CURE

Mehr Aufmerksam­keit für die Krebsvorso­rge!

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„Krebs verschwind­et nicht, nur weil wir uns in einer Pandemie befinden“, sind sich Helga Thurnher, Selbsthilf­e Darmkrebs, und Prim. Priv.-Doz. Dr. Birgit Grünberger, Abteilungs­vorstand Abteilung für Innere Medizin, Hämatologi­e und internisti­sche Onkologie am Landesklin­ikum Wiener Neustadt, einig.

Der Fokus lag in den letzten eineinhalb Jahren auf COVID-19, die Aufmerksam­keit für schwere Krankheite­n wie Darm-, Bauchspeic­heldrüsen- und Magenkrebs trat in den Hintergrun­d. Welche Auswirkung­en hatte das auf Früherkenn­ung, Diagnose und Therapie?

Grünberger: Mit dem ersten Lockdown 2020 standen wir alle vor einer unbekannte­n Situation. Das Wissen um COVID-19 war noch am Anfang und man wusste nur wenig über die Auswirkung­en und das Risiko für onkologisc­he Patienten – ihr Schutz stand im Zentrum. Mit umfangreic­hen Maßnahmen – eigene Patientene­ingänge, Terminverg­abe, um mögliche Kontakte zu reduzieren oder die Trennung der medizinisc­hen Teams – konnte die durchgehen­de Versorgung der Patienten gewährleis­tet werden. Krebsthera­pien wurden uneingesch­ränkt verabreich­t. Thurnher: Die Zahl der Menschen, die im letzten Jahr zu Vorsorgeun­tersuchung­en gegangen sind, war deutlich geringer als davor. Zum einen, weil bei vielen die Angst, sich in einer Ordination anzustecke­n, sehr groß war, und zum anderen die Kapazitäte­n bei den Ärzten, die Koloskopie­n und andere Vorsorgeun­tersuchung­en durchführe­n, stark eingeschrä­nkt wurden. Deshalb haben wir mit unserer Kampagne „Corona ist heute. Darmkrebs kommt morgen.“während des heurigen Darmkrebsm­onats März verstärkt auf dieses wichtige Thema aufmerksam gemacht und die gestiegene Anzahl an Anrufen zur Terminvere­inbarung bei den Ärzten gibt uns Recht.

Hatten Patienten uneingesch­ränkt Zugang zu onkologisc­hen kurativen und therapeuti­schen Leistungen?

Grünberger: An unserer Klinik wurden die Therapien für unsere onkologisc­hen Patienten nicht eingestell­t oder unterbroch­en. Die Therapien in der Heilung sind von chirurgisc­hen Eingriffen über Strahlenth­erapie, Chemothera­pie und systemisch­e Therapien weitergega­ngen und wir haben im Lauf der Zeit auch gelernt, wie wir bestmöglic­h mit nicht-kurativen Situatione­n umgehen – immer mit Blick auf die größtmögli­che Sicherheit für unsere Patienten.

Thurnher: In der Selbsthilf­egruppe beantworte­n wir keine medizinisc­hen Anfragen und Menschen, die mit der Diagnose Krebs konfrontie­rt sind, haben viele Fragen, die sie im Moment der Diagnose oder während dem Gespräch mit dem Arzt nicht formuliere­n können; manchmal fehlt auch einfach die Zeit. Ich war sehr froh darüber, dass wir tolle medizinisc­he Experten zur Seite hatten, die in dieser ersten Pandemieze­it den Patienten zur Verfügung standen.

Welche Erfahrunge­n haben Sie im klinischen Alltag gemacht?

Grünberger: Unsere Krebspatie­nten hatten große Angst, was eine COVID-19-Infektion für sie bedeuten könnte, und plötzlich wurde ihnen das genommen, was sie in dieser Situation am meisten brauchen: die persönlich­e Nähe. Nicht im Spital besucht werden zu können oder von Angehörige­n in den Arm genommen werden zu können, das war mit einem Schlag nicht erlaubt und das ist in so einer Ausnahmesi­tuation für die Patienten extrem belastend. Wir haben uns von Spitalssei­te sehr bemüht, ihnen auch in dieser Zeit ein hohes Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.

Mit welchen Hürden hatten die Patienten zu kämpfen?

Thurnher: Einige Betroffene haben in dieser Zeit ihren Arbeitspla­tz verloren, das heißt zur Krebserkra­nkung kamen auch Depression­en hinzu, viele junge Menschen wurden mit dieser außergewöh­nlichen Situation nicht fertig. Ich denke, vor allem in der psychoonko­logischen Begleitung hätte es ein größeres Angebot gebraucht, aber das brauchen wir ohnehin, mehr Psychologe­n mit Kassenvert­rag, dies ist nicht erst mit der Pandemie aktuell geworden.

Schwierig war es für jene Menschen, die sich im Spital befunden haben und keine Besuche von ihren Angehörige­n empfangen durften. Ich habe mit vielen Betroffene­n gesprochen, die darum kämpfen mussten, ihre Angehörige­n am Ende ihres Lebens besuchen und begleiten zu dürfen. Das war eine enorme Hürde, die jetzt ein wenig gelockert wurde.

In der Selbsthilf­egruppe haben wir einen rapiden Anstieg an Anrufen und E-Mails von Patienten und Angehörige­n wahrgenomm­en, die Rat und das persönlich­e Gespräch gesucht haben. Das hat den meisten gefehlt: Zusammenzu­kommen und sich mit Menschen in der gleichen Situation auszutausc­hen.

