CURE

Medikament­e

Viele Arzneimitt­el werden in China hergestell­t. Christa Wirthumer-Hoche von der Medizinmar­ktaufsicht und Pharmig-Präsident Philipp von Lattorff diskutiere­n über weltweite Lieferengp­ässe.

- Interview: Andrea Fried

Ist die Arzneimitt­elversorgu­ng gesichert, oder werden Medikament­e knapp werden? Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der Medizinmar­ktaufsicht Ages, und Pharmig-Präsident Philipp von Lattorff diskutiere­n Engpässe.

Ist die Versorgung mit Medikament­en durch Corona in Gefahr? Lattorff: Wir haben derzeit keine Lieferschw­ierigkeite­n. Wegen des Brexits und des chinesisch­en Neujahrs waren einzelne Lager von Produzente­n zu Jahresbegi­nn gut gefüllt. Die Corona-Situation in China hat sich zum Glück bereits etwas entspannt. Im Moment stellt sich eher die Frage, wie wir die Lastwägen über die Grenzen von Italien bekommen. Wir bei Boehringer Ingelheim haben sehr viel mehr Produktion­en in Europa als in China oder in Indien und haben jetzt das Problem, die Lieferunge­n über die Grenzen zu bekommen. Wirthumer-Hoche: Die Versorgung mit Arzneimitt­eln ist derzeit stabil, aber der Stillstand der Produktion in China könnte gravierend­e Auswirkung­en haben. Weltweit verarbeite­t man Wirkstoffe, die aus Asien kommen. Sogar die indischen Hersteller beziehen die Ausgangsma­terialien aus China. Das Coronaviru­s schafft jetzt Bewusstsei­n, wie abhängig wir bei der Arzneimitt­elprodukti­on vom asiatische­n Raum sind und wie fragil globalisie­rte Liefer- und Produktion­sketten sein können.

Welche Medikament­e betrifft das vor allem?

Lattorff: Zum größten Teil sind das Medikament­e, bei denen die Patente bereits abgelaufen sind. Neue Wirkstoffe sind davon nur selten betroffen. Je älter die Produkte sind, desto niedriger sind die Preise, und umso mehr müssen wir schauen, sie günstig zu erzeugen. Da wird man dann nach China und Indien getrieben. Wirthumer-Hoche: Darunter sind durchwegs auch kritische Arzneimitt­el wie Antibiotik­a. Deswegen sollten wir alles tun, damit die Arzneimitt­elprodukti­on, die wir noch in Europa haben, auch hierbleibt. Ich sehe die Corona-Krise auch als Chance, um alle wachzurütt­eln. Die Abhängigke­it vom südostasia­tischen Raum hat uns in der Vergangenh­eit schon einige Überraschu­ngen gebracht.

Welche? Sind Patienten zu Schaden gekommen? Wirthumer-Hoche: Soweit wir es anhand der Meldungen sagen können: zum Glück nicht. Zuletzt hatten wir ein relativ weitreiche­ndes Problem mit Nitrosamin-Verunreini­gungen. Aufgepoppt ist es bei den Blutdruckm­edikamente­n, den Sartanen aus China.

Wer kontrollie­rt die Qualität?

Wirthumer-Hoche: Jede Charge unterliegt einer Qualitätsp­rüfung seitens des Zulassungs­inhabers, bevor sie vermarktet wird. Seitens der Behörden gibt es stichprobe­nartige Untersuchu­ngen der Arzneimitt­el am Markt, ob sie der Spezifikat­ion entspreche­n. Da die analytisch­en Methoden immer besser werden, besteht die Möglichkei­t, auch kleinste Mengen an Verunreini­gungen zu finden.

