Auf dem Weg zu einer immer personalisierteren und digitalen Medizin
„Digitalisierung und medizinischer Fortschritt sind eng miteinander verbunden“, sagt Susanne Erkens-Reck, General Manager bei Roche Austria.
Roche forscht und entwickelt seit Jahrzehnten im Bereich der personalisierten Medizin. Wieso engagiert sich Roche in diesem Bereich so stark?
Was bedeutet für Roche „personalisierte Medizin“? Erkens-Reck: Jeder Mensch reagiert aufgrund genetischer Faktoren oder molekularer Eigenschaften unterschiedlich auf ein Medikament. Je genauer also dieses Arzneimittel zu den individuellen Patienteneigenschaften passt, umso besser wird es bei ihm auch wirken. Das ist heute vor allem bei bestimmten Krebsformen schon möglich, wo mit Hilfe moderner Diagnoseverfahren die spezifische Krankheitsform bestimmt wird und Merkmale und Ursachen identifiziert werden. Danach kann die dafür passende Therapie verabreicht werden. Darüber hinaus beobachten wir bei zielgerichteten Therapien ein günstiges Nebenwirkungsprofil bei guter Lebensqualität und aus klinischer Sicht bessere und vorhersehbare Ergebnisse in Bezug auf den Erfolg einer Therapie.
Bei den Krebsimmuntherapien konnten in den letzten Jahren viele Fortschritte erzielt werden – auf welchen Therapiegebieten forscht Roche noch? Erkens-Reck: Den größten Teil unserer Forschungsbemühungen nimmt derzeit die Onkologie ein. Ebenso engagieren wir uns stark in den Bereichen Neurologie, speziell Multiple Sklerose, der Augenheilkunde, bei Infektionskrankheiten und bei seltenen Erkrankungen wie der Hämophilie, der spinalen Muskelatrophie und Chorea Huntington – immer mit dem Ziel, auch jenen Patienten, die bisher nur schlecht oder gar nicht versorgt werden konnten, eine bessere Behandlung zu bieten. Die Fortschritte in der personalisierten Medizin ermöglichen es den Wissenschaftlern vermehrt auch die Wirkmechanismen seltener Erkrankungen immer besser zu verstehen.
Welche Rolle spielt dabei die enge Verbindung der beiden Geschäftsbereiche Pharma und Diagnostics?
Erkens-Reck: Diese Verbindung bringt aus unserer Sicht einen enormen Gewinn, denn wir haben unter einem Dach die Chance, an medizinischen Fragestellungen zu forschen und damit einhergehend auch die richtige Diagnostik dazu zu entwickeln. Mit dieser Expertise und unserem zunehmenden Fokus auf Health IT kommen wir damit dem Anspruch, den Patienten ein längeres und besseres Leben zu ermöglichen, wieder ein Stück näher.
Unsere Welt wird immer digitaler wie eng sind digitale Transformation und personalisierte Medizin miteinander verbunden?
Erkens-Reck: Wir erleben gerade einen rasanten Anstieg der Wissensgenerierung im medizinischen Bereich. So müsste ein Onkologe etwa 29 Stunden pro Tag damit verbringen, sich mit den Informationen der vorhandenen Fachliteratur vertraut zu machen. Um diese Aufgabe zu erleichtern, benötigt das medizinische Fachpersonal digitale Hilfestellungen, damit es mit dieser Datenmenge und daraus gewonnenen Erkenntnissen zum Wohle des Patienten verantwortungsvoll umgehen kann. Digitale Lösungen können zum Beispiel bei klinischen Studien helfen, die Übersicht zu behalten, die Umsetzung effizient und schneller zu gestalten sowie die relevanten Studiendaten einfach an einem Ort abrufbar zu haben. Die laufende Digitalisierung stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen, wie man sorgfältig und respektvoll mit Patientendaten zu Forschungszwecken umgeht. Als pharmazeutisches Unternehmen, das klinische Studien durchführt, fühlen wir uns dem Schutz der Daten schon immer verpflichtet. Ich denke, es ist sehr wichtig, einheitliche Rahmenbedingungen und Systeme zu schaffen, zu welchen Zwecken anonymisierte Patienten- bzw. Krankheitsdaten erhoben werden dürfen – unter der Prämisse, dass die Kontrolle über die persönlichen Daten auch weiterhin beim Patienten selbst liegt.
Erkens-Reck: Aus meiner Sicht wird viel zu oft zwischen Patient und Gesundheitssystem getrennt. Warum soll etwas, das dem Patienten zu Gute kommt, nicht auch gleichzeitig positiv für das Gesundheitssystem sein und umgekehrt? Unser gemeinsames Ziel ist, den Patienten mit ihren Gesundheitsthemen weiterzuhelfen und gesundes Leben länger zu erhalten. Jeder in diesem System spielt eine wichtige Rolle. Natürlich muss auch darüber gesprochen werden, wieviel wir als österreichische Gesellschaft für Gesundheit ausgeben wollen und welcher Bereich wie viele Mittel benötigt. Das ist ein dynamischer Prozess – mit der fortschreitenden Digitalisierung werden neue Erkenntnisse gewonnen, daraus entstehen neue Therapien und deshalb muss immer wieder aufs Neue verhandelt werden, was sinnvoll ist. Auch wenn diese Diskussionen notwendig sind, sollte aus meiner Sicht, noch mehr über die Erfolge pharmazeutischer Forschung gesprochen werden: Die Entdeckung von Therapien für einst nicht behandelbare Krankheiten wie Cholera oder Pest haben die Welt verändert und es gibt heute noch genügend Patienten, für deren Krankheit noch keine Therapie zur Verfügung steht. Diese Patienten brauchen Pharmaforschung. Die Digitalisierung hilft uns insofern, dass man nun mittels Algorithmen in Moleküldatenbanken bereits vor der Untersuchung im Labor zahlreiche Optionen untersuchen kann – die Prozesse werden vereinfacht und beschleunigt. Einige der bahnbrechendsten Behandlungsmöglichkeiten der vergangenen Jahre hätte man sonst nicht gefunden.
Diese Gespräche wurden vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie geführt.