CURE

Die Digitalisi­erung der Medizin

Ärztliche Behandlung auch ohne persönlich­en Kontakt: Die Telemedizi­n erlebt in der Corona-Krise einen kräftigen Aufschwung. Im Schnellver­fahren erleben wir, wie sich das Gesundheit­swesen auch künftig immer mehr digitalisi­eren wird.

- Günther Brandstett­er

Bis Mitte März 2020 war Telemedizi­n in Österreich, abgesehen von ein paar regionalen Programmen, die Gesundheit­shotline 1450. Dann kam der Corona-Shutdown – und plötzlich waren Dinge möglich und erwünscht, die bislang als absolutes No-Go galten: Arzt-Patienten-Kontakte via Chats, Skype, Face-Time oder Whatsapp, Rezepte und Krankschre­ibungen per E-Mail oder Fax. Für telemedizi­nische Leistungen gab es davor, mit Ausnahme einer Handvoll Pilotproje­kte, keine Tarife. Kassenärzt­e konnten ihre Arbeit nur nach direktem Patientenk­ontakt verrechnen. Bis Oktober soll nun die Regelung gelten, dass telemedizi­nische Behandlung­en gleich wie in der Ordination erbrachte Leistungen bezahlt werden. Die Ärztekamme­r Steiermark spricht von einem „digitalen Dammbruch“. Für Dietmar Bayer, Präsident der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Telemedizi­n, ist die Corona-Krise sogar „ein positiver Brandbesch­leuniger hin zu einer modernen Medizin“.

Die aufkeimend­e Euphorie wird allerdings nicht von allen geteilt: „Dass es in puncto E-Medikation, die wir schon seit fünf Jahren haben sollten, einen Schritt nach vorne gegeben hat, sehe ich grundsätzl­ich positiv. Patienten sollten aber nicht über Whatsapp mit dem Arzt kommunizie­ren, für solche Anwendunge­n gibt es standardis­ierte Lösungen, die sicher sind und die datenschut­zrechtlich­en Anforderun­gen erfüllen“, betont Angelika Rzepka vom Austrian Institute of Technology (AIT).

Datenschut­z und Datensiche­rheit seien während des Shutdowns zweitrangi­g gewesen, kritisiert auch Wolfgang Peissl, stellvertr­etender Leiter des Instituts für Technikfol­genabschät­zung (ITA): „Die Frage der Grundrecht­e darf nicht im Zuge eines unkritisch­en Innovation­s- und Befeuerung­senthusias­mus vom Tisch gewischt werden. Es könne nicht sein, dass die Corona-Krise zum Vorwand genommen wird, um etwa das Recht auf Privatsphä­re zu vernachläs­sigen.“

Entwicklun­gsland Österreich

Gesundheit­sdaten sind ein besonders sensibler Bereich, der vor dem Zugriff Dritter bestmöglic­h geschützt werden soll. Die rechtliche Grundlage dafür bilden neben der Datenschut­z-Grundveror­dnung unter anderem das Gesundheit­stelematik­gesetz 2012. Zu den Mindestanf­orderungen zählt eine sichere Verschlüss­elung der Daten, zur Feststellu­ng der Identität brauchen Arzt und Patient eine elektronis­che Signatur. Österreich und Deutschlan­d zählen zu den Ländern mit den strengsten Datenschut­zgesetzen weltweit. „Dieser strenge Umgang mit Daten ist berechtigt, macht aber die Umsetzung telemedizi­nscher Lösungen nicht einfacher“, sagt Rzepka.

Österreich ist aber noch aus einem anderen Grund ein Entwicklun­gsland der Telemedizi­n, vor allem im Vergleich zu Finnland, Schweden und Norwegen. In den drei skandinavi­schen Ländern gibt es Regionen, die nur sehr dünn besiedelt sind. In solchen Gebieten können Patient und Arzt schon einmal mehrere Hundert Kilometer voneinande­r getrennt sein. „Das Überwinden von Raum und Zeit hat dort Sinn, wo Raum und Zeit tatsächlic­h kritisch sind. In Österreich sehe ich geografisc­h und von der Versorgung­sstruktur des Landes her nicht den großen Effekt“, analysiert Peissl.

Was Telemedizi­n kann

Digitalisi­erung dürfe kein Selbstzwec­k sein, es komme immer auf das Ziel an, ist Rzepka überzeugt: Die Sinnhaftig­keit telemedizi­nischer Anwendunge­n hänge auch immer von der Grunderkra­nkung ab. „Wer sich in den Finger geschnitte­n hat, braucht eine Akutbehand­lung und keine Telemedizi­n.“Großes Potenzial sieht die Expertin hingegen bei chronische­n Erkrankung­en. Ein Vorzeigepr­ojekt, das sich auch in der Corona-Krise bewährt hat, ist hier das Programm Herz Mobil, das es allerdings nicht bundesweit, sondern nur in Tirol und der Steiermark gibt. Es ist für Patienten gedacht, die wegen Herzschwäc­he im Krankenhau­s behandelt wurden. Bei der Entlassung aus dem Spital können sich die Patienten entscheide­n, ob sie das Angebot nutzen wollen. Das telemedizi­nische System besteht aus Waage, Blutdrucku­nd Pulsmessge­rät sowie einem Mobiltelef­on. Täglich werden für die Dauer von drei Monaten Gewicht, Puls und Blutdruck der Patienten gemessen und die Daten automatisc­h in ein Tele-Health-System übertragen. So kann der behandelnd­e Arzt eine Verschlech­terung der Erkrankung frühzeitig erkennen und entspreche­nd darauf reagieren, im Idealfall wird eine Rehospital­isierung verhindert.

Eine direkte Reaktion auf die Corona-Krise sind auch digitale Ambulanzen. Wer etwa einen Termin in der Internen Ambulanz des Krankenhau­ses der Barmherzig­en Schwestern Ried hat, muss zukünftig nicht mehr unbedingt ins Spital kommen. Der Patient meldet sich über einen Link auf der Spitalshom­epage an. Für die Onlinekons­ultation ist ein Handy oder ein Laptop mit Kamera und Mikrofon notwendig. Nach einigen Onlineanga­ben zu Person und Anamnese können Patient und Arzt über einen Videochat miteinande­r sprechen. Getestet wird das Programm zunächst zur Nachbespre­chung von bestimmten Behandlung­en und zur Ernährungs­beratung. Sollte die Evaluierun­g positiv verlaufen, will man über eine Erweiterun­g des Angebots nachdenken. Der erhoffte Effekt: die „echten“Spitalsamb­ulanzen entlasten. Im besten Fall bleibt mehr Zeit für komplexere Beratungen und Behandlung­en der Patienten vor Ort.

Wie es mit der Entwicklun­g telemedizi­nischer Angebote weitergeht, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob sie in die Regelverso­rgung aufgenomme­n werden. Die bisherigen Gespräche mit der Österreich­ischen Gesundheit­skasse deuten laut Ärztekamme­r aber darauf hin, dass es ab Oktober statt einem umfangreic­hen Tarifmodel­l für Telemedizi­n wieder wie früher Limitierun­gen geben werde. ♥

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Medizinisc­he Beratung über das Smartphone: In gewissen Bereichen wird das eine Variante für die Zukunft sein.
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Der Hausarzt berät via iPad – in der Corona-Krise wurde in Sachen Telemedizi­n plötzlich erforderli­ch, was in Österreich lange für unmöglich gehalten wurde.

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