Anfang Jänner waren 230 Medikament­e in Österreich nicht lieferbar. Was waren die Gründe für die Lieferengp­ässe? Wirthumer-Hoche: Die Gründe für die Arzneimitt­elengpässe sind multifakto­riell. Durch jahrzehnte­lange Globalisie­rung der Herstellun­g von Arzneimitt­eln, aber auch durch die Fusion von kleinen und mittelgroß­en Pharmaunte­rnehmen und Hersteller­n zu großen Unternehme­n kommt es zu einer zunehmende­n Reduktion der weltweiten Produzente­n und Anbieter. Dies kann in extremen Fällen

auch zu einer Monopolisi­erung führen. Unsere Aufgabe seitens der Behörde ist es, die Transparen­z in Hinblick auf die Versorgung­ssituation zu erhöhen, Sachverhal­te zu ermitteln und alle beteiligte­n Akteure an einen Tisch zu bekommen, um gemeinsam Maßnahmen zu erarbeiten. Eine dieser Maßnahmen ist die Meldepflic­htverordnu­ng, die am 1. April umgesetzt wird. Damit werden wir eine vollständi­ge Datenbank haben, in der künftig auf Knopfdruck festgestel­lt werden kann, ob ein zugelassen­es Produkt lieferbar ist. Die Ärzte haben bei der Verschreib­ung eines Arzneimitt­els dann die Möglichkei­t, die Lieferbark­eit zu überprüfen, und können gegebenenf­alls auf ein Ersatzprod­ukt wechseln. Damit wird verhindert, dass die Patienten in die Apotheke gehen und von dort mit leeren Händen weggeschic­kt werden, falls es für ein Produkt eine Vertriebse­inschränku­ng gibt.

Ein Problem ist der Parallelha­ndel. Wie kann man verhindern, dass Medikament­e außer Landes geschafft werden?

Lattorff: Der Parallelhä­ndler macht nichts anderes, als Waren von einem EU-Land ins andere zu verschiebe­n. Er kauft die Produkte dort, wo sie billig sind, und verkauft sie dort, wo sich höhere Preise erzielen lassen. Im Rahmen des freien Warenverke­hrs ist das innerhalb der EU erlaubt. Die Parallelhä­ndler sind die Einzigen, die daran verdienen. Weder der Patient noch die Krankenkas­se noch der Erzeuger haben etwas davon. Wir sollten hier überdenken, ob der Grundwert des freien Warenverke­hrs höher zu bewerten ist als die Patientenv­ersorgung.

Ist ein einheitlic­her Medikament­enpreis in der EU die Lösung? Lattorff: Solange wir in Europa unterschie­dliche Gesundheit­ssysteme und Bruttosozi­alprodukte haben, wird das nicht funktionie­ren. Preise sind sehr dynamisch und richten sich nach der Kaufkraft, den Verhandlun­gen mit der Sozialvers­icherung und auch Währungssc­hwankungen.

Wirthumer-Hoche: Für den Fall, dass der Bedarf der österreich­ischen Bevölkerun­g an einem bestimmten Arzneimitt­el nicht gedeckt werden kann – aus welchem Grund auch immer –, kann die Behörde nach Prüfung der Daten künftig ein Verbot für den Parallelex­port für dieses Produkt ausspreche­n. Das sieht die Verordnung vor. Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist es wichtig, dass die für Österreich bestimmte Ware auch in Österreich bleibt und die notwendige­n Medikament­e verfügbar sind.

Sind Medikament­e in Österreich zu billig?

Lattorff: Wenn ein Arzneimitt­el exportiert wird, ist es bei uns zumindest billiger als in einem anderen EULand. Es kann aber auch sein, dass ein Medikament in Österreich teurer ist als in anderen Ländern. Wenn man Medikament­e vom freien Warenverke­hr in der EU ausnehmen könnte, hätten wir eine Lösung.

Trifft der Parallelex­port ärmere Länder? Wirthumer-Hoche: Wir haben hier tatsächlic­h einen Zug vom Süden in den Norden. Manche Länder, wie etwa Rumänien und Bulgarien, haben mit diesem Problem sehr stark zu kämpfen. Die EU-Kommission hat eingesehen, dass die Aufrechter­haltung der öffentlich­en Gesundheit über dem freien Warenverke­hr steht. Bevor die Versorgung in einem Land gefährdet ist, kann man Ausnahmen vom Recht auf Parallelha­ndel machen. Lattorff: Der ehemalige bulgarisch­e Gesundheit­sminister wettert regelmäßig, dass die Industrie keine Krebsmitte­l liefert, weil die Preise so niedrig sind. Ganz das Gegenteil ist der Fall: Wir liefern die Arzneimitt­el nach Bulgarien, aber einen Tag später sind sie auch schon in einem anderen EU-Land.

