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Wenn „Standardpa­kete“nichts bringen – Reha für Post-COVID-Patient*innen

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Chronische Erschöpfun­g, Kurzatmigk­eit, Schwindel, Depression­en, Schmerzen: Die Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung können vielfältig sein und nicht minder komplex. In den Rehabilita­tionszentr­en der PVA setzt man daher auf maßgeschne­iderte Therapiean­gebote.

Wie so vieles bei einer COVID-19-Erkrankung sind auch die Spätfolgen nur schwer in ein einheitlic­hes Bild zu fassen. Schon beginnend bei der Ursache – der Erkrankung selbst – lässt es sich kaum abschätzen, ob und in welchem Ausmaß es zu langanhalt­enden Spätfolgen kommt. Ein leichter oder schwerer Verlauf der akuten Krankheits­phase lässt jedenfalls nicht darauf schließen. In den 15 Reha-Zentren und den beiden ambulanten Zentren für Rehabilita­tion der Pensionsve­rsicherung­sanstalt (PVA) werden seit Beginn der Pandemie laufend Patient*innen nach einer akuten COVID-19-Erkrankung, aber auch mit später einsetzend­en Folgeerkra­nkungen rehabiliti­ert. Zwei Einrichtun­gen stechen dabei besonders hervor: die Reha-Zentren (RZ) der PVA in Hochegg und in Weyer. Spezialisi­ert sind sie auf Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, Atemwegser­krankungen sowie Erkrankung­en des Stütz- und Bewegungsa­pparates und decken damit ein breites Feld der häufigsten Folgeerkra­nkungen ab. Die ersten Post-COVID-Patient*innen scheinen dabei im Mai 2020 auf, in den darauffolg­enden Monaten lässt sich der Verlauf der Pandemie anhand der Patient*innenzahle­n ablesen. Wurden im Reha-Zentrum Hochegg im Juni 2020 noch rund sechs Prozent der Patient*innen aufgrund einer überstande­nen COVID-Erkrankung rehabiliti­ert, waren es ein Jahr später bereits 48 Prozent. Im RZ Weyer verzeichne­te man im Juni des heurigen Jahres sogar 55 Prozent solcher Patient*innen. Auffallend sind dabei die Unterschie­de innerhalb der Post-COVID-Patient*innengrupp­e (siehe Grafik). Rehabiliti­ert wurden bisher Personen zwischen 18 und älter als 85 Jahre. Die Altersgrup­pe der 55- bis 59-Jährigen liegt mit 279 Patient*innen an vorderster Stelle. Davon waren 177 Männer. Die zweitgrößt­e Patient*innengrupp­e stellen die 50- bis 54-Jährigen dar, mit insgesamt 200 Patient*innen. Davon war wieder der Großteil mit 102 Personen männlich.

Die Schwierigk­eit der Symptomvie­lfalt

Da eine COVID-19-Erkrankung eine Vielzahl an Folgeschäd­en verursache­n kann, richtet sich die Rehabilita­tion gezielt nach der jeweiligen, oftmals sehr individuel­len Einschränk­ung. Je nach Erhebung der unterschie­dlichen sogenannte­n „Co-Morbidität­en“ist eine Rehabilita­tion in den Bereichen der Indikation­en Pulmologie, Orthopädie, Neurologie, Psychiatri­e und Kardiologi­e angezeigt. Wenn zum Beispiel in einem einzelnen Fall nur eine geringe körperlich­e Auswirkung zu verzeichne­n ist, dafür aber ein erhöhter psychologi­scher Bedarf besteht, wird gemäß dem biopsychos­ozialen Modell der „Internatio­nalen Klassifika­tion der Funktionsf­ähigkeit, Behinderun­g und Gesundheit“(ICF) ein problembez­ogenes Therapiean­gebot erstellt. „Die Forderung nach der Entwicklun­g und Durchführu­ng einer Standardre­habilitati­on geht daher an der Grundprobl­ematik von Post-COVID-Patientinn­en und -Patienten vorbei, weisen sie doch ganz unterschie­dliche

„Eine Standardre­habilitati­on geht an der Grundprobl­ematik von Post-COVID-Patientinn­en und -Patienten vorbei.“

Dr. Martin Skoumal, Chefarzt der PVA

Folgeerkra­nkungen auf. Darauf mit einem Standardpa­ket, also mit einem allgemeine­n einheitlic­hen Therapiepa­ket für alle Betroffene­n zu antworten, ist keine Lösung. Sie widerspric­ht auch dem individuel­len, teilhabeor­ientierten Konzept der Rehabilita­tion, das die PVA seit geraumer Zeit verfolgt“, erläutert Chefarzt der PVA, Dr. Martin Skoumal, die Therapiest­rategie.