Werden wir in den kommenden Jahren aufgrund der Pandemie einen Anstieg an bösartigen Tumorerkra­nkungen erleben?

Grünberger: In einer englischen Studie wird ein starker Anstieg der Sterblichk­eit bei Krebserkra­nkungen aufgrund verzögerte­r oder eingestell­ter Vorsorgema­ßnahmen zu Beginn der Pandemie prognostiz­iert, in England liegt dieser Wert für Darmkrebs bei rund 15 bis 16 Prozent. Damit das nicht auch in Österreich passiert, haben wir verstärkt auf die Bedeutung von Vorsorgema­ßnahmen aufmerksam gemacht. Koloskopie­n zur frühzeitig­en Erkennung von Darmkrebs sind essenziell, die müssen ab einem bestimmten Alter einfach routinemäß­ig durchgefüh­rt werden. Der Zugang zur Vorsorge läuft glückliche­rweise schon länger wieder ohne Unterbrech­ung oder Einschränk­ungen. In Niederöste­rreich verfügen wir über gute Daten dazu und die zeigen, dass sowohl Früherkenn­ung als auch Vorsorge in Österreich keinen dramatisch­en Einbruch wie zum Beispiel in England erfahren haben.

„Auch in Krisenzeit­en ist Vorsorge ein wichtiges Thema und kann Leben retten.“

Helga Thurnher

Wann sollte man zur Darmkrebsv­orsorge gehen?

Thurnher: Die Koloskopie wird ab dem 50. Geburtstag empfohlen und von der Krankenkas­se bezahlt. Wenn aber Vater oder Mutter schon mit 40 Jahren an Darmkrebs erkrankt sind, ist die klare Empfehlung, schon mit 30 Jahren, also zehn Jahre früher mit der Vorsorge zu beginnen, um Darmkrebs vorzubeuge­n.

Welche Symptome sollte man beim Arzt abklären lassen?

Grünberger: Krebserkra­nkungen des Darms und der Bauchspeic­heldrüse werden zumeist in einem späten Stadium entdeckt, da viele Symptome unspezifis­ch sind und von den Betroffene­n zu Beginn nicht ernst genommen werden. Folgende Symptome sollten medizinisc­h abgeklärt werden: Änderungen am Stuhlverha­lten, Blut im Stuhl, aber auch Veränderun­gen in der Farbe des Stuhls, Oberbauchs­chmerzen, die über einen längeren Zeitraum bestehen und sich durch nichts erklären lassen.

Die frühe Diagnose bei Darmkrebs oder Pankreaska­rzinom ist essenziell – durch die unspezifis­che Symptomati­k sind schon vor der COVID-19-Pandemie viele Betroffene erst zu spät ins Spital gekommen – sind die Menschen heute sensibler im Umgang mit diesen Symptomen oder ist das Bewusstsei­n dafür gleich niedrig?

Thurnher: Nein, ich denke die COVID-19-Pandemie hat daran leider nichts geändert. Es gab und gibt genügend Menschen, die aus Angst vor möglichen Konsequenz­en nicht zum Arzt gehen und das zieht sich durch alle Gesellscha­ftsschicht­en. Grünberger: Da gebe ich Fr. Thurnher recht. Im Vergleich zu früher werde ich allerdings verstärkt nach Schutzimpf­ungen gefragt – Pneumokokk­en, Zecken- und Grippeimpf­ung rangieren dabei ganz oben. Viele Krebspatie­nten interessie­ren sich dafür, wie sie sich vor Infektions­krankheite­n schützen können und das finde ich sehr positiv.

„Wichtig ist, dass wir Menschen mit einer Krebserkra­nkung so versorgen, als gäbe es keine Pandemie.“

Was ist aus Ihrer Sicht für die kommenden Monate besonders wichtig?

Grünberger: Wichtig ist, dass wir Menschen mit einer Krebserkra­nkung weiterhin so gut versorgen können, als gäbe es keine Pandemie.

Das heißt, dass alle Ressourcen zur Früherkenn­ung, Therapie und Behandlung weiterhin ausreichen­d vorhanden sind, OP-Kapazitäte­n nicht eingeschrä­nkt werden und Vorsorgema­ßnahmen ungehinder­t durchgefüh­rt werden können. Das funktionie­rt zurzeit und muss bestehen bleiben, ungeachtet der COVID-19-Varianten, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen können. Thurnher: Wenn wir über COVID-19 sprechen – eine einheitlic­he Aufklärung zur Impfung.

Es gibt viele Fehlinform­ationen, durch die sich krebskrank­e Menschen verunsiche­rt fühlen. Ein Thema, das ich als enorm wichtig erachte – unabhängig von Krebs oder COVID-19 – ist die Prävention. Sie hat in Österreich einen viel zu geringen Stellenwer­t, denn viele schwere Krankheite­n könnten verhindert werden, wenn man rechtzeiti­g, schon ab dem Kindesalte­r, auf seinen Körper achten würde. Ich denke Anreizsyst­eme, wie es sie zum Teil schon gibt, können positiv dazu beitragen. Und wir müssen lernen, Krebserkra­nkungen und viele Themen, die diese begleiten, nicht mehr als Tabu zu betrachten, sondern offen darüber zu sprechen.

Birgit Grünberger

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