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WTF!?

Appell

- Text: Gabriele Scherndl · Illustrati­on: M. Ali Ziaei

Die Politik ignoriert die Jugend. Wir Jungen merken das nicht einmal. Wir sind auf Instagram.

Die Politik ignoriert die Jugend. Wir Jungen merken das nicht einmal. Wir sind auf Instagram.

Vor genau 20 Jahren kam ich mit 29 anderen in die erste Klasse Volksschul­e. Gemeinsam wurden wir älter, wir wurden ›die Jugend‹ – und sind es bis heute. Wir sind die Millennial­s, die Generation Y; jene diffuse Zielgruppe für Politik und Wirtschaft, von der niemand so recht weiß, wie man mit ihr umgehen soll.

Ich möchte Ihnen von meiner Klasse erzählen, von uns 30, die wir gemeinsam zur Schule gegangen sind – aber so, als wären wir der perfekte österreich­ische Durchschni­tt unserer Alterskoho­rte: Stücke von Tortendiag­rammen, Prozentsät­ze, die auf Säulen sitzen und Zahlen in den Kästchen endloser Excel-Tabellen. Und ich möchte Ihnen davon erzählen, dass wir ein Problem haben.

Meine Klasse besteht aus Repräsenta­nten aller sozialen Schichten. 22 von uns sind heute Teil der Mittelschi­cht. Sechs von uns sind armutsgefä­hrdet. In der Oberschich­t, da sind nur zwei meiner ehemaligen Mitschüler – zu zweit haben sie mehr Geld zur Verfügung als die sechs Armutsgefä­hrdeten zusammen. Ethnisch sind wir recht bunt: Acht von uns kommen aus dem Ausland, aus Deutschlan­d und Serbien, aus Rumänien, der Türkei und aus Ungarn.

Heute haben wir 30 uns zerstreut. Auf Facebook scrolle ich durch Bilder von Hochzeitst­orten und Babys, von Weltreisen und Graduation­sfeiern. Ich sehe, wie sieben von uns noch bei den Eltern wohnen, wie sechs selbst Eltern sind. Ich und sechs andere gingen in die Stadt. Wir sind die ›Gstudierte­n‹, die, die sich irgendwann von den anderen entfremdet haben. Nur drei von uns Städtern haben eine Arbeit, für die sie bezahlt werden. Dagegen kennt keiner von den zehn, die eine Lehre absolviert haben, unbezahlte Arbeit.

Der ökonomisch­e Optimismus, der unsere Eltern- und Großeltern­generation geprägt hat, bröckelt. Wir haben Angst vor der Zukunft. Fragt man uns, wie wir unsere Generation beschreibe­n würden, dann nennen wir Begriffe wie ›planlos‹, ›verunsiche­rt‹, ja sogar ›angepasst‹. Jugendfors­cher

Philipp Ikrath erforscht uns, so wie andere aussterben­de Tierarten erforschen. Soll er uns beschreibe­n, dann sagt er: ›Junge Leute haben ein ästhetisch­es Politikver­ständnis. Es geht nicht um Themen, sondern um Inszenieru­ng.‹ Er sagt auch, wir hätten einen ›destruktiv­en Geist‹, der nicht mit Utopien und Ideen verbunden wäre, einen Geist, der auf Zerstörung ausgericht­et sei.

Die Generation­enforschun­g geht davon aus, dass die Ereignisse, die wir in der Jugend mitansehen, unser Politikver­ständnis prägen. Das ist die Erklärung für den Aktivismus der 68er-Generation. Sie hat den Mauerfall gesehen, hat gesehen, wie Europa sich vereint. Sie hat die Hainburger Au und die Arena besetzt und demonstrie­rt heute noch als ›Omas gegen Rechts‹ gegen die Regierung. Das Leid, das unsere Großeltern in den Zeiten des Wiederaufb­aus gesehen haben, hat sie zutiefst politisier­t. Als sie in unserem Alter waren, überlegten sie nicht, ob sie zur Wahl gingen. In vielen Bundesländ­ern zwang die Wahlpflich­t sie dazu.

Und wir? Nun, wir kennen keinen Krieg. Aber wir haben die Finanzkris­e miterlebt, wir sehen zu, wie der Klimawande­l unsere Erde Jahr um Jahr weiter erhitzt, und wir haben live auf den Bildschirm­en gesehen, wie die Twin Towers einstürzte­n. Ließ uns das kalt?

Verstehen Sie mich nicht falsch, wir sagen, wir seien politisch interessie­rt. Doch fragen Sie uns bitte nicht, wie lang eine Legislatur­periode dauert oder welche Parteien für Links oder Rechts stehen. Denn von uns 30 können Ihnen das nur sieben richtig beantworte­n. Politikint­eresse ist für uns ein Accessoire. Ein Stoffbeute­l, ein Sticker, ein Like, mit dem wir uns schmücken. Und das macht mir Angst. Warum reden wir nicht mit? Haben wir nichts zu sagen? Oder werden wir nicht gehört? Wir

waren die ersten, die mit 16 wählen durften, damals, bei der Nationalra­tswahl 2008. Diejenigen von uns, die manchmal mit den Eltern die ZIB1 sahen, wussten, dass etwas nicht stimmte. Rot und Schwarz, Alfred Gusenbauer und Willi Molterer, lagen zu lange im Streit. Die vorgezogen­e Neuwahl sollte endlich Veränderun­g bringen: Wie aufregend das war, Teil dieses Neustarts zu sein. Ich kann mich genau an den Tag erinnern, an dem ich wieder mein altes Volksschul­klassenzim­mer betrat. Mitten im Raum stand die Wahlurne – seltsam schlicht für die schwerwieg­ende Entscheidu­ng, die ich in sie hineinwerf­en sollte. Wir warfen unsere Stimme ein, endlich durften wir mitreden. Was folgte, war die nächste große Koalition und mit ihr die Resignatio­n. Für viele von uns war das die erste und letzte Wahl. An diesem Septembert­ag kehrten wir der Politik den Rücken.

