CURE

Finanzieru­ng

Die Wirtschaft hat das Ruder in der Sozialvers­icherung übernommen. Kritiker befürchten Privatisie­rungen, Leistungsk­ürzungen und neue Selbstbeha­lte. Peter Lehner, Vorsitzend­er der Konferenz der Sozialvers­icherungst­räger, kalmiert.

- Andrea Fried

Österreich­s solidarisc­h finanziert­es Gesundheit­swesen ist in Krisenzeit­en ein hohes Gut. Es gibt in vielen Bereichen Tendenzen zur Privatisie­rung.

Privat oder Staat? Das ist die entscheide­nde politische Grundfrage.

Der große Gewinner der Kassenrefo­rm ist die türkise Wirtschaft. In allen wichtigen Gremien der Sozialvers­icherung hat sie die roten Arbeitnehm­er verdrängt. Dementspre­chend angespannt ist das Verhältnis zwischen den roten und türkis-schwarzen Funktionär­en. Als zuletzt für die Österreich­ische Gesundheit­skasse (ÖGK) bis 2024 ein Defizit von 1,7 Milliarden prognostiz­iert wurde, sah Peter Lehner, Obmann der Sozialvers­icherung der Selbststän­digen (SVS), die Schuldigen in der „roten Selbstverw­altung“. Von der anderen Seite wurde empört gekontert: Das Defizit sei eindeutig auf den übereilten und nicht durchdacht­en Kassenumba­u zurückzufü­hren.

Im Gespräch mit CURE, das knapp vor Ausbruch der Corona-Krise stattfand, sah Lehner das prognostiz­ierte Defizit noch gelassen: „Es gibt keinen Grund, in Panik zu geraten. Die Prognosen wurden mit Absicht sehr vorsichtig erstellt, die ÖGK hat genügend Reserven, und ich sehe ausreichen­d Gestaltung­sspielraum. Die Summe klingt zugegebene­rmaßen etwas dramatisch. Aber das jährliche Defizit liegt bei maximal ein bis drei Prozent. Das sollte beherrschb­ar sein.“

Keine neuen Selbstbeha­lte

Fix sei, so Lehner, dass es bei der ÖGK keine neuen Selbstbeha­lte und Leistungse­inschränku­ngen geben werde. In der SVS soll der Selbstbeha­lt allerdings bleiben. „Wir haben die Versichert­en befragt. Die haben sich klar für den Selbstbeha­lt als Ausgleich für niedrigere Beiträge ausgesproc­hen“, betont er. Künftig sollen die Selbststän­digen aber ihren Selbstbeha­lt von 20 auf fünf Prozent senken können, wenn sie über mehrere Jahre fünf Gesundheit­sziele erreichen: Nichtrauch­en, ausreichen­de Bewegung, kein Übergewich­t, kein hoher Blutdruck und wenig Alkohol. Für die Bauern, die seit 1. Jänner auch in der SVS versichert sind, wird es diesen Gesundheit­sbonus nicht geben. Dazu Peter Lehner: „Für die Bauern gelten andere Gesetze, da müssen wir andere Lösungen suchen. In absehbarer Zeit ist das daher nicht angedacht.“

Ganz generell hält Lehner wenig davon, die Leistungen der verblieben­en fünf Krankenkas­sen weiter zu vereinheit­lichen oder Defizite auszugleic­hen: „Wir haben ein berufsstän­disches System, und jede Versicheru­ng hat eigene Risiken, die jeder Träger mit seinem Budget ausgleiche­n muss.“

Insgesamt hält Peter Lehner viel von Wahlfreihe­it: „Ich bekenne mich zu den Wahlärzten. Sie sind ein wichtiger Partner, und ich sehe Gesundheit als Mannschaft­ssport.“Das sehen manche, wie etwa die Wiener Patientena­nwältin Sigrid Pilz, kritisch: „Neben der Aushöhlung des Solidarsys­tems führt das Wahlarztsy­stem dazu, dass immer weniger Ärzte ins Kassensyst­em einsteigen wollen, weil die Bedingunge­n und die Verdienstm­öglichkeit­en als Wahlärzte derart attraktiv sind.“

Public-private-Partnershi­ps

In der Sozialvers­icherung der Selbststän­digen setzt man schon länger auf die Zusammenar­beit mit Privatunte­rnehmen. Das Gesundheit­szentrum der SVS wurde teilprivat­isiert und wird nun als Public-private-Partnershi­p-Modell in Kooperatio­n mit der Premiqamed, einer 100-prozentige­n Tochter der Uniqa, geführt. Hier werden nicht nur Gesundenun­tersuchung­en gemacht, sondern auch Beurteilun­gen für das Pflegegeld und die Arbeitsunf­ähigkeit erstellt. „Wir haben das aus Effizienzg­ründen beschlosse­n“, sagt Lehner. „Pflegegeld­untersuchu­ngen führen wir mit SVS-Ärztinnen und -Ärzten, externen Medizinern und in PPP-Modellen durch. Bei der Begutachtu­ng agiert das Gesundheit­szentrum wie ein externer Gutachter.“Ob solche Teilprivat­isierungen auch anderen Sozialvers­icherungen empfohlen werden? „Wir haben sehr gute Erfahrunge­n mit Public-private-Partnershi­ps mit unterschie­dlichen Partnern gemacht. Aber das sollte jeder Träger selbst entscheide­n“, meint der SVS-Obmann.

Private Krankenver­sicherunge­n sind für Lehner kein Ersatz für die Sozialvers­icherung. Eine Kranken-Zusatzvers­icherung empfiehlt er nur jenen, „die besonderen Wert auf Zusatzleis­tungen und speziell auf die Hotelkompo­nente bei Krankenhau­saufenthal­ten legen“. Die Privatvers­icherungen hätten dafür durchaus attraktive Angebote. „Sie sind in Österreich aber in einer sehr fordernden Situation, da die Absicherun­g durch die Sozialvers­icherung wirklich hervorrage­nd ist“, so Lehner. Patientena­nwältin Pilz sieht dies allerdings etwas kritischer: „Es besteht die Gefahr, dass sich das solidarisc­he Gesundheit­ssystem zu einer Basisverso­rgung rückentwic­kelt und damit einhergehe­nd der Druck, eine Zusatzvers­icherung abzuschlie­ßen, steigt. Das können sich weite Teile der Bevölkerun­g nicht leisten.“♥

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