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Radiologie An der Medizinisc­hen Universitä­t Wien werden die geheimen Wege im Körper mit neuen technische­n Mitteln erforscht. Einblicke in die Systembiol­ogie.

Über welche Signalkett­en kommunizie­ren die Organe miteinande­r? An der Medizinisc­hen Universitä­t Wien werden in einem neuen Forschungs­feld mit Ganzkörper-Scans die Netzwerke im Körper untersucht.

- Gerlinde Felix

Bisher gingen Biologie und Medizin davon aus, dass das Verhalten eines Systems gleich der Summe der Teilfunkti­onen ist – ein Irrtum. Tatsächlic­h sind reale biologisch­e Systeme extrem komplex, arbeiten, etwa als Reaktion auf Reize, mit Signalkett­en. Diese Signalkett­en „fließen“nacheinand­er zu beteiligte­n Akteuren, die die Signale mit eigenen Botenstoff­en zum nächsten Schauplatz weiterleit­en und ihn beeinfluss­en. Der Körper ist ein dynamische­s System mit vielen internen Abhängigke­iten. Deshalb ist ein ganzheitli­cher Blick auf ihn nötig. Genau diesen ganzheitli­chen Blick planen Nuklearmed­iziner und Physiker der Medizinisc­hen Universitä­t Wien (MUW) mit dem neuen Forschungs­feld „Applied Systems Biology“. Diese Applied Systems Biology (i. e. Angewandte Systembiol­ogie) stellt die dynamische Kommunikat­ion über Signalkett­en zwischen Organen in den Mittelpunk­t: Wer plaudert mit wem im Körper und auf welchen Wegen? „Schlimme Krankheite­n, wie beispielsw­eise Krebs, manifestie­ren sich zumeist nicht nur in einem Organ. Es müssen also Signalwege im Spiel sein. Wenn wir sie kennen, können wir eingreifen“, sagt der Physiker Prof. Thomas Beyer vom Center for Medical Physics and Biomedical Engineerin­g an der MUW. Ziel ist es deshalb, Stoffwechs­elprozesse zu visualisie­ren und zu beobachten, um daraus Zusammenhä­nge abzuleiten. „Dadurch könnte es irgendwann möglich werden, anhand tumorspezi­fischer Stoffwechs­elprozesse die Bildung eines Tumors zu erkennen, bevor er sichtbar ist“, so Beyer. Den Forschern geht es aber nicht nur um Fragestell­ungen rund um Krebs: Warum haben depressive Menschen oder Menschen mit hohem emotionale­m Stress ein erhöhtes Herzinfark­trisiko? Warum und wie wirkt sich ein Herzinfark­t negativ aufs Gehirn aus? Warum verändert sich die Darmmikrob­iota, also die Gesamtheit der Darmbakter­ien, nach einem Schlaganfa­ll? Wenn Gewebe im Körper entzündung­sbedingt abstirbt – welche Signalwege springen dann an, und warum verschlimm­ern sich infolgedes­sen Infektione­n in anderen Organen? Warum kann eine Krebserkra­nkung dazu führen, dass Fett und Muskeln im Körper abgebaut werden?

Physik trifft Medizin

Mit der bisherigen wissenscha­ftlichen Herangehen­sweise sind diese Fragen nicht zu beantworte­n. Auch nicht jene der Kommunikat­ion der Darmbakter­ien-Gemeinscha­ft mit dem Gehirn. „Veränderun­gen im mikrobiell­en System im Darm haben über Signalkett­en Auswirkung­en auf andere Teile des Körpers“, sagt der Nuklearmed­iziner Marcus Hacker, Leiter der klinischen Abteilung für Nuklearmed­izin an der MUW. „Dieses Zusammensp­iel wollen wir künftig genauer erforschen, um besser zu verstehen, wie Krankheite­n entstehen, wie wir ihnen vorbeugen oder sie therapiere­n können.“Die Physik und die darauf basierende nuklearmed­izinische Bildgebung aus der Positronen­emissionst­omografie (PET), kombiniert mit einem Computerto­mografen (CT), spielt eine wichtige Rolle in der Diagnostik – nicht nur in der Krebsmediz­in, sondern auch in der Kardiologi­e und Neurologie. Aufgrund der Kombinatio­n von PET und CT spricht man von einem Hybridbild­gebungsver­fahren. Das CT misst die Abschwächu­ng der Röntgenstr­ahlung im Körper und kann

anhand dessen anatomisch­e bzw. morphologi­sche Zusammenhä­nge exakt darstellen. Die PET untersucht dagegen den Stoffwechs­el der Körpergewe­be mittels zuvor injizierte­r radioaktiv markierter Substanzen (sog. Tracer) wie zum Beispiel Glukose. Sie werden auf natürliche­m Wege verstoffwe­chselt, während ihre radioaktiv­e Markierung schnell zerfällt. Da Krebszelle­n wegen ihres erhöhten Energiebed­arfs mehr Glukose verbrauche­n als gesunde Zellen, reichern sich vermehrt mit Flour-18 markierte Glukosemol­eküle in ihnen an. Trifft ein beim radioaktiv­en Zerfall frei werdendes energierei­ches Positron auf ein freies Elektron, werden zwei messbare Photonen (Gammastrah­lung) freigesetz­t. Diese Strahlung trifft gleichzeit­ig zwei Detektoren im ringförmig­en PET-Scanner. Dadurch kann auf rechnerisc­hem Wege der Ursprung der Strahlung rekonstrui­ert werden.

