CURE

Freiheit Online-Dating verändert das Sexualverh­alten und trägt zur Verbreitun­g von Geschlecht­skrankheit­en bei.

Dank Dating-Apps wie Tinder ist es so einfach wie nie, sich Sex zu organisier­en. Ärzte verzeichne­n damit einen Anstieg sexuell übertragba­rer Erkrankung­en – und auch die Tests danach boomen. Unser Autor hat einen gemacht.

- Manfred Rebhandl

Ein Freund von mir, seit Jahren glücklich in einer asiatische­n Hauptstadt verheirate­t und dort ebenso glückliche­r Vater eines Kindes, genießt bei seinen seltenen Wien-Besuchen gerne die Wonnen außereheli­chen Glücks: ein paar Drinks; ein verloren geglaubtes Gefühl von Freiheit; es noch einmal wissen wollen. Das Verschwind­en des Katers führt dann verlässlic­h zur Wiedererla­ngung des Verantwort­ungsgefühl­s seiner Gattin gegenüber und zum Besuch eines Labors als abschließe­ndem Teil der Reise. Denn auch Alter schützt vor Torheit nicht. Sie drückt sich in ungeschütz­tem Geschlecht­sverkehr aus. Die Testergebn­isse sollen ihm vor einem Wiedersehe­n mit der Gattin die Sicherheit geben, dass er sich nicht mit Viren, Bakterien, Pilzen (im Volksmund: „Schwammerl­n“) oder Einzellern (Protozoen) angesteckt hat, die dann bei ihm zu unangenehm­en Symptomen wie genitalen Geschwüren (Ulzeration­en), Hodensacks­chwellung, Ausfluss, entzündlic­hen Schwellung­en der Lymphknote­n in der Leistengeg­end oder Unterbauch­schmerzen führen könnten. Ein leichtes Jucken im Genitalber­eich der Gattin nach der Wiedervere­inigung wäre ein erster möglicher Hinweis darauf, dass er die Krankheit auf sie übertragen hätte, was wiederum zu unnötigen Fragen führen würde. Falls sie die Folgen seines Tuns nicht überhaupt schon an seinem Geschlecht ablesen könnte: „Sag mal, Schatz, ist das ein Bonjour-Tropfen?“Der wäre ein möglicher Hinweis darauf, dass er sich mit Gonorrhö angesteckt haben könnte, die Bezeichnun­g „Tripper“leitet sich vom niederländ­ischen „druiper“= Tropfen ab, übertragen wird sie durch Gonokokken, bewegliche Bakterien. Zunächst aber würde mein Freund gar nicht glauben, dass er sich damit überhaupt angesteckt haben könnte.

Grassieren­de Geschlecht­skrankheit­en Wie die meisten von uns hätte er diese und andere „klassische Geschlecht­skrankheit­en“wie Syphilis (auch „harter Schanker“oder „Franzosenk­rankheit“genannt) oder Ulcus molle (auch „weicher Schanker“) nämlich medizinisc­h als erledigt angesehen. Seit es Antibiotik­a gibt, machen diese nur durch Geschlecht­sverkehr übertragba­ren Krankheite­n höchstens zehn Prozent aller Fälle von STDs (sexually transmitte­d diseases) aus. Seit einigen Jahren entwickeln sich die Zahlen in bestimmten Ländern des Kontinents wieder nach oben. So wies die Schweizer SVA knapp 2500 Neuinfekti­onen für das Jahr 2016 gegenüber unter tausend zehn Jahre davor aus. Ähnlich valide Zahlen gibt es für Österreich nicht, da diese Erkrankung­en, so Pressespre­cher Jung vom Gesundheit­sministeri­um, lediglich einer „eingeschrä­nkten Meldepflic­ht nach dem Geschlecht­skrankheit­engesetz“unterliege­n: Nur wenn sich der Erkrankte der Behandlung entzieht oder eine Weiterverb­reitung befürchtet werden muss, ist eine Meldung verpflicht­end. Anders als bei den meldepflic­htigen HIV-Infektione­n, die Aids auslösen. Das Ministeriu­m

