Berufskrankheiten der neuen Arbeitswelt
Im Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung findet sich das Vorhaben „Modernisierung der Berufskrankheitenliste“. Beispiele aus Deutschland im Bereich Hauterkrankungen zeigen, mit welchen neuen Herausforderungen man konfrontiert ist und wie man diese bewältigen kann.
Rasche Veränderungen in der Arbeitswelt, aber auch zahlreiche Präventionsanstrengungen haben dazu geführt, dass die Berufskrankheitenliste im ASVG Positionen enthält, die heute kaum mehr vorkommen: „Die Liste spiegelt nicht die tatsächlichen Beanspruchungen der Arbeitswelt wider“, formuliert es Dr. Roswitha Hosemann, Fachärztin für Arbeitsmedizin in der AUVA-Präventionsabteilung. „Von den 53 Berufskrankheiten sind derzeit vielleicht zehn wirklich relevant, allen voran Lärmschwerhörigkeit und Hauterkrankungen.“
Am Beispiel Hauterkrankungen
In Deutschland laufen Anstrengungen, das Thema auf zukunftssichere Beine zu stellen. „Wenn wir die Haut betreffende Berufskrankheiten, Hauterkrankungen und Hautkrebs zusammenfassen, dann betreffen fast 59 Prozent aller bestätigten BK-Verdachtsfälle die Haut“, rechnet Prof. Dr. Swen Malte John, Institut für interdisziplinäre dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück, bei einem Arbeitsgespräch in den Räumen der AUVA-Hauptstelle vor.
Wie in Österreich ging man bei Hauterkrankungen bisher auch in Deutschland den Weg, Patientinnen und Patienten nach diagnostizierter Berufskrankheit zu behandeln und später umzuschulen, damit sie in einem anderen, weniger gefährdenden Job tätig sein können – nicht immer zur Freude der Betroffenen und begleitet mit hohen Kosten bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Not to cure, to take care
Vor diesem Hintergrund wurde bereits vor rund 15 Jahren ein dreistufiges Modell entwickelt, das sogenannte „Osnabrücker Modell“: Das „Verfahren Haut“der DGUV sieht in der ersten Stufe ein möglichst frühzeitig anzusetzendes ambulantes dermatologisches Heilverfahren beim Hautarzt vor, sobald erste Symptome auftreten. Bei der „Sekundären Individual-Prävention“(abgekürzt SIP) ist die zweitägige Hautschutzschulung in eigenen Schulungszentren ein wesentlicher Faktor, damit die Versicherten hautgesund in ihrem Job verbleiben können. Erst im dritten und letzten Schritt, als „Tertiäre Individual-Prävention“bezeichnet, erfolgt eine stationäre Heilbehandlung in einer qualifizierten Einrichtung. In Anlehnung an das Osnabrücker Modell steht seit Mitte 2018 in ganz Österreich Versicherten mit berufsbedingten Hautproblemen ein entsprechendes Angebot der AUVA zur Verfügung.
Die Devise des dreistufigen Osnabrücker Modells lautet: „Not to cure, but to take care“, sinngemäß übersetzt mit „Vorbeugen ist besser als Heilen“. Mag. Daniela Zechner, zuständige
Präventionsdirektorin der AUVA, spricht in diesem Zusammenhang von „Präventionsmedizin“: Nur im präventiven Zusammenwirken von Berufsdermatologen und Arbeitsmedizinern lässt sich, wenn eine Erkrankung schon nicht zu verhindern ist, zumindest ein bleibender Schaden vermeiden. Oberste Prämisse bleibt jedoch, gefährdete Personen bereits vor einer Veränderung der Haut gezielt zu informieren, durch Gesundheitspädagogen individuell zu schulen und mit Schutzmaßnahmen vertraut zu machen.
Prävention rechnet sich
Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass damit fast drei Viertel der Beschäftigten trotz schwerer, oft schon chronifizierter Hauterkrankungen in ihrem angestammten Beruf weiter arbeiten können, was sich äußerst positiv auf die Kostensituation des Unfallversicherungsträgers auswirkt.
Hautkrebs als Berufskrankheit?
Jede zehnte Berufskrankheit in Deutschland fällt mittlerweile unter die Berufskrankheit „Hautkrebs, UV-Strahlung“(BK5103) – eine „beunruhigend hohe Zahl“, wie Prof. John konstatiert. Betroffen davon sind insbesondere klassische „Outdoor-Worker“wie Bauarbeiter, Dachdecker, Zimmerer, Pflasterer, etc., aber auch Berufsgruppen, an die man im ersten Moment vielleicht gar nicht denkt, wie Zusteller – und hier insbesondere jene, die mit dem Fahrrad unterwegs sind.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Norbert Sepp, Facharzt für Dermatologie und Venerologie und Leiter der Dermatologischen Abteilung am Ordensklinikum-KH der Elisabethinen in Linz, verweist beim Arbeitsgespräch der AUVA auf mögliche Risikogruppen für berufsbedingten Hautkrebs in Österreich: „Kellnerinnen und Kellner, die im Hochgebirge auf den Terrassen der Hütten tätig sind, werden einer hohen UV-Strahlung ausgesetzt, die Arbeitsbedingungen sind mit Afrika vergleichbar.“
Neue Berufsbilder entstehen
Einig sind sich die Expertinnen und Experten, dass jede Veränderung bei der Anerkennung von
Berufskrankheiten, aber auch eine verstärkte „Präventionsmedizin“, mit erhöhtem Personalaufwand verbunden ist. – Personal, das derzeit nicht in der erforderlichen Anzahl bzw. mit der notwendigen Qualifikation zur Verfügung steht.
Der Wunsch aller Fachleute ist es daher, eine breite Diskussion über neue Berufsbilder in der Präventionsmedizin anzustoßen und auch Initiativen zu fördern, die das Ziel verfolgen, dass in Österreich beispielsweise Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.
Forschung: „Es gibt noch viel zu tun“
Einig sind sich die Gesundheitsexperten aber auch, dass es einer verstärkten Einbindung der wissenschaftlichen Forschung bedarf, mit deren Hilfe man zu mehr Informationen über Hautresorption von Arbeitsstoffen, Allergenen, etc. kommt. „Insbesondere in der Grundlagenarbeit gibt es noch viel zu tun“, formuliert es Assoc. Prof. Dr. Johannes Grillari, Leiter des Forschungszentrums für Traumatologie der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt.