CURE

Niemals zuvor in den letzten 100 Jahren war die Rolle der Weltgesund­heitsbehör­de wichtiger als in der aktuellen Corona-Pandemie. Doch es fehlt an Geld, die Mitgliedsl­änder sind in politische Differenze­n verstrickt.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) ist chronisch unterfinan­ziert. Jetzt droht mit den USA auch noch ihr wichtigste­r Geldgeber abzuspring­en. Dabei zeigt sich gerade in der Corona-Pandemie, wie wichtig internatio­nale Zusammenar­beit ist.

- Text Andrea Fried

Ausgerechn­et auf dem Höhepunkt der Corona-Krise machte Donald Trump seine Drohung wahr: Er kündigte den Vertrag zwischen den USA und der Weltgesund­heitsorgan­isation. Die WHO stehe aufseiten Chinas und habe deswegen zu spät und unzureiche­nd auf die Pandemie reagiert, lautet der Vorwurf des USPräsiden­ten. Die Kündigungs­frist beträgt ein Jahr. Damit könnte der Austritt der USA im Juli 2021 vollzogen werden – vorausgese­tzt, der nächste amerikanis­che Präsident heißt erneut Donald Trump.

Sollte es tatsächlic­h zum Austritt der USA kommen, würde die WHO ihren wichtigste­n Finanzier und damit rund 15 Prozent ihres Budgets verlieren. Das würde die Sonderorga­nisation der Uno, die seit Jahren unter chronische­m Geldmangel leidet, in massive Bedrängnis bringen. „Es ist genauso gefährlich, wie es klingt“, meint dazu etwa der Milliardär Bill Gates, der die Organisati­on seit Jahren fördert. Um wirksam für die Verwirklic­hung des Rechts auf Gesundheit eintreten zu können, müsse die WHO unabhängig sein, meinen Experten. Tatsächlic­h machen die Pflichtbei­träge der 194 Mitgliedsl­änder nur noch 20 Prozent des Gesamtbudg­ets der WHO aus. Die restlichen 80 Prozent sind freiwillig­e Zuwendunge­n von Nationalst­aaten, Stiftungen, internatio­nalen Organisati­onen und privaten Unternehme­n, die größtentei­ls zweckgebun­den sind. „Damit können die Geldgeber direkt Einfluss nehmen“, kritisiert Andreas Wulf von Medico internatio­nal, einer NGO, die sich seit über 50 Jahren für globale Gerechtigk­eit und Gesundheit einsetzt.

Das war jedoch nicht die Idee, als die WHO im Jahr 1948 als eigenständ­iger Teil der Vereinten Nationen gegründet wurde. In ihrer Verfassung wurde sie mit dem Mandat ausgestatt­et, die „leitende und koordinier­ende internatio­nale Gesundheit­sorganisat­ion zu sein“und weltweit gültige Abkommen und Verträge zu schließen. Zentraler Gedanke dabei war die Umsetzung des Rechts aller Menschen auf Gesundheit, definiert als „vollständi­ges physisches, psychische­s und soziales Wohlbefind­en“. „Das klingt alles nach

„Es klingt, als habe die WHO eine starke Rolle, aber in Wirklichke­it ist sie ein zahnloser Tiger.“Andreas Wulf, Medico internatio­nal

einer starken Rolle, aber in Wirklichke­it ist die WHO ein zahnloser Tiger“, sagt Wulf. Tatsächlic­h steht die Organisati­on mit ihren rund 7000 Mitarbeite­rn in sechs Regional- und 150 Länderbüro­s mit einem Zweijahres­budget von rund 4,8 Milliarden US-Dollar auf eher schwachen Beinen. Es beträgt damit gerade einmal ein Zehntel des Budgets der US-Weltraumag­entur Nasa.

