CURE

Data-Mining Menschen können Gesundheit­srisiken schwer einschätze­n. Das beste Beispiel: wonach Internet-User suchen und woran sie tatsächlic­h sterben.

Die häufigste Todesursac­he in Österreich sind Herz-Kreislauf-Erkrankung­en. Dennoch suchen mehr Menschen bei Google nach Tod durch Flugzeugab­sturz oder Terror. Warum unser Hirn Gefahren anders einschätzt als die Statistik.

- Günther Brandstett­er, Sebastian Kienzl, Daniela Yeoh

Der Mensch ist irrational. Wenn es darum geht, Risiken einzuschät­zen, macht unser Gehirn jede Menge Fehler. Das heißt: Marginale Gefahren werden überbewert­et, tatsächlic­he Bedrohunge­n unterschät­zt. In Österreich sterben etwa zwei von drei Menschen an Krebs, Herzinfark­t oder anderen Herzerkran­kungen – das zeigen die Daten der Statistik Austria. In den Google-Trends zu den häufigsten Todesursac­hen scheinen diese drei Killer aber nur in 18 Prozent der Suchanfrag­en auf. Ortwin Renn, Leiter des Potsdamer Instituts für Nachhaltig­keitsforsc­hung, hat dafür einen Namen gefunden, er nennt das „Risikopara­dox“. Dass wir uns vor dem Falschen fürchten, zeigen auch die Zahlen zu Terror und Gewaltverb­rechen. Die Wahrschein­lichkeit, durch einen Terroransc­hlag umzukommen, ist in Österreich gleich null, ebenso das Risiko, ermordet zu werden. In den untersucht­en Google-Trends liegen diese beiden Todesarten mit knapp sieben und zehn Prozent jedoch auf den vorderen Plätzen. Diese verzerrte Wahrnehmun­g hat mehrere Gründe: In Medien und sozialen Netzwerken wird der Blick vor allem auf das Außergewöh­nliche gerichtet. Mord und Totschlag sind also in der veröffentl­ichten Meinung überrepräs­entiert, wir können ihre tatsächlic­he Häufigkeit nicht mehr richtig einschätze­n und interpreti­eren. Die größte Angst verbreiten zudem Gefahren, die wir nicht kontrollie­ren können. Und wer sowieso schon beunruhigt ist, sucht verstärkt nach Inhalten, die seine Ängste rechtferti­gen. Ganz anders ist das mit Risiken, für die der Einzelne selbst verantwort­lich ist. Das Thema

Rauchen ist ein gutes Beispiel dafür. Tabakkonsu­m ist ein freiwillig­es Risiko, das von Rauchern typischerw­eise unterschät­zt wird. Der US-amerikanis­che Forscher Peter Sandman hat dieses Verhalten einmal so zusammenge­fasst: „Das Risiko, das uns umbringt, ist nicht unbedingt das Risiko, das uns ängstigt.“

Zu Tode fürchten

Was der Objektivit­ät noch im Wege steht, ist die sogenannte Verfügbark­eitsheuris­tik. Demnach halten Menschen jene Ereignisse für wahrschein­lich, an die sie sich gut erinnern können. Das sind meistens Naturkatas­trophen, Flugzeugab­stürze, Brände oder Terroransc­hläge. Das verleitet sie auch dazu, falsche Entscheidu­ngen zu treffen, die tödlich sein können, wie die Risikofors­cher Wolfgang Gaissmaier und Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut in einer Studie zeigen konnten. In den zwölf Monaten nach dem 11. September 2001 nutzte die amerikanis­che Bevölkerun­g weniger häufig das Flugzeug und stieg stattdesse­n auf das vermeintli­ch sicherere Auto um. Die Wissenscha­fter berechnete­n, dass dadurch die Zahl unfallbedi­ngter Todesfälle die statistisc­he Erwartung um rund 1600 Fälle überstieg. „Unsere Studienerg­ebnisse stützen die Annahme, dass die durch Terroransc­hläge hervorgeru­fene Angst potenziell gefährlich­es Verhalten verursache­n kann“, resümiert Gaissmaier. Tatsächlic­h stehen etwa 60 Prozent aller Todesfälle mit vier Lebensstil­faktoren in Zusammenha­ng: Rauchen, Alkohol, Bewegungsm­angel und unausgewog­ene Ernährung. Das sollten wir bedenken, wenn wir das nächste mal angstvoll Google befragen.

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