Finanzierung
Die Wirtschaft hat das Ruder in der Sozialversicherung übernommen. Kritiker befürchten Privatisierungen, Leistungskürzungen und neue Selbstbehalte. Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, kalmiert.
Österreichs solidarisch finanziertes Gesundheitswesen ist in Krisenzeiten ein hohes Gut. Es gibt in vielen Bereichen Tendenzen zur Privatisierung.
Privat oder Staat? Das ist die entscheidende politische Grundfrage.
Der große Gewinner der Kassenreform ist die türkise Wirtschaft. In allen wichtigen Gremien der Sozialversicherung hat sie die roten Arbeitnehmer verdrängt. Dementsprechend angespannt ist das Verhältnis zwischen den roten und türkis-schwarzen Funktionären. Als zuletzt für die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) bis 2024 ein Defizit von 1,7 Milliarden prognostiziert wurde, sah Peter Lehner, Obmann der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS), die Schuldigen in der „roten Selbstverwaltung“. Von der anderen Seite wurde empört gekontert: Das Defizit sei eindeutig auf den übereilten und nicht durchdachten Kassenumbau zurückzuführen.
Im Gespräch mit CURE, das knapp vor Ausbruch der Corona-Krise stattfand, sah Lehner das prognostizierte Defizit noch gelassen: „Es gibt keinen Grund, in Panik zu geraten. Die Prognosen wurden mit Absicht sehr vorsichtig erstellt, die ÖGK hat genügend Reserven, und ich sehe ausreichend Gestaltungsspielraum. Die Summe klingt zugegebenermaßen etwas dramatisch. Aber das jährliche Defizit liegt bei maximal ein bis drei Prozent. Das sollte beherrschbar sein.“
Keine neuen Selbstbehalte
Fix sei, so Lehner, dass es bei der ÖGK keine neuen Selbstbehalte und Leistungseinschränkungen geben werde. In der SVS soll der Selbstbehalt allerdings bleiben. „Wir haben die Versicherten befragt. Die haben sich klar für den Selbstbehalt als Ausgleich für niedrigere Beiträge ausgesprochen“, betont er. Künftig sollen die Selbstständigen aber ihren Selbstbehalt von 20 auf fünf Prozent senken können, wenn sie über mehrere Jahre fünf Gesundheitsziele erreichen: Nichtrauchen, ausreichende Bewegung, kein Übergewicht, kein hoher Blutdruck und wenig Alkohol. Für die Bauern, die seit 1. Jänner auch in der SVS versichert sind, wird es diesen Gesundheitsbonus nicht geben. Dazu Peter Lehner: „Für die Bauern gelten andere Gesetze, da müssen wir andere Lösungen suchen. In absehbarer Zeit ist das daher nicht angedacht.“
Ganz generell hält Lehner wenig davon, die Leistungen der verbliebenen fünf Krankenkassen weiter zu vereinheitlichen oder Defizite auszugleichen: „Wir haben ein berufsständisches System, und jede Versicherung hat eigene Risiken, die jeder Träger mit seinem Budget ausgleichen muss.“
Insgesamt hält Peter Lehner viel von Wahlfreiheit: „Ich bekenne mich zu den Wahlärzten. Sie sind ein wichtiger Partner, und ich sehe Gesundheit als Mannschaftssport.“Das sehen manche, wie etwa die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz, kritisch: „Neben der Aushöhlung des Solidarsystems führt das Wahlarztsystem dazu, dass immer weniger Ärzte ins Kassensystem einsteigen wollen, weil die Bedingungen und die Verdienstmöglichkeiten als Wahlärzte derart attraktiv sind.“
Public-private-Partnerships
In der Sozialversicherung der Selbstständigen setzt man schon länger auf die Zusammenarbeit mit Privatunternehmen. Das Gesundheitszentrum der SVS wurde teilprivatisiert und wird nun als Public-private-Partnership-Modell in Kooperation mit der Premiqamed, einer 100-prozentigen Tochter der Uniqa, geführt. Hier werden nicht nur Gesundenuntersuchungen gemacht, sondern auch Beurteilungen für das Pflegegeld und die Arbeitsunfähigkeit erstellt. „Wir haben das aus Effizienzgründen beschlossen“, sagt Lehner. „Pflegegelduntersuchungen führen wir mit SVS-Ärztinnen und -Ärzten, externen Medizinern und in PPP-Modellen durch. Bei der Begutachtung agiert das Gesundheitszentrum wie ein externer Gutachter.“Ob solche Teilprivatisierungen auch anderen Sozialversicherungen empfohlen werden? „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Public-private-Partnerships mit unterschiedlichen Partnern gemacht. Aber das sollte jeder Träger selbst entscheiden“, meint der SVS-Obmann.
Private Krankenversicherungen sind für Lehner kein Ersatz für die Sozialversicherung. Eine Kranken-Zusatzversicherung empfiehlt er nur jenen, „die besonderen Wert auf Zusatzleistungen und speziell auf die Hotelkomponente bei Krankenhausaufenthalten legen“. Die Privatversicherungen hätten dafür durchaus attraktive Angebote. „Sie sind in Österreich aber in einer sehr fordernden Situation, da die Absicherung durch die Sozialversicherung wirklich hervorragend ist“, so Lehner. Patientenanwältin Pilz sieht dies allerdings etwas kritischer: „Es besteht die Gefahr, dass sich das solidarische Gesundheitssystem zu einer Basisversorgung rückentwickelt und damit einhergehend der Druck, eine Zusatzversicherung abzuschließen, steigt. Das können sich weite Teile der Bevölkerung nicht leisten.“♥