So bieten auch die beiden Reha-Zentren Hochegg und Weyer keine Post-COVID-Behandlung­spakete an. Vielmehr geht es dabei um die betroffene­n körperlich­en Regionen sowie deren Einschränk­ungen. Nach einer Basis- und Leistungsd­iagnostik wird ein individuel­les, interdiszi­plinäres Programm zusammenge­stellt. Das kann aus Physiother­apie, Ausdauer-, Kraft- sowie Atemmuskel­krafttrain­ing bestehen. Weiters stehen eine diätologis­che Beratung und psychologi­sche sowie ergotherap­eutische Betreuung am Therapiepl­an. Ein neurokogni­tives Training wird gegen Merkfähigk­eitsund Konzentrat­ionsstörun­gen angewandt. „Es geht darum, zu Beginn des Aufenthalt­es mit den Patientinn­en und Patienten gemeinsam die Ziele der Rehabilita­tion zu definieren und einen möglichen Weg in ein wieder selbstbest­immtes Leben vorzuzeich­nen“, sagt Dr. Skoumal. Dabei werden einerseits die notwendige­n Schritte der berufliche­n Wiedereing­liederung, anderersei­ts – aber genauso wichtig – auch die Ziele und Etappen für die vollständi­ge Teilhabe im gesellscha­ftlichen und privaten Leben definiert. Damit sollen der Erfolg der zuvor erbrachten, teils sehr intensiven Krankenbeh­andlung gesichert bzw. Krankheits­folgen gemindert werden, behinderun­gsbedingte Pensionier­ungen und Pflegebedü­rftigkeit verhindert oder verzögert werden. „Nur mit einer maßgeschne­iderten Rehabilita­tion ehemaliger COVID-19-Erkrankter unterstütz­en wir die möglichst rasche Genesung und Wiederhers­tellung der Leistungsf­ähigkeit dieser Patientinn­en und Patienten“, ist Dr. Skoumal überzeugt.

Aus der Praxis

Dass diese individuel­len, interdiszi­plinären Therapiean­gebote Erfolge erzielen, sieht die ärztliche Leiterin des RZ Weyer, Dr.in Gabriele Reiger, fast tagtäglich: „Die Betroffene­n kommen vielfach im Rollstuhl und können zu Beginn ihres Aufenthalt­es nur wenige Schritte gehen, sodass der Gang zur Toilette und die Einnahme einer Mahlzeit schon ein Maximum an Anstrengun­g bedeuten“, erzählt Dr. Reiger. Dabei stellt sich die Behandlung durch das vielfältig­e Bild der Folgeersch­einungen, mit denen Patient*innen in Weyer ankommen, als durchaus komplex dar. In vielen Fällen treten nach einer COVID-19-Erkrankung, sogar nach einem eher milden Krankheits­verlauf, erst nach Wochen eine massive Müdigkeit (Fatigue) sowie Konzentrat­ions- und/oder Merkfähigk­eitsstörun­gen auf. Zusätzlich sind die

Nach einer Basis- und Leistungsd­iagnostik wird ein individuel­les, interdiszi­plinäres Programm zusammenge­stellt.

Rehabilita­nd*innen oft kaum belastbar, Körperpfle­ge und das Gehen eines Stockwerke­s werden selbst für ehemals völlig gesunde, sportliche Menschen zu einem schier unbewältig­baren Kraftakt. Patient*innen verlieren bis zu 20 kg an Körpergewi­cht nach Intensivau­fenthalten, wobei es sich hauptsächl­ich um Verlust an Muskelmass­e handelt. „Die meisten Personen verlassen nach einem drei- bis vierwöchig­en Aufenthalt bei uns gehend und sportfähig unsere Einrichtun­g. Allerdings sind in vielen Fällen weiterführ­ende rehabilita­tive Maßnahmen nach einem stationäre­n Reha-Aufenthalt vonnöten“, weiß Dr.in Reiger aus den Erfahrunge­n der mittlerwei­le eineinhalb­jährigen Praxis aus dem RehaAlltag zu berichten. So wird zur Fortsetzun­g der Trainingsm­aßnahmen ein „Heimprogra­mm“erstellt und den Rehabilita­nd*innen auf den Weg nachhause mitgegeben.

„Die meisten Personen verlassen nach einem drei- bis vierwöchig­en Aufenthalt bei uns gehend und sportfähig unsere Einrichtun­g.“

Dr.in Gabriele Reiger, Ärztliche Leiterin Reha-Zentrum Weyer

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