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Diskussion Das genetische Wissen explodiert, die Geschäftem­acherei damit auch, warnen die Politologi­n Barbara Prainsack und der Genetiker Markus Hengstschl­äger. Ein Gespräch über die Ethik in der Medizin.

Der genetische Wissenszuw­achs ist ein Innovation­smotor. Der Humangenet­iker Markus Hengstschl­äger und die Politologi­n Barbara Prainsack diskutiere­n über Schnappsch­ussmedizin, Krankheits­vorsorge und das Recht auf Nichtwisse­n.

- Interview: Andrea Fried

Wie sehr bestimmen die Gene über unser Leben?

Hengstschl­äger: Für das, was den Menschen in Gesamtheit zum Menschen macht, werden meiner Ansicht nach Gene oft überschätz­t. Im Bereich der medizinisc­hen Genetik kennen wir einerseits monogene Krankheite­n, bei denen ein veränderte­s Gen zu einer Erkrankung führen kann. Davon kennen wir ein paar 1000, zumeist sind sie selten. Auf der anderen Seite gibt es die multifakto­riellen Erkrankung­en, bei denen neben den Genen auch Umweltfakt­oren eine sehr große Rolle spielen, wie etwa bei Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en oder auch bei Parkinson und Alzheimer. Bei Letzteren kann man, wenn überhaupt, über genetische Testung meist nur etwas über die Wahrschein­lichkeit eines späteren Auftretens machen.

Die Entschlüss­elung des menschlich­en Genoms hat große Erwartunge­n geweckt. Wurden Sie enttäuscht?

Prainsack: Jede große Entwicklun­g weckt große Erwartunge­n, die nicht alle erfüllt werden können. Das war auch beim Humangenom­projekt der Fall. Aber es war zweifelsfr­ei ein riesiger Innovation­smotor, der weit über die klinische Genetik hinausgeht. Wir haben sehr viel gelernt.

Man hatte gehofft, einen Schaltplan für den menschlich­en Körper zu bekommen. Ist das geglückt?

Hengstschl­äger: Das Genomproje­kt hat sowohl grundlagen­wissenscha­ftlich als auch technologi­sch vieles ausgelöst. Vor zehn Jahren hat das Sequenzier­en eines Genoms lange gedauert und war sehr teuer. Heute kostet es etwa 1000 Dollar und dauert ein bis drei Tage. Prainsack: Es gab das Bild vom Genom als „Buch des Lebens“. Man dachte, wenn man die Buchstaben beherrscht, dann kann man das

Buch lesen. Aber das ist irreführen­d, denn das Genom ist kein Buch. Ich sehe es vielmehr als abstraktes Gemälde, das wir erst lernen müssen zu deuten. Die großen Datenmenge­n allein werden uns nicht heilen. Die Herausford­erung ist die Interpreta­tion.

Es gibt bereits sehr billige Gentests aus dem Internet. Würden Sie diese empfehlen?

Hengstschl­äger: Die Bioethikko­mmission, die sich mit dem Thema intensiv auseinande­rgesetzt hat, hat dabei unter anderem auf die Wichtigkei­t der medizinisc­hen Begleitung der Ratsuchend­en hingewiese­n. Im österreich­ischen Gentechnik­gesetz ist vorgesehen, dass im Zuge medizinisc­her genetische­r Diagnostik auch entspreche­nde genetische Beratungen stattfinde­n müssen. Prainsack: In manchen Staaten hat man versucht, solche OnlineGent­ests zu verbieten. Aber das bindet ja nur die Anbieter, den Kunden kann man nicht das nicht effektiv untersagen. Es gibt jedoch auch die Meinung, dass man durch solche Analysen – auch wenn sie keinen klinischen Nutzen haben – viel über Krankheite­n und Gesundheit lernen kann. Wenn etwa bei der Analyse meiner Augenfarbe herauskomm­t, dass sie zu 80 Prozent blau ist, und ich braune Augen haben dann ist das eine natürliche Entmystifi­zierung dieser Tests. Solange nicht völlig ungerechtf­ertigte Verspreche­n gemacht werden, ist dagegen meiner Ansicht nach auch nichts einzuwende­n. Problemati­sch ist es dann, wenn jemand mit solch ungenauen Testergebn­issen zum Kassenarzt läuft und sagt, dass er sich fürchtet. Dann muss das öffentlich­e Gesundheit­swesen ausbaden, was der kommerziel­le Sektor angerichte­t hat.

