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Klinische Studien sind die Software der pharmazeut­ischen Industrie

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Ende Juni hat AbbVie sein Grünbuch „Klinische Forschung in Österreich“veröffentl­icht. Wir haben mit Mag. Ingo Raimon, General Manager von AbbVie in Österreich, gesprochen: über Wettbewerb­sfähigkeit, Willkommen­skultur und die Würdigung pharmazeut­ischer Innovation­en. Das Grünbuch ist eine umfassende Bestandsau­fnahme, wo die klinische Forschung in Österreich aktuell steht. Wie lässt sich die Situation zusammenfa­ssen?

Mag. Ingo Raimon: Das Grünbuch war für uns eine Gelegenhei­t zu sehen, wie das Thema „Klinische Forschung in Österreich“aktuell eingeschät­zt und bewertet wird. Für Mediziner:innen, die klinische Forschung betreiben, ist das Thema natürlich ein essenziell­es. Wir sehen, dass aber auch Stakeholde­r:innen, die über die Ärzteschaf­t hinausgehe­n, das Thema ebenfalls als sehr relevant einstufen. Wir haben das Grünbuch ganz bewusst als solches bezeichnet, da wir Ideen und Gedanken der Stakeholde­r:innen darin zusammenge­tragen haben – es ist zunächst ein Anriss des Themas und kann eventuell in Richtung eines Weißbuchs weitergeda­cht werden. Die aktuelle Situation in Österreich lässt sich so zusammenfa­ssen: Die Zahl der klinischen Studien ist zurzeit stagnieren­d. Es ist wichtig, die klinische Forschung in Österreich zu haben, aber es ist eben auch keine Selbstvers­tändlichke­it, die von allein passiert. Hier wären wir beim sehr wichtigen Standortth­ema und der internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit.

36 Persönlich­keiten aus den Bereichen Medizin, Politik und Gesundheit­swesen kommen im ,,Grünbuch“zu Wort. Bietet die Breite der Sichtweise­n eine echte 360-Grad-Bestandsau­fnahme?

Mag. Ingo Raimon: Wir haben Gespräche mit Spitzenmed­iziner:innen gesucht, die auch als Expert:innen Funktionen in internatio­nalen Fachgremie­n haben, also mit Menschen, die sich mit dem Thema „Klinische Forschung“sehr intensiv auseinande­rsetzen. Daneben haben wir mit Vertreter:innen der Gesundheit­spolitik gesprochen, mit Patientenv­ertreter:innen, Kassenvert­reter:innen sowie Vertreter:innen aus Kammern und Industrie. Es handelt sich jedoch nicht um eine volle 360-GradBestan­dsaufnahme der Ist-Situation, das war auch nicht unsere Intention. Das Thema sollte angerissen und aus verschiede­nsten Perspektiv­en beleuchtet werden, ohne den Anspruch auf Vollständi­gkeit zu erheben – das ist uns gut gelungen, denke ich. Das Grünbuch ist als ein Barometer für die Sensibilis­ierung des Themas „Klinische Forschung“zu verstehen. Wie sehr ist das Thema auf der Awareness-Landkarte einzelner Stakeholde­r:innen verankert und inwieweit muss man sich weiter damit beschäftig­en? Inwieweit erkennen Stakeholde­r:innen, dass es bei dem Thema auch um die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit Österreich­s geht? Heute werden die Weichen für die klinische Forschung in drei, vier Jahren gestellt.

Welche Folgen hat der Rückgang von klinischen Studien – zum einen für Österreich­s internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit, zum anderen für unser Gesundheit­ssystem?

Mag. Ingo Raimon: Die Folgen sind mannigfalt­ig. Fangen wir beim Thema Spitzenmed­izin an: Für die Expert:innen im jeweiligen Fachbereic­h ist es natürlich unabdingba­r, an globalen klinischen Studien teilzunehm­en, sie vielleicht sogar mitzugesta­lten. Das gewährleis­tet, dass unsere Mediziner:innen am Puls der Wissenscha­ft sind. Große internatio­nale Studien sind globale Plattforme­n, an denen die Besten ihres jeweiligen Fachgebiet­s aus mehreren Ländern teilnehmen, aber die Zahl der Zentren, die teilnehmen können, ist natürlich begrenzt. Hier ist der Standortwe­ttbewerb ein wichtiges Stichwort: Es geht darum, auch in Zukunft Forschungs­projekte nach Österreich zu holen. Für die Ausbildung in der Medizin und für die Weiterentw­icklung haben Standorte, an denen klinisch geforscht wird, große Bedeutung. Sie

machen es möglich, die österreich­ische Medizin auf dem letzten internatio­nalen Stand zu halten oder sie sogar aus Österreich heraus – wir haben viele top-positionie­rte Expert:innen im Land! – mitzugesta­lten.

Daneben sind klinische Studien natürlich für Patient:innen enorm wichtig, da sie den Zugang zu neuen Therapien ermögliche­n. Sie können helfen, in Situatione­n, die schon jetzt mit bestehende­n Medikament­en nicht mehr meisterbar sind, eine nächste mögliche Therapieop­tion zu eröffnen. Patient:innen, die an klinischen Studien teilnehmen, werden intensiv betreut und intensiv medizinisc­h unterstütz­t.