Geheime Verbindung­en aufdecken

So entsteht eine 3D-Karte der Zellen, die das radioaktiv markierte Molekül verstoffwe­chseln. Die gefräßigen Krebszelle­n heben sich als leuchtende Punkte vom unauffälli­gen Hintergrun­d ab, den die normalen Zellen bilden. Ein einzelner PET-Ring ist ca. 25 Zentimeter breit. Deshalb muss der Körper bisher stufenweis­e gescannt werden. Der zu untersuche­nde Körperbere­ich wird durch schrittwei­se Bewegung des Tisches schichtwei­se durchleuch­tet. Durchschni­ttlich dauert das rund 20 Minuten, wobei die unterschie­dlichen Organe wie Hirn und Herz oder Hirn und Darm nicht gleichzeit­ig erfasst werden. Ein derartiges System ist für den neuen Ansatz der Applied Systems Biology ungeeignet. Durch die zusätzlich­e Verwendung eines kontinuier­lichen Tischvorsc­hubs während der Untersuchu­ng, können in modernen PET/CT-Systemen Patienten ähnlich einer Untersuchu­ng in einem Spiral-CT durch die Röhre geschoben werden. Die Röntgenröh­re umkreist den Patienten entlang seiner Längsachse, der PET-Ring bleibt stationär, aber der Patient bewegt sich kontinuier­lich vorwärts. Diese Systeme erlauben eine optimierte Akquisitio­n und vielfach eine verbessert­e Kontrastda­rstellung. Außerdem wird der zu untersuche­nde Bereich nicht nur schichtwei­se, sondern als Ganzes aufgenomme­n. Mit diesem Gerät ist die Darstellun­g von Signalkett­en im ganzen Körper bereits eingeschrä­nkt möglich. Das geplante Forschungs­feld wird die Vorarbeite­n für einen sogenannte­n Ganzkörper-PET-Scanner leisten, ein Quantenspr­ung in der medizinisc­hen Bildgebung. Und den haben kalifornis­che Biomedizin-Ingenieure nun vollzogen. In den letzten zwei Jahren haben sie für die in Schanghai ansässige Firma United Imaging einen modifizier­ten PET-Scanner gebaut. Sie haben acht einzelne PET-Scanner in optimaler Weise zu einer zwei Meter langen Röhre zusammenge­setzt. Die einzelnen Detektoren­kristalle sind so bearbeitet und so klein, dass die Bildqualit­ät und das Auflösungs­vermögen weiter verbessert sind. Die zwei bis dato weltweit einzigen Exemplare in den USA und Schanghai werden aktuell evaluiert. „Die ersten Daten suggeriere­n, dass sie sehr gut funktionie­ren“, sagt Thomas Beyer. Was ist nun das Besondere? Der modifizier­te PET-Scanner macht Ganzkörper­scans in wenigen Sekunden möglich. Die Patienten werden nur einmal auf der Liege in die Röhre hineinbewe­gt und innerhalb kürzester Zeit gescannt.

Strahlen in homöopathi­schen Dosen

„Der neue PET-Scanner ist mit gerade einmal 20 Sekunden Zeitaufwan­d viel schneller als konvention­elle PET-Scanner mit ihren 20-Minuten-Scans“, erzählt Beyer. „Es ist zudem nur ein Vierzigste­l der bisherigen Strahlendo­sis nötig, was fast schon im homöopathi­schen Bereich liegt.“Für Forschungs­zwecke ist deshalb die länger dauernde Darstellun­g von Zeitverläu­fen, das heißt die Ausbreitun­g von Signalstof­fen, bei minimaler Strahlendo­sis möglich. „Der Patient kann länger in der Röhre bleiben, sodass der Weg von radioaktiv markiertem Zucker durch den Körper direkt verfolgbar ist. Wir können zuschauen, wie er sich ausbreitet“, erzählt Beyer. „Diese Verlaufsda­rstellunge­n sind Voraussetz­ung für die Beobachtun­g der Interaktio­n zwischen räumlich entfernten Organen und der simultanen Erfassung von Signalkett­en im Körper. Der Nuklearmed­iziner Marcus Hacker sieht noch einen weiteren Vorteil der geringen Strahlendo­sis: „Das Verfahren könnte in Zukunft auch für ein Patientens­creening im Zusammenha­ng mit Arterioskl­erose und Alzheimer geeignet sein.“Je nachdem, welche Untersuchu­ng durchgefüh­rt wird, sind unterschie­dliche Tracer einsetzbar. Neue Varianten bei den Zucker-Tracern ermögliche­n es sogar, bei einer bakteriell­en Infektion den Infektions­herd genau zu ermitteln. Diese Tracer werden nämlich von Bakterien, aber nicht von den Körperzell­en selbst aufgenomme­n. „Durch die Auswahl mehrerer Tracer wäre es möglich, die Vernetzung von Signalwege­n besser zu verstehen“, sagt Hacker. Mit dem Ganzkörper-PET-Scanner ließe sich vielleicht auch der Nachweis führen, wie wirksam die Traditione­lle Chinesisch­e Medizin (TCM) ist. „Man könnte an den Akupunktur­triggerpun­kten sowie an Placebopun­kten kleine Schmerzsig­nale setzen und beobachten, wie sich das Ganze auf das Gehirn auswirkt“, erzählt Beyer. „Das Ganzkörper-PET/CT ist ein enormer Fortschrit­t, der uns einen einmaligen Blick auf die Vernetzung innerhalb unserer Körperhüll­e bietet und neue Erkenntnis­se ermöglicht.“Letztendli­ch wird das zu neuen Therapiean­sätzen führen und somit einen direkten Einfluss

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Die Röhre für den Ganzkörper­Scan ist besonders lang. Es werden mehrere Untersuchu­ngen gleichzeit­ig durchgefüh­rt und die Bilder danach ausgewerte­t.
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Foto: UC Davis Health Mit einer Kombinatio­n aus PET und CT lässt sich in einem Total-Body-Scan zeigen, wie sich Substanzen im Körper verteilen.

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