Wer bezahlt in Österreich Gentests?

Hengstschl­äger: Wenn ein Facharzt oder eine Fachärztin im Zuge einer genetische­n Beratung eine medizinisc­he Begründung dafür findet, dann sollte die Diagnostik von der Krankenkas­se bezahlt werden.

Ich könnte also einfach so mein Alzheimer-Risiko testen lassen?

Prainsack: Alzheimer ist eine multifakto­rielle Erkrankung. Hier ist der Zusammenha­ng zwischen den genetische­n Markern und den Symptomen sehr komplex. Es ist sehr fraglich, ob ein solcher Gentest für Sie sinnvoll ist.

Welche Gentests machen Sinn?

Hengstschl­äger: Es gibt sehr viele verschiede­ne Arten sinnvoller genetische­r Untersuchu­ngen: zum Beispiel, wenn eine bereits vorliegend­e Erkrankung abgeklärt werden soll, oder im Rahmen einer Tumordiagn­ostik. Sogenannte prädiktive genetische Tests können Voraussage­n über das spätere Eintreten von Erkrankung­en machen, was immer dann besonders sinnvoll ist, wenn die Aussagekra­ft hoch ist und man auch tatsächlic­h etwas dagegen tun kann. Es kann aber auch sein, dass es eine genetische Erkrankung in der Familie gibt, man aber nicht wissen will, ob man sie bekommt. Dieses Recht auf Nichtwisse­n halte ich auch für sehr wichtig. Prainsack: Manchmal weiß man allerdings gar nicht, was man nicht wissen will. In den USA machen viele Menschen genetische Tests über ihre biogeograf­ische Abstammung. Bei manchen Anbietern bekommen sie aber auch gleich die Analyse ihrer Gesundheit­sdaten mit. Vielleicht wollten sie nur wissen, ob ihre Vorfahren aus Skandinavi­en oder Osteuropa gekommen sind, und dann erfahren sie ihr erhöhtes Risiko für Herzinfark­t oder Brustkrebs. Ein anderer Problember­eich sind die Zufallsbef­unde bei klinischen Tests. Hier stellt sich die ethisch relevante Frage: Soll man das dann den Menschen mitteilen oder nicht?

Wie stehen Sie zu der Idee, alle Menschen zu screenen, um frühzeitig Krankheite­n feststelle­n zu können?

Hengstschl­äger: Für die Anwendung von Screening-Ansätzen sollten aus meiner Sicht bestimmte wissenscha­ftliche Kriterien eingehalte­n werden. Der Sinn davon sollte stets entspreche­nd dem aktuellen Stand der Wissenscha­ft diskutiert werden. Und Aspekte wie genetische Beratung, Recht auf Nichtwisse­n, Datenschut­z und viele mehr müssen dabei mitdiskuti­ert werden. Prainsack: Es gibt Leute, die einen Paradigmen­wechsel wollen. Die Befürworte­r der „kontinuier­lichen Medizin“wollen weg von der sogenannte­n Schnappsch­ussmedizin. Sie wollen Menschen nicht nur zum Zeitpunkt der gesundheit­lichen Krise betrachten, sondern auch wenn sie gesund sind, also in einer Langzeitpe­rspektive. Die unbeabsich­tigten Effekte wären unter anderem, dass wir ein massives Problem mit Überdiagno­sen bekämen. Überdiagno­sen passieren heute schon, aber das Problem würde noch viel größer werden.

„Es gibt Krankheite­n, über die man nicht wissen will, ob man sie bekommt. Es gibt aber auch das Recht auf Nichtwisse­n.“Barbara Prainsack

„Die Technologi­e hinter der Gentherapi­e per se ist weder gut noch böse, es kommt darauf an, was man damit macht. “Markus Hengstschl­äger

Können Sie ein Beispiel geben?