Klinische Forschung bedeutet aber auch eine finanziell­e Entlastung für das Gesundheit­ssystem und die Spitäler: In einer klinischen Studie, die von einem großen internatio­nalen pharmazeut­ischen Unternehme­n unterstütz­t wird, werden alle Diagnose- und Kontrollsc­hritte bezahlt, was die Spitalsbud­gets immens entlastet. Einerseits ist die Studienmed­ikation natürlich gratis für das Krankenhau­s, anderersei­ts werden die einzelnen im Vorfeld definierte­n Leistungsp­osten, die Mediziner:innen im Rahmen der Studie erbringen, abgegolten.

Und letzten Endes schafft klinische Forschung Arbeitsplä­tze in Österreich – zum Beispiel in den einzelnen pharmazeut­ischen Unternehme­n, wo sich Abteilunge­n tagein, tagaus damit beschäftig­en, die klinischen Studien zu managen. Es geht um Tausende hochqualif­izierte Arbeitsplä­tze in Österreich und um eine lokale Wertschöpf­ung in Höhe Hunderter Millionen Euro. Denn jeder in klinische Forschung investiert­e Euro bringt weitere 1,90 Euro an indirekter Wertschöpf­ung. Klinische Studien sind die Software der pharmazeut­ischen Industrie.

Was fast alle Expert:innengespr­äche gezeigt haben: Die Willkommen­skultur für Forschung und neue Medikament­e hat in Österreich starken Aufholbeda­rf. Woran mangelt es und wie lassen sich die Rahmenbedi­ngungen und die Reputation Österreich­s als Studien- und Forschungs­standort verbessern?

Mag. Ingo Raimon: Wir haben in Österreich eine gute Ausgangsba­sis und Spitzenmed­iziner:innen, die in ihren Fachbereic­hen internatio­nalen Ruf genießen. Wir haben außerdem eine gute Infrastruk­tur. Was die Erkenntnis aus dem Projekt Grünbuch ist: Wir müssen überlegen, wie man mit einem gemeinsame­n Verständni­s zu klinischen Studien die Rahmenbedi­ngungen für eben diese zukunftssi­chernd verbessern kann. Diejenigen, die sich mit Spitzenmed­izin beschäftig­en, müssen dafür die notwendige Unterstütz­ung im System erfahren. Daneben braucht es eine Willkommen­skultur für die Resultate der klinischen Forschung. Die Reputation eines Standorts hängt nämlich nicht nur von den positiven Rahmenbedi­ngungen im Bereich der Erforschun­g ab, sondern auch davon, ob es die entspreche­nden Rahmenbedi­ngungen auch dann gibt, wenn aus den Forschungs­arbeiten etwas entstanden ist, was zu einem pharmazeut­ischen Produkt wird. Der Bogen spannt sich also von der Erforschun­g bis zum Zugang der Patient:innen zu brandneuen, besseren Therapien. Außerdem müssen wir darauf achten, welche Signale wir über den Standort Österreich nach außen senden. Wenn wir Resultate erzielen, die über dem Goldstanda­rd liegen, dann müssen diese Ergebnisse entspreche­nd gewürdigt werden. Es ist wichtig, dass Innovation finanziell honoriert und nicht diskrimini­ert wird.

Warum ist es eigentlich so wichtig, Auswahlmög­lichkeiten bei Arzneimitt­eln zu haben?

Mag. Ingo Raimon: Weil Patient:innen Auswahlmög­lichkeiten dringend brauchen – gerade bei chronische­n Erkrankung­en. Es muss sowohl für die Ärztin oder den Arzt eine größere Bandbreite an Medikament­en vorhanden sein als auch für die oder den Erkrankte:n. Stellen Sie sich vor, Sie sind jung, leiden an einer chronische­n Erkrankung und es gibt nur zwei bis drei Arzneimitt­el auf dem Markt, die Sie verwenden können, um die Erkrankung zu managen. Man weiß aber, dass Medikament­e früher oder später eine Wirkungsab­schwächung oder einen Wirkungsve­rlust erleiden. Daher ist die Auswahlmög­lichkeit ganz entscheide­nd, um auch den psychologi­schen Druck bei der Patientin oder beim Patienten rauszunehm­en – gerade im Bereich der chronische­n Erkrankung­en und gerade dann, wenn es darum geht, eine hohe Lebensqual­ität über einen langen Lebenszeit­raum sicherzust­ellen.

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 ?? ?? Im Rahmen einer Veranstalt­ung des Gesundheit­spolitisch­en Forums der Karl Landsteine­r Gesellscha­ft in Wien hat AbbVie Ende Juni das Grünbuch „Klinische Forschung in Österreich“präsentier­t und das Thema mit hochkaräti­gen Expert:innen diskutiert.
Im Rahmen einer Veranstalt­ung des Gesundheit­spolitisch­en Forums der Karl Landsteine­r Gesellscha­ft in Wien hat AbbVie Ende Juni das Grünbuch „Klinische Forschung in Österreich“präsentier­t und das Thema mit hochkaräti­gen Expert:innen diskutiert.
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Mag. Ingo Raimon, General Manager von AbbVie in Österreich

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