Mehr Arzneistoffproduktion in Europa
Thomas W. Veitschegger, seit Jänner Präsident des Österreichischen Apothekerverbands, spricht über Versorgungsengpässe am Arzneimittelmarkt und zieht Bilanz über die Rolle der Apotheken während der COVID-19-Pandemie.
Wir haben nun zweieinhalb recht turbulente Jahre hinter uns. Wie ist die Zeit seit Beginn der COVID-19-Pandemie aus Sicht der Apotheken zu bewerten?
Thomas W. Veitschegger: Es waren tatsächlich sehr herausfordernde zweieinhalb Jahre und für die Apotheken waren sie sicherlich eine Berg- und Talfahrt. Gleich zu Beginn der Pandemie, während des ersten allgemeinen Lockdowns, hatten wir in personeller Hinsicht große Herausforderungen: Die Apotheken mussten Teamlösungen finden, damit Mitarbeiter:innen unabhängig voneinander arbeiten können. So wurde das Ansteckungsrisiko minimiert. Als weiteren Schutz haben wir mit Plastik- und Glaswänden zu den Patient:innen und Kund:innen hin gearbeitet. Und es war zu Beginn auch beruflich eine große Herausforderung: Wir haben etwa Desinfektionsmittel hergestellt, da diese ja vonseiten der Industrie nicht mehr lieferbar waren. Etwas später haben wir im Auftrag des Bundes Tests verteilt.
Was hat man daraus gelernt?
Thomas W. Veitschegger: Beim Verteilen der Tests hat sich natürlich die Niederschwelligkeit der Apotheken sehr gut bewährt und auch die flächendeckende Versorgung, die wir in Österreich anbieten. Innerhalb von zehn Minuten erreichen die Österreicher:innen im Schnitt ihre nächste Apotheke. Deswegen hat die Bundesregierung auch auf uns zurückgegriffen.
Schließlich sind wir auch Teil des allgemeinen Testregimes geworden. Wir mussten die Bevölkerung praktisch von einem Tag auf den anderen testen, zuerst mit Antigen-Tests, später dann auch mittels PCR-Test. Daraus ergaben sich neue Zusammenarbeiten mit Labors. Das war insgesamt eine wirklich große Herausforderung, auch weil wir die Ersten an der Kundin beziehungsweise am Kunden waren und sind und wir den gesamten Frust der Bevölkerung aufnehmen mussten, wenn etwa keine Tests verfügbar waren.
Wie sind die Apotheken damit umgegangen, die Test-Infrastruktur so schnell auf die Beine zu stellen?
Thomas W. Veitschegger: Die Apotheken haben hier außerordentlich flexibel reagiert, nachdem von einem Tag auf den anderen die Anforderung an uns gestellt worden war. Einige Apotheken haben die Tests in ihren Betriebsräumlichkeiten durchführen können, andere haben wiederum Container gebraucht. Das musste alles in kürzester Zeit organisiert werden, was uns auch gelungen ist.
„Ich bin stolz auf die Apotheker:innen, wie sie die Pandemie bis jetzt gemeistert haben.“
Mag. pharm. Thomas W. Veitschegger, Präsident des Apothekerverbands
Am Anfang haben wir nur mit Papier gearbeitet, bis dann die digitale Plattform zur Verfügung gestanden ist. Das waren riesige Herausforderungen, sowohl für die Betriebe als auch fürs Personal. Die Apotheken mussten meistens zusätzliche Mitarbeiter:innen mit entsprechender Qualifikation aufnehmen.
Für mich hat sich da gezeigt, dass in den Apotheken wirkliche Unternehmer:innen stehen, denen die Versorgung der Bevölkerung ein großes Anliegen ist. Ich bewundere alle, wie schnell sie reagiert haben und wie schnell sie diese Aufgaben bewältigt haben.
Und wie war das Feedback der Bevölkerung?
