Der Wert von Innovation für eine Gesellschaft muss ganzheitlich gesehen werden
Für Lauri Lindgren, General Manager bei Amgen Österreich, steht eine partnerschaftliche Diskussion aller Stakeholder am Beginn der Veränderung zu einem noch moderneren österreichischen Gesundheitssystem.
Der gebürtige Finne Lauri Lindgren ist studierter Pharmazeut und bringt 15 Jahre Erfahrung in der Biotech-Industrie mit. Lindgren ist seit 2009 für Amgen tätig. Nach Stationen als Business Unit Lead Oncology und interimistischer Geschäftsführer von Amgen Finnland, als Strategic Planning and Operations Director in der Europazentrale von Amgen in der Schweiz leitete Lindgren vor seinem Wechsel nach Österreich als Geschäftsführer die Amgen-Niederlassung in Schweden, wo er zudem Vorstandsmitglied der Interessenvertretung der pharmazeutischen Industrie in Schweden war.
Hr. Lindgren, Sie sind seit sechs Monaten General Manager von Amgen in Österreich. Welchen Eindruck haben Sie vom österreichischen Gesundheitssystem gewonnen?
Lindgren: Österreich verfügt über ein hochqualitatives Gesundheitssystem. Unabhängig vom sozialen Hintergrund haben Patienten einfachen Zugang zu Behandlungen sowie zu modernen Therapien - dieses System aufrecht zu erhalten, muss eines unserer höchsten Ziele sein. Allerdings ist, aus meiner Sicht - und da ist Österreich keine Ausnahme - noch nicht eindeutig definiert, in welche Richtung sich das österreichische Gesundheitssystem weiterentwickeln möchte und wie unser Zugang zu Innovationen in Zukunft aussehen soll. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wirklich alle Stakeholder, die mit dem Gesundheitssystem verbunden sind, zusammenarbeiten: Gerade auch mit Blick auf den demographischen Wandel, der auf unser Gesundheitssystem zukommt, müssen wir gemeinsam in einen offenen Dialog treten.
Wie beobachten Sie die aktuelle Debatte? Lindgren: Aus meiner Sicht herrscht in Österreich eine gute Diskussionsgrundlage, in die sich viele Stakeholder offen einbringen und die Pharmig, als Interessenvertretung der pharmazeutischen Industrie, leistet hier auch gute Arbeit. Was ich manchmal vermisse, ist ein eindeutiges Commitment, in welche Richtung das Gesundheitssystem entwickelt werden soll. Wenn hier Klarheit herrscht, dann wird auch die zu führende Debatte einfacher werden.
Welche Punkte sollten adressiert werden? Lindgren: Eine genaue Vision zur Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems und die Beantwortung von Fragen wie: „Was ist uns wichtig? Wie soll eine moderne Gesundheitsversorgung aussehen?“muss am Anfang jeder Strategie stehen. Darauf basierend müssen wir jene Dinge identifizieren, die wir heute bereits dazu auf den Weg bringen können. Ich bin überzeugt, dass es möglich ist, strukturelle Veränderungen umzusetzen - die aktuelle Zusammenlegung der Krankenkassen ist dafür ein Beispiel. Darüber hinaus lohnt es sich auch über die Ländergrenzen hinaus zu blicken und anhand anderer Beispiele Initiativen für das eigene Land zu entwickeln, die eine moderne Gesundheitsversorgung gewährleisten.
Die öffentliche Diskussion fokussiert zumeist auf Sparmaßnahmen – ist dies aus ihrer Sicht der richtige Ansatz?
Lindgren: Österreich steht, wie vielen anderen Ländern, in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren ein demographischer Wandel bevor und dieser wird großen Druck auf das Gesundheitssystem ausüben. Ein gutes Beispiel ist das Thema Pflege: Hier wird bereits eine Debatte geführt, welche Adaptionen im System notwendig sein werden, um der steigenden Anzahl an pflegebedürftigen Personen künftig gerecht zu werden. Zu oft wird allerdings eine Trennung zwischen wichtigen Aspekten wie Optimierung von Effizienz und Steigerung von Ressourceneinsatz vorgenommen: Ich denke, eine Kombination dieser beiden Faktoren ist notwendig, um nachhaltig arbeiten zu können. Ich bemerke in Österreich eine Tendenz zur Konzentration auf die Ressourcen und die damit verbundenen steigenden Kosten - Arzneimittel werden allzu gerne als Kostentreiber betrachtet. Tatsächlich machen diese nur rund dreizehn Prozent der gesamten Gesundheitskosten aus. Hier kann die pharmazeutische Industrie sicher auch eine partnerschaftliche Rolle spielen; sei es mit
Innovationen oder anderen Lösungen aus Bereichen, wo unsere Expertisen liegen. Für eine echte Änderung der Struktur sind aber mehrere Faktoren, und dazu gehört eben auch Effizienzsteigerung, notwendig.
