Als behandelnder Arzt erkläre ich meinem Patienten die unterschiedlichen Möglichkeiten und gemeinsam versuchen wir einen Weg zu finden, wie weiter vorgegangen wird und die Symptome bestmöglich behandelt werden können. Dazu muss auch gemeinsam mit dem Patienten das Therapieziel individuell definiert werden: Gibt es eine Chance, einen zunächst nicht operablen Tumor, wenn keine Metastasen vorhanden sind, in einen operablen umzuwandeln, oder ist das Ziel, die Krankheit stabil zu halten? Wird der Arzt im ersten Fall eine kurzzeitig aggressive Therapieoption anbieten, so ist dies im zweiten Fall oft nicht notwendig. In jedem Fall sollte die Therapie des Bauchspeicheldrüsenkarzinoms an einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden, um auf die gebündelte Expertise von Chirurgie, Onkologie, Radiologie und anderen relevanten Fachgruppen in Bezug auf diese seltene Erkrankung zugreifen zu können. Große Studien belegen, dass dadurch die Prognose deutlich besser ist.
Frau Mag. Hartenstein – was ist den Patienten in der Zeit nach der Diagnose besonders wichtig?
Hartenstein: Da der Krebs so lange unbemerkt bleibt, trifft die Diagnose die meisten Patienten völlig unvorbereitet. Betroffene und Angehörige sind plötzlich mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert, vieles, das bisher selbstverständlich war, muss nun neu überdacht werden. Ich habe dies selbst aus nächster Nähe miterlebt – meine Mutter ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt – und nach dem Schock der Diagnose hätte ich mir damals eine Anlaufstelle gewünscht, die Information und Unterstützung bietet. Das war auch meine Motivation, die Selbsthilfegruppe Pankreaskarzinom zu gründen, denn aus meiner Sicht sollte der Informationsbedarf optimalerweise von verschiedenen Seiten abgedeckt werden: Zum einen durch die erlernte Kompetenz des Behandlungsteams, zum anderen durch die erlebte Kompetenz einer Selbsthilfegruppe im Austausch mit anderen Betroffenen.
Welche Unterstützung bieten Sie über die Selbsthilfegruppe Pankreaskarzinom?
Hartenstein: Über unsere Webseite www.selbsthilfe-pankreas karzinom.at finden Interessierte Informationen zu allen krankheitsrelevanten Themen, die von unserem wissenschaftlichen
Beirat überprüft werden, klar verständlich, nützlich und objektiv sind. Dazu gibt es eine wöchentliche Telefonsprechstunde, bei der uns medizinische Experten unterstützen und auf individuelle Patientenfragen eingehen. Darüber hinaus organisieren wir Patientenund Angehörigenseminare zu erkrankungsrelevanten Themen und bieten zusätzlich allen Interessierten auch Onlinekurse an.
Der wichtigste Aspekt unserer Arbeit besteht darin, die Betroffenen und Angehörigen in dieser schweren Zeit aufzufangen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Oftmals ist es einfach wichtig zu wissen, dass jemand da ist, der sich ihrer Sorgen und Fragen annimmt – Dinge, die im Behandlungsalltag manchmal zu kurz kommen.
Wie wird sich die Behandlung des Pankreaskarzinoms in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiterentwickeln?
Prager: Wir bewegen uns immer mehr in Richtung Präzisionsmedizin. Dazu müssen von Beginn an bestimmte Marker bestimmt werden, damit vererbte oder erworbene Veränderungen in der Tumor-DNA bestimmt werden können und dadurch dem Patienten gezielt Medikamente, die über die Standardtherapie hinausgehen, angeboten werden. Damit noch mehr Veränderungen in der Tumor-DNA entdeckt werden, gegen die es bereits zielgerichtete Therapien gibt, benötigt es weitere Plattformen für molekulare Medizin, wie wir dies bereits am AKH Wien/MedUniWien haben. Andere neue Therapieansätze zielen darauf ab, die Interaktion zwischen Tumorstroma, dem Bindegewebe um den Tumor, den Tumorzellen und dem Immunsystem auszutricksen – hier laufen bereits Studien, derzeit stellen aber noch immer klassische Chemotherapien die wirksamste Therapie.