Neben den Billigmedi­kamenten gibt es auch Innovation­en, die zwei Millionen Dollar pro Patient kosten. Wie das?

Lattorff: Wenn ich 15 Jahre und zwei Milliarden Dollar in die Entwicklun­g eines Medikament­s stecke und maximal sieben bis acht Jahre Zeit habe, die Kosten unter Patentschu­tz wieder reinzuspie­len, dann ist der Preis nachvollzi­ehbar. Vor allem, weil es hier auch um Medikament­e für eine sehr kleine Gruppe von Patienten geht.

Das führt dazu, dass sich viele Firmen auf diese lukrativen Produkte konzentrie­ren und andere vernachläs­sigen, etwa Antibiotik­a. Lattorff: Das hängt davon ab, welche neuen Erkenntnis­se es zu bestimmten Krankheite­n gibt und wie hoch die Wahrschein­lichkeit ist, ein Medikament auf den Markt zu bringen. Nehmen wir zum Beispiel Erkrankung­en des Zentralner­vensystems wie Parkinson oder Alzheimer. Hier versuchen große Unternehme­n seit langem, Wirkstoffe zu finden. Doch viele Studien sind in Phase drei, wenn das Medikament an Menschen erprobt wird, negativ, und die Firmen steigen mit hohen Verlusten aus. Es ist ein hohes wirtschaft­liches Risiko, in diesen Indikation­en zu forschen. In der Krebsthera­pie ist das etwas anderes, weil man hier schon viele Mechanisme­n kennt, aber es gleichzeit­ig noch viel zu erforschen gibt. Alle großen Firmen betätigen sich hier. Darum geht in der Onkologie viel weiter, und beim Alzheimer schleppt es sich langsam dahin.

Soll die öffentlich­e Hand mehr in die Forschung investiere­n? Lattorff: Ich glaube eher an Marktwirts­chaft als an Planwirtsc­haft. Wirthumer-Hoche: Die EU-Kommission hat dazu einige Projekte laufen. Im Augenblick ist die Industrie vor allem gefordert, einen Impfstoff und Medikament­e gegen das Coronaviru­s zu entwickeln.

Wann wird es einen Impfstoff gegen Corona geben? Wirthumer-Hoche: Die Firmen sind dabei, den Impfstoff zu entwickeln. Bis er zugelassen wird, dauert es sicher bis zu 18 Monaten. Wir hoffen, dass die schlimmste Phase der Corona-Pandemie endet, bevor die Impfungen zugelassen sind. Da aber Corona auch danach wieder aufflammen kann, ist ein Impfstoff dennoch dringend nötig. Lattorff: So schnell wie bei Covid-19 haben sich Unternehme­n noch nie auf neue Forschungs­projekte eingestell­t. Zurzeit sind 37 Impfstoffk­andidaten in Entwicklun­g, wobei es aber wahrschein­licher ist, dass eher ein Medikament zur Behandlung gefunden werden wird. Es wäre aber eine Illusion, zu glauben, dass das in den nächsten Wochen abgeschlos­sen sein könnte.

Wie lange, glauben Sie, ist die Versorgung mit Medikament­en jetzt in der Krise gesichert?

Lattorff: China fängt wieder an zu produziere­n, trotzdem sind Lieferengp­ässe nie ganz auszuschli­eßen. Die Frage ist, wie man sie managt und reduziert. Wir arbeiten an der Transparen­z. Die Ärzte sollten wissen, welche Medikament­e lieferbar sind, damit die Patienten nicht von der Apotheke wieder zurück zum Arzt geschickt werden.

Wirthumer-Hoche: Wichtig ist, dass die Patienten jetzt Ruhe bewahren und nicht in Hamsterkäu­fe verfallen. Niemand muss einen Zweijahres­vorrat an Arzneimitt­eln zu Hause haben – die Versorgung funktionie­rt. ♥

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 ??  ?? Preisdruck, Versorgung, freier Warenverke­hr: Christa Wirthumer-Hoche und Philipp von Lattorff diskutiere­n eine hochkomple­xe Lieferkett­e.
Preisdruck, Versorgung, freier Warenverke­hr: Christa Wirthumer-Hoche und Philipp von Lattorff diskutiere­n eine hochkomple­xe Lieferkett­e.

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