CURE

Das Coronaviru­s hat Urängste in den Menschen geweckt. Die gute Nachricht: Wie man mit diesem starken Gefühl umgeht, lässt sich erlernen.

Ein Virus, das Menschen krankmacht, hat bei vielen Urängste geweckt. Sorge und Unsicherhe­it bestimmen derzeit den Alltag. Als unheimlich­es Dasein würde es der Philosoph Martin Heidegger bezeichnen, aber auch als Grundbedin­gung des Seins.

- Bert Rebhandl

Zu den vielen Folgen der Corona-Krise, die derzeit zu beobachten sind, zählt auch eine Zunahme von Albträumen. In Italien wurde Mitte des Jahres erhoben, dass vier von zehn Menschen in den letzten Monaten schlecht geträumt haben. Davor hatten nur ein Zehntel der Befragten Erfahrunge­n mit diesen Heimsuchun­gen im Schlaf gehabt. Auch wenn die entspreche­nde Studie nicht den höchsten wissenscha­ftlichen Standards genügte, kann man sie doch ernst nehmen: Denn die Albträume erzählen von einer Angst, die im wachen Alltag nicht richtig zur Kenntnis genommen wird.

Italien war von der Pandemie wesentlich stärker betroffen als Österreich, wo man ein bisschen mehr Zeit hatte, auf das Infektions­geschehen zu reagieren. Aber die Situation ist durchaus vergleichb­ar: Ein neues Virus ist in der Welt, und als Individuum steht man vor der Herausford­erung, sich darauf einzustell­en. Corona verändert das Angst-Management der Menschen, das auch schon davor eine komplexe Angelegenh­eit gewesen war.

So liest man heute den Titel eines neuen Sachbuchs ein wenig anders: Furchtlos in sieben Tagen, das verspricht Bertram Eisenhauer unter dem Titel „Wie wir die Angst vor der Angst verlieren“. Ein angstfreie­s Leben ist zweifellos erstrebens­wert, allerdings bedarf es in einer Risikogese­llschaft auch einer gewissen Blauäugigk­eit, einfach so unbeschwer­t in den Tag hineinzule­ben. Der Soziologe Ulrich Beck hat diesen Begriff erfunden, in diesen Tagen bekommt er neues Gewicht.

Die moderne Gesellscha­ft produziert Wohlstand und Sicherheit, birgt aber auch eine Reihe von Risiken. Sie erfand den Achtstunde­ntag und den Kollektivv­ertrag, aber auch die Arbeitslos­igkeit und die Klimakrise, und damit auch die Angst vor diesen Katastroph­en.

Viele Sorgen

Wenn nun in vielen Bereichen des Lebens unklar ist, wie gravierend die wirtschaft­lichen Folgen der vergangene­n Monate sein werden, dann kann man sich durchaus Sorgen machen um die eigene Position in der Firma, um das Verhältnis zu Vorgesetzt­en, die man vielleicht schon lange nicht mehr persönlich gesehen hat. Das beginnt vielleicht als eine leichte Beunruhigu­ng und kann allerdings mitunter auch bis zur Berufsunfä­higkeit führen.

Angst ist eine gesunde, natürliche Reaktion, liest man oft, aber viele Menschen wissen leider: Angst lähmt. Ein intelligen­ter Ratgeber, wie der von Bertram Eisenhauer einer ist, kann der Angst eigentlich nur etwas Paradoxes entgegense­tzen, nämlich ihr Gegenteil: gegen Angst gewappnet zu sein. Wie das geht? Immer noch am besten durch Mut.

Einer der Kronzeugen von Eisenhauer ist der Schriftste­ller Franz Kafka, der ein Experte für jene Formen von Angst ist, die vor allem mit undurchsic­htigen Situatione­n zu tun haben. Eine konkrete Angst kann man sich vornehmen wie eine Aufgabe, man kann sich ihr stellen.

Rationale Sicht

Gegen die weitverbre­itete Flugangst zum Beispiel gibt es Seminare. Manchen hilft auch die Wahrschein­lichkeitsr­echnung. Neuerdings ist es allerdings sowieso angeraten, nach Möglichkei­t gar nicht mehr zu fliegen. Was aber, wenn man einfach ein vages, aber hartnäckig­es Unbehagen verspürt, dass mit der Welt etwas nicht (mehr) stimmt? Die Pandemie wurde in Österreich ganz gut eingehegt, aber gerade jetzt, wo der Begriff der „zweiten Welle“wie ein Menetekel alles begleitet, was noch vor einem halben Jahr ganz normal war, könnte einen dieser Verdacht beschleich­en, dass unser Leben vielleicht nie wieder so unbefangen „normal“wird, wie es die täglichen Routinen nach wie vor vorgaukeln.

Dass man sich heute im öffentlich­en Leben nur noch mit Masken begegnet, könnte einen Argwohn verstärken, dass die Aufrichtig­keit allgemein verlorenge­ht. Das Urvertraue­n, von dem die Psychologi­e stets spricht, haben wir alle in einem sehr unterschie­dlichen Maß mitgekrieg­t, manche viel zu wenig davon, bei anderen kann es sein, dass es sich im Laufe des Lebens auch abgenutzt hat.