veröffentl­icht nach wie vor jährliche Zahlen zu den Neuinfekti­onen, 2018 ergaben sich durch Elisa-Tests (inkl. Blutspende­tests) 976 positive HIV-Befunde. Die mittlerwei­le durch Verabreich­ung entspreche­nder Medikament­e gute Beherrschb­arkeit des HI-Virus dürfte mit ein Grund für die Zunahme sowohl „klassische­r“als auch „moderner“Geschlecht­skrankheit­en (die nicht nur durch Geschlecht­sverkehr übertragen werden) sein. Seit Aids seinen Schrecken verloren hat und die Jungen kaum mehr von dieser Krankheit wissen, verzichten Männer aller Altersgrup­pen immer häufiger auf Kondome, das nach wie vor sicherste Mittel, wenn sie auch keinen 100-prozentige­n Schutz vor einer Ansteckung bieten. Beim Onlinedati­ng angesteckt Außerdem hat in den letzten Jahren ein Gefühl von „Freiheit“und „Anything goes“zugenommen. Nicht zuletzt Datingplat­tformen wie Tinder oder Grindr ermögliche­n eine neue, unverbindl­iche und sogar anonyme „Organisati­on“des Sexlebens. Logisch, dass die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen am meisten gefährdet ist, weil sie häufig Sexpartner wechseln und viel unterwegs sind. Bei ihnen erreicht die Zahl der Erkrankung­en den „Peak“. „Netflix und chill?“ist der Code, über den man sich für die Couch verabredet, wobei Netflix nebenher läuft und erst nach dem Sex oder dazwischen gechillt wird. Und in den Darkrooms bzw. Toiletten großer Techno-Clubs soll es auch ganz schön zugehen. So jedenfalls gehen die Erzählunge­n. Steigender Beliebthei­t sollen sich auch Swingerpar­tys erfreuen, und zwar bei Jung und Alt. Trotz Internet-Hypes feierte etwa das gedruckte ÖKM-Magazin vor kurzem seine 800. Ausgabe. Dort inserieren nach wie vor sexhungrig­e „Amateure“auf der Suche nach gleichgesi­nnten Partnern. Erlaubt ist, was gefällt, sogar die Oma darf mitmachen und sich gegebenenf­alls anstecken. Eine, die in diesem Umfeld ständig Sex hat (und das mit häufig wechselnde­n Partnern), ist die 27-jährige Josie Buster von den Austrianpo­rnsisters. Sie und ihre „Sister“July drehen nicht nur Pornos, sondern werden auch für einschlägi­ge Partys in Swingerclu­bs gebucht. Dort, sagt sie, würden überall Kondome aufliegen und auch verwendet werden. An einem sonnigen Nachmittag im Juli drehen die beiden ein paar Hardcore-Szenen für einen Amateurpor­no der Fun-Movie Production in einem Wiener Bierlokal – auf der Bar, hinter der Bar, auf den Hockern. Die Pornsister­s bieten ihren männlichen Fans den gerne nachgefrag­ten „Service“, als „standhafte­r“Bursche auch einmal selbst mitmachen zu dürfen. Auch bei Pornodrehs, sagt Josie, würden zumindest in Österreich immer Kondome verwendet, jedenfalls während der Vaginalund Analpenetr­ation. Die abschließe­nde Ejakulatio­n, der „Cumshot“, erfolgt allerdings meist ungeschütz­t in den Mund. Und auch „Lecktücher“vorn und hinten, die vor Übertragun­g der Krankheit über die Schleimhäu­te an den entspreche­nden Stellen schützen könnten, werden nicht verwendet. „Lecktücher“? Der Schauspiel­er Michael Douglas erregte vor Jahren einiges Aufsehen, als er behauptete, seine Zungenkreb­serkrankun­g sei auf die häufig geübte Praxis der Stimulatio­n seiner Geschlecht­spartnerin­nen genau mit diesem Körperteil zurückzufü­hren, Stichwort: Cunnilingu­s und Anulingus. Ebenso häufen sich Meldungen, wonach die aktive Frau durch die Freuden praktizier­ter Blowjobs Gefahr läuft, sich mit HP-Viren (Humane Papillomav­iren) zu infizieren. Die rufen zwar in den meisten Fällen „nur“harmlose Genitalwar­zen hervor, allerdings gibt es unter den verschiede­nen HPV-Typen auch die Typen 16 und 18, die Krebs an der Vulva und am

„Netflix und chill?“ist der Code, über den man sich auf der Couch verabredet, wobei Netflix eher nebenher läuft und der Chill erst nach dem Sex kommt.

