Seit 25 Jahren kontroversiell
„A Moonshot for a true European Health Union”, lautet das Motto des European Health Forum Gastein 2022. Clemens Martin Auer, Präsident des EHFG, über die Herausforderungen auf dem Weg zur europäischen Gesundheitsunion.
Was steckt hinter dem Motto des EHFG?
Clemens Martin Auer: In den vergangenen drei Jahren der Pandemie stand die Gesundheit im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Wir Menschen im Gesundheitssektor müssen nun darauf achten, dass dies auch so bleibt und wir den nächsten Quantensprung in einer europäischen Dimension erreichen können: die European Health Union.
Wo braucht es diesen Quantensprung am dringendsten?
Die Pandemie hat auf jeden Fall gezeigt, dass die Mitgliedsländer und die Europäische Kommission auf globale Gesundheitskrisen nie wieder schlecht vorbereitet sein wollen. Im Gegenzug fehlt jedoch der Fortschritt etwa bei der internen europäischen Qualität rund um die Erbringung von Gesundheitsleistungen. Denn die Mitgliedsländer behalten sich immer noch vor, Leistungen des Gesundheitssystems als ihre alleinigen Angelegenheiten zu betrachten. Das schafft innerhalb der EU unendlich große Ungleichgewichte. Wir alle sollten in den Genuss von hochqualitativen Leistungen im Gesundheitsbereich kommen. Wir müssen vor allem in Krisensituationen gemeinsam handeln können und das Interesse der Bürger:innen in den Mittelpunkt stellen, nicht die Interessen der Krankenversicherer oder der Berufsgruppen, die eifersüchtig auf ihre Rechtsbestände achten.
Wo gibt es sonst noch Ungleichgewichte?
Im Bereich der Gesundheitsberufe hat man es zwar geschafft, dass die Ausbildung der akademisch gebildeten Gesundheitsberufe, insbesondere der Ärzt:innen, durch den Bologna-Prozess vereinheitlicht wurden. Das hört aber bei den Pflegeberufen schon wieder auf. Auch das Arzneimittelwesen ist zwar – was das Zulassungssystem und die Qualität der Arzneimittel betrifft – europäisiert worden, aber der Zugang zu innovativen Arzneimitteln ist für europäische Bürger:innen nicht gleichberechtigt. Ein neues, tatsächlich innovatives Produkt ist oft nur in einigen wenigen Mitgliedsländern erhältlich – dort, wo man auch bereit und in der Lage ist, den hohen Preis dafür zu zahlen.
Hier sind wir von einer tatsächlichen European Health Union noch meilenweit entfernt. Auch beim Thema One Health reicht es schon lange nicht mehr, nur die näheren Bedingungen oder die kurativen Elemente des Gesundheitssystems sowie die Prävention zu betrachten. Man muss sich auch die Determinanten anschauen, die unseren Gesundheitszustand generell beeinflussen, etwa Ernährung, Umwelt, Klimakrise, Krieg etc. Dafür braucht es ein globales Denken und intersektoralen Diskurs mit neuen Kollaborationen. Dieses Bewusstsein muss man wesentlich stärker in den Vordergrund rücken, und das werden wir beim heurigen EHFG tun.
Anlässlich des 25. EHFG: Wie blicken Sie auf die bisherigen Jahre zurück?
25 Jahre EHFG ist natürlich die Geschichte eines seit 25 Jahren bestehenden Marktplatzes der besten Ideen für die Weiterentwicklung der Gesundheitssysteme in den Mitgliedsländern der EU, aber auch darüber hinaus in der gesamten paneuropäischen Welt. Wir sind nach wie vor die einzige Konferenz, die ein breites Feld von Stakeholder:innen im Programm und als aktive Teilnehmer:innen vereint. Daraus entstehen seit 25 Jahren kontroversielle Diskussionen. Die Notwendigkeit einer sogenannten cross-border directive, also eine Regulation für grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistungen und deren Inanspruchnahme, ist in Gastein geboren worden. Das hat sich zum Beispiel aus einer solchen kontroversiellen Diskussion entwickelt.
Aber auch viele Themen im Bereich der digitalen Versorgung, der Digitalisierung des Gesundheitssystems sowie auch der gleichberechtigte Zugang zu Arzneimitteln sind in den 25 Jahren in Gastein immer wieder ein zentrales Thema gewesen.
„Den nächsten Quantensprung in einer europäischen Dimension“
erwartet Clemens Martin Auer, Präsident des EHFG.