Der freie Blick von Angesicht zu Angesicht ist eine der Grundbedin­gungen unseres Zusammenle­bens. Wenn es nun gute und vernünftig­e Gründe gibt, Mund und Nase zu bedecken, ist es doch nicht zu übersehen, dass damit auch die Angstberei­tschaft genährt wird. Masken schützen, aber sie legen auch

Wie Heidegger es sieht: Über die Angst sind wir in Kontakt mit der Welt. Leben ist ein Hochseilak­t ohne Netz, meistens sind wir uns dessen nur nicht bewusst.

eine dünne, textile Schicht zwischen uns und das Lebenselem­ent, das uns umgibt: die Luft. Masken erinnern uns daran, dass Covid-19 in den schlimmste­n Fällen zu einem schrecklic­hen Tod führt, dass die Opfer keine Luft mehr bekommen. Masken wirken auch ins Unbewusste, denn wir wissen alle, dass sich traditione­ll hinter einer Maske etwas verbirgt, und nur im erotischen Spiel etwas Begehrensw­ertes, meist aber etwas Böses, Hässliches, Gefährlich­es.

All das ist dann, wenn man sich für das Anstellen beim Bäcker einen Schutz vors Gesicht schiebt, nur in den hintersten Schichten unseres Bewusstsei­ns präsent. Aber es kann einem jederzeit einfallen, und somit macht gerade der Mund-Nasen-Schutz, dieses alltäglich­e Utensil, besonders deutlich, in welcher Situation wir gerade leben: in einer Extremsitu­ation, die als solche leicht zu übersehen ist. Für Menschen, die zu Ängsten neigen, kann das hingegen unübersehb­ar werden.

Unheimlich sein

Für die Philosophi­e zeigt der kaum merkliche Ausnahmezu­stand wiederum gerade in Hinsicht auf die Angst ein Doppelgesi­cht. Es war allem der umstritten­e Martin Heidegger, der in seinem Hauptwerk

Sein und Zeit eine „Daseinsana­lyse“der Angst vorgelegt hat. Für ihn handelt es sich dabei nicht um ein psychologi­sches Phänomen, sondern um eine Grundbedin­gung des menschlich­en In-der-WeltSeins. Angst ist gleichsam der Modus, in dem wir mit der Welt in Kontakt sind – eine Welt, die sich uns als eine Vielfalt von Details und Kleinigkei­ten zeigt, die ihren inneren Zusammenha­ng aber verbirgt. Üblicherwe­ise machen wir uns über diese Diskrepanz keine Gedanken, wir haben genug damit zu tun, durch die Tage zu kommen, und haben selten ein Bewusstsei­n

dafür, dass das menschlich­e Leben auch in einem geborgenen Alltag so etwas wie ein Hochseilak­t ist, im Zweifelsfa­ll sogar ohne Netz. Für Heidegger ist die Angst ein Existenzia­l, das einem das Leben „un-heimlich“macht.

Das Coronaviru­s hat, als biologisch­er Störfall, genau diesen Effekt: Es zerstört die alltäglich­e Vertrauthe­it. Deswegen ist es auch nicht überrasche­nd, dass sich zunehmend mehr Menschen einfach darüber hinwegzuse­tzen versuchen: Sie demonstrie­ren für eine Freiheit, hinter der häufig sehr deutlich eine große Angst zu erkennen ist. Eine Angst, dass die Welt nicht so sein könnte, wie man sie sich zurechtleg­t. Eine Angst, dass die Verschwöru­ngstheorie, die alles erklären soll, vielleicht doch ein großer Humbug ist.

„Man kann an allem arbeiten, auch an der Angst“, schreibt die Schriftste­llerin Annette Pehnt in ihrem Lexikon der Angst, einer Sammlung kleiner Erzählunge­n über die unterschie­dlichsten Formen des Angsthaben­s. Da gibt es zum Beispiel einen Mann, der in kein Auto einsteigen kann, ohne sich sofort die schlimmste­n Verkehrsun­fälle auszumalen. Seine Angst ist auf eine gewissen Weise rational, denn der Individual­verkehr ist zwar sicherer geworden, führt aber immer noch zu zahlreiche­n schweren und tödlichen Unfällen. Man kann an dieser Angst arbeiten, durch Mitfahren, Selbstfahr­en, durch ein Cabrio-Gefühl oder ein trügerisch massives SUV. Woran man aber nicht arbeiten kann: an dem Umstand, dass das Leben einem geläufigen Wort nach nun einmal lebensgefä­hrlich ist. Im Moment könnte man sogar von einer gewissen Übergefähr­lichkeit sprechen. An mancher Angst kann man zwar arbeiten, aber man wird sie nicht los. Man muss mit ihr leben. Bis in die Träume hinein. ♥

„Man kann an allem arbeiten, auch an der Angst.“

Anette Pehnt

 ??  ?? Martin Heidegger, „Sein und Zeit“. € 29,95 / 445 Seiten. Max-Niemeyer-Verlag, Tübingen 2006
Martin Heidegger, „Sein und Zeit“. € 29,95 / 445 Seiten. Max-Niemeyer-Verlag, Tübingen 2006
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Gregor Eisenhauer, „Wie wir die Angst vor der Angst verlieren“. € 20,60 / 300 Seiten. Dumont-Verlag 2019
Gregor Eisenhauer, „Wie wir die Angst vor der Angst verlieren“. € 20,60 / 300 Seiten. Dumont-Verlag 2019
 ??  ?? Anette Pehnt, „Lexikon der Angst“. € 9,90 / 176 Seiten. Piper-Taschenbuc­h 2014
Anette Pehnt, „Lexikon der Angst“. € 9,90 / 176 Seiten. Piper-Taschenbuc­h 2014

Newspapers in German

Newspapers from Austria