Reine Sparmaßnahmen sind keine Lösung, sondern der Wert von Innovation für eine Gesellschaft muss auch ganzheitlich gesehen werden. Dazu gehört beispielsweise, dass heute Menschen mit schweren Krankheiten aufgrund innovativer Therapien und damit einhergehender Verbesserung ihrer Lebensqualität oft wieder schneller in ihren gewohnten Alltag zurückkehren können. Diese Werte von Innovationen und Präzisionsmedizin lassen sich bisher nur schwer in Zahlen ausdrücken, weil es zu wenige zentral gebündelte Daten gibt. Es gibt viele kleine, lokale Register, aber nur wenige großen, nationalen Datenbanken wie Biobanken oder große Register.
„Das Gesundheitssystem muss partnerschaftlich weiterentwickelt werden, hier spielen nicht nur Arzneimittelpreise eine Rolle, sondern vor allem veraltete und teure Strukturen.“
Wir sprechen derzeit viel über „Big Data“. Durch neue Technologien oder Prozesse wird jede Sekunde eine große Datenmenge generiert. Wie nehmen Sie die Verwendung dieser Daten in Österreich wahr, insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
Lindgren: Es wäre zu einfach, zu sagen „Big Data“ist der alleinige Schlüssel zur Zukunft; heute gibt es aber einfach keinen Weg mehr daran vorbei, speziell wenn wir über das Thema Effizienz sprechen. So ergeben sich auch neue Möglichkeiten zum Beispiel bei der Durchführung klinischer Studien oder beim Einsatz der Präzisionsmedizin. Wie die Standards für den Gebrauch der generierten Daten gesetzt werden müssen - Stichwort Datenschutz - wird derzeit intensiv auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Tatsächlich haben aber viele Länder das Potenzial der Digitalisierung in Bezug auf die Entwicklung neuer Therapien oder die Art und Weise wie wir künftig Krankheiten behandeln, noch nicht erkannt. Das liegt zum Teil auch daran, dass in vielen Ländern veraltete, uneinheitliche Systeme zum Einsatz kommen. Die Länder, die heute in diesem Bereich am weitesten fortgeschritten sind, sind jene, die zuvor nur unzureichende IT-Systeme verwendet haben und sozusagen von vorne starten mussten. Das heißt, wir müssen uns zunächst genau überlegen, wofür wir Daten benötigen, wie diese verantwortungsvoll gespeichert werden und dann braucht es natürlich auch Investitionen in die adäquate Infrastruktur. Noch fehlt dazu allerdings ein nationaler Konsensus.
Was ist für ein internationales Unternehmen wie Amgen wichtig, um in Österreich erfolgreich operieren zu können?
Lindgren: Forschung und Entwicklung spielen eine essenzielle Rolle innerhalb von Amgen, weshalb wir auch auf globaler Ebene unsere Investitionen in diesem Bereich verstärkt haben. Besondere Bedeutung kommt hier auch klinischen Studien zu: Amgen führt in Österreich zahlreiche klinische Studien durch, diesen Status Quo wollen wir beibehalten. Neben der Expertise der österreichischen Forscher und Professionalität des Studienpersonals, machen Faktoren wie Planbarkeit und Stabilität Österreich zu einem attraktiven Forschungsstandort. Studien bedeuten, dass Patienten frühen Zugang zu Innovationen bekommen, die Kosten dafür finden keinen Eingang in unser Gesundheitssystem. Damit das aber weiterhin so bleibt, ist es wichtig, dass Österreich weiterhin einen positiven Zugang zu Innovation wahrt. Denn neben dem Benefit für die Patienten generieren klinische Studien direkte und indirekte positive Effekte für die österreichische Wertschöpfungskette, wie eine aktuelle Studie zeigt, die im Auftrag der Pharmig vom Institut für pharmaökonomische Forschung (IPF) durchgeführt und in einem Peer-Review Journal veröffentlicht wurde.
Amgen feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Worauf sind Sie besonders stolz?
Lindgren: Die Biotechnologie ist im Vergleich noch eine relativ junge Wissenschaft. 40 Jahre als unabhängiges Unternehmen zu bestehen und erfolgreich zu sein, ist natürlich ein großer Meilenstein. Amgen ist eines der weltweit größten Biotech-Unternehmen - rund die Hälfte unserer Arzneimittel wurden in eigener Forschung in unseren Labors entwickelt, die andere Hälfte durch Zukäufe in unserer Portfolio übernommen. Wissenschaft spielt eine große Rolle innerhalb unserer Firma und wir konnten bereits Millionen von Patienten mit unseren Therapieoptionen helfen. Wie sagt man so schön? „Vierzig ist das neue Dreißig“– Amgen ist nach wie vor ein überaus dynamisches und agiles Unternehmen, dass auch in den kommenden Jahrzehnten die bestmöglichen Lösungen für Patienten und das Gesundheitssystem bereitstellen möchte.
„Planbarkeit, Stabilität und Expertise tragen maßgeblich zur Standortattraktivität Österreichs bei.“