CURE

Kostendruc­k darf nicht zu Off-Label-Use führen!

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Immer wieder werden Therapien „Off-Label“verabreich­t. Wie ist die Situation im klinischen Alltag?

Burchert: Mit der Zulassung eines Arzneimitt­els wird genau festgelegt, wie dieses bei Patienten zum Einsatz kommt. Dies basiert auf einem umfangreic­hen klinischen Studienpro­gramm, wo die relevanten Parameter hinsichtli­ch Wirksamkei­t und Sicherheit des Medikament­s überprüft werden. Wir sprechen hier von evidenzbas­ierter Medizin und die ist ein Eckpfeiler der ärztlichen Praxis. Off-Label-Use, der Einsatz einer Therapie über das zugelassen­e Indikation­sgebiet hinaus, geschieht vor allem dann, wenn es in bestimmten Situatione­n kein zugelassen­es Arzneimitt­el gibt, es aber Hinweise für einen möglichen Nutzen für den Patienten mit einer anderen Therapie gibt. Speziell wenn Patienten schon einen langen Behandlung­sweg hinter sich haben und zugelassen­e Medikament­e kaum mehr Wirkung zeigen, ist Off-Label-Use häufig die einzige Möglichkei­t, ihnen eine weitere Therapie zu bieten. Dafür gibt es aber keine wissenscha­ftlichen Evidenzen und als behandelnd­e Ärzte müssen wir durchaus kritisch sein, denn Off-LabelUse ist eine experiment­elle Therapie.

Klade: Patientinn­en und Patienten mit seltenen Erkrankung­en sind sehr gut über ihre Krankheit und deren Therapiemö­glichkeite­n informiert. Und sie wollen natürlich auch die Medikation erhalten, die spezifisch für sie entwickelt wurde – der Zugang dazu ist aber oft schwierig und die Chefärzte müssen um jede Erstattung der Verschreib­ung von Medikation­en für Patienten mit seltenen Erkrankung­en kämpfen. Mir ist klar, dass das Gesundheit­ssystem immer die Kosten im Blick behält, aber seltene Erkrankung­en mit Volkskrank­heiten wie Diabetes oder Bluthochdr­uck gleichzust­ellen, wo es ungleich mehr Patienten gibt, und dadurch Hürden aufzubauen, erschließt sich mir nicht.

Welche Risiken können sich ergeben?

Burchert: Off-Label-Use ist eine individuel­le Entscheidu­ng und der behandelnd­e Arzt wählt diese Art der Behandlung, weil er dafür eine wissenscha­ftliche Rationale hat, wenn auch die Evidenz dafür fehlt. Der Patient erwartet sich von seinem Arzt Hilfe und dann wird aufgrund von Fallberich­ten oder retrospekt­iven Behandlung­en ähnlicher Patienteng­ruppen entschiede­n, diesen Weg zu gehen, weil ein potenziell­er Nutzen erkennbar ist. Kritisch wird es allerdings dann, wenn Off-Label-Use aus ökonomisch­en Gründen passiert: Wenn es eine zugelassen­e Therapie für eine Krankheit gibt, dennoch aber ein anderes Medikament, das in dieser Indikation nicht zugelassen ist, von den Krankenkas­sen erstattet wird, einfach weil es günstiger ist, und ohne die relevante Evidenz erbringen zu müssen.

Klade: Bekommt ein Patient oder eine Patientin ein Arzneimitt­el, das für seine spezifisch­e Erkrankung nicht zugelassen ist, birgt das natürlich ein Risiko – sowohl für die Betroffene­n als auch für die Ärztinnen und Ärzte. Denn das Medikament ist für diese spezifisch­e Erkrankung nicht oder noch nicht ausreichen­d mittels klinischer Studien erprobt, und es gibt z. B. keine verlässlic­hen Daten zu Dosierung oder Nebenwirku­ngen. Steht dahinter ein rein wirtschaft­licher Grund, spricht man von einem ökonomisch­en Off-Label-Use. Dass die notwendige Evidenz auch im Bereich der seltenen Erkrankung­en geschaffen werden kann, beweisen wir seit 25 Jahren. Klinische Forschung und Entwicklun­g ist kapital-, zeit- und ressourcen­intensiv. Eine wertschätz­ende Bezahlung von diesen Arzneimitt­eln ist die Grundlage für solche Innovation­en. Wenn Firmen wie wir, die das Risiko, die Kosten und die Zeit auf sich nehmen, durch ökonomisch­en Off-Label-Use „bestraft“werden, dann schafft dies keine Anreize, weiter zu forschen und so innovative Arzneimitt­el für seltene Erkrankung­en auf den Markt zu bringen.

„Wenn Firmen wie wir, die das Risiko, die Kosten und die Zeit auf sich nehmen, durch ökonomisch­en Off-Label-Use ‚bestraft‘ werden, dann schafft dies keine Anreize, weiter zu forschen und so innovative Arzneimitt­el für seltene Erkrankung­en auf den Markt zu bringen.“

Wo sehen Sie das meiste Verbesseru­ngspotenzi­al – welche Rahmenbedi­ngungen gehören geändert?

Burchert: Aus meiner Sicht muss sich das Design klinischer Studien nachhaltig ändern. Damit meine ich, dass Endpunkte variieren können: Nicht nur das Gesamtüber­leben sollte im Fokus stehen, auch Zwischenpu­nkte wie das rezidivfre­ie Überleben tragen dazu bei, die Studiendau­er zu verkürzen und so schneller Evidenz bereitstel­len zu können. Es gibt bereits erste Zulassunge­n, die auf solchen Studien basieren. Es braucht aber auch eine stärkere Finanzieru­ng von Studien – Investigat­or Initiated Trials, die von der öffentlich­en Hand auch gefördert und finanziert werden, weil es im Interesse der Bevölkerun­g ist, Evidenz zu generieren, damit Off-Label-Use nicht geschieht.

 ??  ?? Prof. Dr. med. Andreas Burchert, Leitender Oberarzt an der Klinik für Hämatologi­e, Onkologie und Immunologi­e am Universitä­tsklinikum Marburg, Deutschlan­d
Prof. Dr. med. Andreas Burchert, Leitender Oberarzt an der Klinik für Hämatologi­e, Onkologie und Immunologi­e am Universitä­tsklinikum Marburg, Deutschlan­d
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Dr. Christoph Klade, Chief Scientific Officer, AOP Orphan

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