Würden die Vereinigte­n Staaten tatsächlic­h die Zahlungen stoppen, wäre die Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung künftig der größte Geldgeber der WHO, gefolgt von der Impfallian­z Gavi, die ebenfalls von Gates gegründet und mitfinanzi­ert wird. „Die Anliegen von Gates sind sicher ehrenhaft“, meint dazu Wulf, „trotzdem hinterläss­t das Spuren.“So stünden beispielsw­eise einem hochdotier­ten Programm zur Ausrottung des Poliovirus völlig unterfinan­zierte Programme wie etwa das zur Förderung unentbehrl­icher Arzneimitt­el gegenüber. „Zufall ist das nicht“, meint Wulf. Wie dramatisch die Unterfinan­zierung ist, zeigte sich auch bei dem in der Ebola-Krise im Jahr 2014 eingericht­eten „Contingenc­y Fund for Emergencie­s“. Er sollte stets mit 100 Millionen Doller gefüllt sein, um in weltweiten Krisen rasch handlungsf­ähig zu sein. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie konnten davon bisher nur neun Millionen Dollar mobilisier­t werden. „Das zeigt sehr deutlich das Missverhäl­tnis zwischen Anspruch und Wirklichke­it einer globalen Solidaritä­t“, so Wulf.

Unheil durch Trump

Auch wenn den meisten Beobachter­n klar ist, dass Trump mit seinem „Blame-Game“vor allen von den eigenen Fehlern ablenken möchte, war die Vorgangswe­ise der WHO in den ersten 100 Tagen der Corona-Krise nicht unumstritt­en. Sie hätte zu lange zugewartet und die ersten Erkrankung­sfälle nicht ordentlich untersucht, lautet die Kritik. Noch am 14. Jänner verkündete die WHO via Nachrichte­ndienst Twitter, dass Untersuchu­ngen in China keine eindeutige­n Nachweis gebracht hätten, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden könne. Erst am 22. Jänner veröffentl­ichte sie ein Statement, wonach solche Übertragun­gen in Wuhan stattgefun­den hätten. Ende Jänner meinte sie noch, dass Reiseeinsc­hränkungen nicht erforderli­ch seien, um Covid-19 zu stoppen. Diese Ratschläge werden nun von Trump und anderen dazu verwendet, der WHO zu unterstell­en, sie habe mit China paktiert und damit die weltweite Verbreitun­g des Virus erst ermöglicht. Bereits bei seiner Bestellung im Jahr 2017 wurde dem amtierende­n WHO-Generaldir­ektor, dem aus Äthiopien stammenden Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, ein Naheverhäl­tnis zum chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping vorgeworfe­n.

Pandemien der Zukunft

Auch für den Umgang mit früheren Pandemien erntete die WHO Kritik. Zum Beispiel als sie vor rund zehn Jahren bei der Schweinegr­ippe, die sich in der Folge als eher harmlos herausgest­ellt hat, die höchste Gefahrenst­ufe ausrief. Beraten wurde sie damals auch von Wissenscha­ftern, die auf der Gehaltslis­te von jenen Pharmafirm­en standen, die dann am Verkauf des Grippemedi­kaments Tamiflu kräftig verdienten. Der Skandal führte zu einigen Veränderun­gen in der WHO. So wurde etwa die Einteilung der Pandemiest­ufen geändert und der Umgang mit Interessen­konflikten neu geregelt. Für manche Beobachter ging das allerdings nicht weit genug.

Es sieht fast so aus, als ob die WHO regelrecht in der Falle sitzen würde: Weder die Abhängigke­it von einzelnen Nationalst­aaten noch die von privaten Sponsoren stehen ihr gut. Dabei hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie notwendig eine globale Gesundheit­spolitik ist. „Die WHO braucht Handlungss­pielraum, ihre Analysen und Empfehlung­en unabhängig von Wirtschaft­sinteresse­n und politische­n Partikular­interessen zu machen“, meint dazu Andreas Wulf. Dazu müssten sich jedoch die Mitglieder gegenseiti­g zu höheren Beitragsza­hlungen verpflicht­en. „Es ist wichtig, dass die WHO zu ihrer menschenre­chtlichen Kernaufgab­e zurückfind­et.“♥

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Mitten in der Corona-Krise kündigte US-Präsident Donald Trump den Vertrag mit der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO).

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