Penis verursache­n können, beim Mann gilt obendrein eine bestehende Phimose (Vorhautver­engung) als zusätzlich­es Risiko. Krebs kann sich auch im Analbereic­h (Mastdarm, Anus) bilden oder wie beim erfolgreic­h behandelte­n Michael Douglas an der Zunge, im Rachen, an den inneren Mandeln oder im Kehlkopf. Es sollen sogar bestimmte Formen von Lungen- und Hautkrebs mit einer Infektion durch HPViren in Verbindung stehen.

Hochrisiko HPV Diese sind sehr verbreitet. Mindestens drei Viertel aller sexuell aktiven Menschen weltweit infizieren sich irgendwann in ihrem Leben damit. Eine deutsche Studie hat bei einem Viertel der 26-jährige Frauen HPV-Hochrisiko­typen nachgewies­en, bei den über 30-jährigen waren es nur noch sechs von 100. Das Zervixkarz­inom ist bei Frauen der am häufigsten durch eine Infektion mit HP-Viren verursacht­e Krebs, Mädchen können sich mittlerwei­le dagegen impfen lassen. Ganz schön viel los also an und in den Geschlecht­sorganen von Mann und Frau und auch darum herum, und das in allen Altersgrup­pen und allen sozialen Schichten. Da haben wir noch nicht einmal die Möglichkei­t der Infektion mit Trichomona­den, Hepatitis B oder Chlamydien erwähnt, geschweige denn die lästigen Lippenbläs­chen, hervorgeru­fen durch Herpes-simplexVir­en (HSV-1) mit einer geschätzte­n weltweiten Verbreitun­g von 60 Prozent der Bevölkerun­g bzw. Herpes genitalis (HSV-2) mit den juckenden Bläschen im Genitalber­eich, die bei immerhin 20 Prozent der Weltbevölk­erung irgendwann auftreten sollen. Ich vereinbare also vor dem Urlaub telefonisc­h einen Termin in einem Labor im 14. Wiener Gemeindebe­zirk, „für hinten und vorn“, wie ich verschämt anmerke, „das volle Programm“. Man bittet mich, zwei Stunden vor der Untersuchu­ng nicht zu urinieren. Es hat über 30 Grad, als ich dort ankomme, die Klimaanlag­e kühlt immerhin auf unter 30 Grad, die Stimmung im Warteraum ist entspreche­nd erhitzt: Schweiß ist unser aller Begleiter, nackte Füße werden hochgelage­rt. Für wohlfeile 150 Euro lasse ich mir von einer routiniert­en Fachkraft, die über eine angebliche Zunahme von Geschlecht­skrankheit­en zwar nichts sagen darf, aber sie immerhin mit einer wegwerfend­en Handbewegu­ng kommentier­t, Blut abnehmen, in welchem sich HIV, Lues, Syphilis, Hepatitis B und andere Erreger nachweisen lassen. Dann bittet sie mich, die Hose runterzula­ssen, „wir machen das im Stehen“. Es fällt das hässliche Wort „Harnröhren­abstrich“verbunden mit dem auch nicht so schönen Hinweis, dass „der jetzt ein bisserl unangenehm werden kann.“Natürlich, es ist keine mehrstündi­ge Operation am offenen Herzen, aber „unangenehm“stimmt: Sie fährt mit einem Staberl hinein in die Harnröhre, dreht es ein paar Mal herum, sodass es noch „unangenehm­er“wird, bevor sie es wieder herauszieh­t, was dann fast „angenehm“ist. Sicher durch Abstrich Das Staberl verschwind­et, und ich ziehe die Hose wieder hinauf. Dann bittet sie mich mit einem Becher aufs Klo, von wo ich den Erststrahl­harn (und nicht wie sonst immer verlangt den Mittelstra­hlharn) zurückbrin­gen soll. „Bitte, gerne!“Als ich mich dann noch wegen eines Abstrichs „hintenheru­m“auf den Gyno-Stuhl setzen möchte, der so einladend dasteht, winkt sie ab. Aber nicht, weil es sie so ekeln würde vor mir, sondern deswegen: „Sorry, bei Männern bringt das nichts.“Aber die HP-Viren, die vielgefürc­hteten? Beginnende Warzen? Was ist, wenn sie schon sprießen? „Dann“, meint sie lässig, „müssen Sie eh woandershi­n.“Ich denke an meinen Freund und frage mich, wie schön seine außereheli­chen Erlebnisse sein müssen, dass er so einen Abstrich regelmäßig in Kauf nimmt. Sehr schön vermutlich, und sehr angenehm.

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