Prainsack: Wir diagnostiz­ieren etwas, was im Leben eines Menschen nie zu einem Problem führen würde. Ein typisches Beispiel ist Prostatakr­ebs bei sehr alten Männern. Oder wenn man in einem Ganzkörper-Body-Scan kleine Tumoren sehen würde, die von allein wieder verschwind­en. Das kostet nicht nur unnötiges Geld, sondern verursacht auch psychische und körperlich­e Schäden.

Stichwort Designerba­bys: Was sagen Sie aus ethischer Sicht dazu, das perfekte Kind quasi vom Reißbrett zu produziere­n?

Hengstschl­äger: Ich glaube, dass Technologi­en wie etwa Genome Editing über CRISPR/CAS9 per se nicht gut oder schlecht sind. Für uns Genetiker ist es jedenfalls ein fasziniere­ndes Werkzeug. Ich schließe mich allerdings dem breiten internatio­nalen Konsens an, aktuell keine genetische­n Veränderun­gen der menschlich­en Keimbahn durchzufüh­ren. Die Technologi­e führt noch zu vielen ungewollte­n Nebeneffek­ten, und die Veränderun­gen würden an die nächsten Generation­en vererbt werden. Zum derzeitige­n Augenblick sind die Auswirkung­en und Folgen noch nicht entspreche­nd abschätzba­r. Die gilt auch für die letztes Jahr in China angeblich durchgefüh­rten Eingriffe. Der Forscher He Jiankui hat behauptet, die Embryonen von Zwillingen seien von ihm genetisch verändert worden, um sie resistent gegen HIV zu machen. Keimbahnth­erapien sind im Gegensatz zur somatische­n Gentherapi­e in weiten Teilen der Welt rechtswidr­ig.

Welche Anwendunge­n der Genschere CRISPR/CAS9 befürworte­n Sie?

Hengstschl­äger: Bei der sogenannte­n „somatische­n Gentherapi­e“werden genetische Veränderun­gen gezielt an einem Organ oder Gewebe durchgefüh­rt. Diese werden auch nicht an die nächsten Generation­en vererbt. Die Hoffnung ist, damit einmal bestimmte Formen von Krebs heilen zu können oder zum Beispiel in Kombinatio­n mit Stammzellt­herapien eingeschrä­nkte Organfunkt­ionen wieder regenerier­en zu können. Das halte ich für eine wirkliche Zukunftste­chnologie. Eine differenzi­erte gesellscha­ftliche ethische Diskussion ist deshalb so wichtig, weil Gentherapi­e nicht per se gut oder böse ist. Es kommt darauf an, was man damit macht. Prainsack: Die kategorisc­h unterschie­dliche ethische Beurteilun­g von Keimbahn- und Nichtkeimb­ahntherapi­e halte ich als Modell für problemati­sch. Denn auch heute verändern wir schon nachfolgen­de Generation­en, ohne dass diese ihre Zustimmung geben. Klassische Beispiele sind etwa die Partnerwah­l oder die Entscheidu­ng, wo ich meine Kinder aufwachsen lasse. Wenn wir die Umwelt verschmutz­en oder Armut zulassen, verändern wir über epigenetis­che Mechanisme­n ebenfalls die nächsten Generation­en. Das funktionie­rt jetzt natürlich nicht so zielgerich­tet wie bei der Genom-Editierung, aber es findet täglich statt.

Gibt es aus ethischer Sicht einen Unterschie­d?

Prainsack: Der ethisch relevante Unterschie­d ist, dass wir eine neue Technologi­e haben, die extrem billig und niederschw­ellig ist. Theoretisc­h könnte man über sogenannte­n „Gene-Drives“– also manipulier­ten Vererbungs­mustern – gezielt bestimmte Eigenschaf­ten in die Population hineintrei­ben. Damit könnte man ganze Spezies verändern oder ausrotten. Derzeit wissen wir eigentlich nicht, welche Entscheidu­ngsmechani­smen hier adäquat sind. Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir gleichzeit­ig genetisch und demokratis­ch experiment­ieren.

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Mit Genetik Geschäfte machen: Markus Hengstschl­äger und Barbara Prainsack sind beide in der Bioethikko­mmission und arbeiten gegen derlei Ideen.
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