Thomas W. Veitschegger: Natürlich haben wir oft auch den Frust der Kund:innen gespürt, aber wir haben auch sehr viel Dankbarkeit erhalten. Wir sehen auch in unseren Umfragen, dass die Bedeutung der öffentlichen Apotheke in der Wahrnehmung der Bevölkerung in den vergangenen Jahren gestiegen ist.
Was glauben Sie, woran das liegt?
Thomas W. Veitschegger: Man kann das sicher auf die Ansprechbarkeit und Niederschwelligkeit zurückführen. Es gibt ja Personen, die haben kein Handy, die sind nicht so digital-affin, die sind zu uns gekommen, weil sie beim Vereinbaren der Test-Termine Hilfe benötigt haben oder auch beim Ausdrucken der Impfzertifikate, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Die Apotheke als sichere Anlaufstelle, die immer da war und da ist, hat sich bewährt. Ein Ort, wo Kund:innen nachfragen können, wo sie getestet werden, wo sie persönlich beraten und betreut werden. Das Angebot der Apotheken ist wieder viel stärker ins Bewusstsein gerückt, auch wenn es schon vorher so war. Während viele Einrichtungen anderer Branchen vorübergehend schließen mussten, sind die Apotheken offen geblieben, sind erreichbar geblieben und waren rund um die Uhr da. Das hat die Bevölkerung sehr positiv wahrgenommen. Ich bin sehr stolz auf die Apotheker:innen, wie sie die Pandemie bis jetzt gemeistert haben. Und ich bin auch stolz auf die Berufsvertretung, die innerhalb kürzester Zeit die Rahmenbedingungen geschaffen hat.
Wie war die Situation von Apotheken im europäischen Vergleich?
Thomas W. Veitschegger: Da gab es schon Unterschiede, aber eher in Nuancen. In Deutschland haben die Apotheken nicht so viel getestet, aber sie waren viel stärker in die Ausgabe von Masken involviert. Die Apotheken waren europaweit überall sehr engagiert in der Bewältigung der COVID-19-Pandemie.
Die Zeit der Krisen ist ja noch nicht vorbei. Andere Branchen kämpfen mit großen und unerwarteten Versorgungsproblemen. Was wird getan, um sich in der Arzneimittelbranche auf allfällige Versorgungsengpässe vorzubereiten? Hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren etwas verändert, das man zuvor vielleicht gar nicht für möglich gehalten hat?
Thomas W. Veitschegger: Wir kämpfen ja schon seit Jahren mit Lieferschwierigkeiten. Das merken die Kund:innen zum Glück weniger, weil die Apotheker:innen sich rechtzeitig damit auseinandersetzen und etwa Präparate aus dem Ausland importieren, wenn Arzneistoffe in Österreich nicht verfügbar sind.
Vor einigen Jahren gab es in chinesischen Produktionsstätten verunreinigte Wirkstoffgruppen für die Blutdrucksenkung, die deshalb am europäischen Markt nicht mehr verfügbar waren. Das spüren wir sofort.
Die Apothekerschaft kümmert sich mit sehr großem Mehraufwand darum, die Versorgung sicherzustellen. Die Lösung wäre, mehr Arzneistoffproduktion in Europa anzusiedeln. Da fordere ich die europäische Politik und die Pharmaindustrie auf, hier Rahmenbedingungen zu schaffen. Das kann nur eine europäische Aufgabe sein und wir sollten uns nicht von geografisch weit entfernten Produzent:innen abhängig machen. Wir haben das Know-how, wir brauchen nur die Rahmenbedingungen.
Für welche Wirkstoffgruppen wäre das relevant?
Thomas W. Veitschegger: Für alle, aber um zwei Beispiele zu nennen: Penicillin und Blutdrucksenker. Die Pharmagrundstoffe werden sehr häufig in China und Indien produziert. Wenn es irgendwo ein Problem gibt, fehlt uns das hier in Europa.
Bis jetzt gab es Ankündigungen der Politik, aber ich sehe noch keine Bewegung.