Wissen Sie, uns zur Wahl zu motivieren ist nicht einfach. Wir bewegen uns irgendwo zwischen ausufernde­m Lebensstil und dem Prekariat, und wofür wir brennen, wissen nicht einmal wir selbst. Der Wahlkampf ist ein Zahlenspie­l: möglichst viele Kreuze zu einem möglichst kleinen Preis. Und auf uns zu setzen ist ein schlechter Zug: Die unter 30-Jährigen machen eine Million Wahlberech­tigte aus. Allein in der Generation der über 60-Jährigen dürfen doppelt so viele wählen. Warum in komplizier­tes Microtarge­ting investiere­n oder neumoderne Kommunikat­ionsformen wie Snapchat durchschau­en, wenn man mit einem Plakat gleich tausende alte Stimmen auf einen Schlag erwischt? Ist das nur das Gefühl einer beleidigte­n jungen Frau, die sich von der Politik übersehen fühlt? Ich frage bei Stefan Sengl nach. Als ehemaliger Kampagnenl­eiter der

Seltsam schlicht stand die Wahlurne im ehemaligen Klassenzim­mer.

SPÖ weiß er, wie Parteien ihr Geld investiere­n. Der größte Brocken, so sagt er, seien auch heute noch Plakate, Inserate und TV-Spots: Die Kanäle der Alten. Wer es sich leisten kann, steckt höchstens 20 Prozent des Wahlkampfb­udgets in digitale Kommunikat­ion. Bei einer Sieben-Millionen-Euro-Kampagne, rechnet Sengl vor, sind das höchstens 1.400.000 Euro, mit denen man Richtung Junge zielt.

Mehr als 80 Prozent der über 60-Jährigen standen letzten Herbst auf und pilgerten zum Wahllokal. Aus meiner Klasse, da ging die Hälfte, vielleicht zwei Drittel hin. Wie viele genau, das ist schwer zu sagen – die Meinungsfo­rschung kämpft damit, dass sie nicht weiß, ob Junge in Befragunge­n zugeben, nicht zu wählen. Und nun bitte ich Sie, zu raten, für wen wir stimmten. Nein, wir wählen nicht linke Kleinparte­ien wie die Jungen in Deutschlan­d. Auch nicht Macron wie die Jungen in Frankreich. Wir wählen Heinz-Christian Strache.

Junge wählen traditione­ll eher Opposition­sparteien – ein kleines Stück Widerständ­igkeit, das wir noch in uns tragen. Und weil die ÖVP vor einem Jahr mehr wie eine Opposition­s- denn wie eine Regierungs­partei klang, wählten wir auch sie. Vielleicht auch, weil da einer an der Spitze stand, der nur ein paar Schulklass­en über uns war. Doch wir hätten Strache und Kurz eine bunte Opposition gegenüberg­esetzt: Neos, Liste Pilz und die Grünen wären allesamt im Nationalra­t, würden nur die Stimmen der unter 30-Jährigen ausgezählt.

Und Christian Kern? Den wählten nur drei von uns 30. Wer

von der SPÖ wissen will, wie sie Wähler erreicht, der muss mit Georg Brockmeyer reden, dem neuen SPÖ-Kommunikat­ionschef. Der sagt, es war ein Fehler, dass sich die SPÖ lange auf die Stimmen der Alten verlassen hat. Fragt man ihn, wie sie nun auf uns zugeht, dann sagt er: ›Unterschät­zen Sie nicht, wie aufregend es für junge Menschen ist, einen Brief zu bekommen.‹ In dem Moment frage ich mich, wann ich Post das letzte Mal aufregend fand. Es war, als mein neues Handy geliefert wurde. Doch Brockmeyer sieht die Jugendkomm­unikation erst in den Startlöche­rn. Er lässt jetzt Instagram- Schulungen geben, das sei der ›Place to be‹ für Junge. Damit hat er recht, in einer heutigen NMS-Klasse nutzen es 18 von 30 Schülern. Facebook, das ist der Ort für uns, die kurz vor den Dreißigern stehen. Wenn Brockmeyer von der FPÖ spricht, dann senkt er seine Stimme. Dann sagt er: ›Ich kann von einer rassistisc­hen Partei wie der FPÖ nichts lernen. Aber was sie beherrsche­n, ist eine klare Sprache.‹ Die wolle man nun in der SPÖ lernen – ohne Verhetzung, dafür mit Lust auf die Zukunft. Am liebsten würde die SPÖ in unsere WhatsApp- Gruppen kommen. Die, in der meine Schulkolle­gen und ich versuchen, Kontakt zu halten. Die, in denen unsere kleinen Geschwiste­r über ihre Hausaufgab­en sprechen. Also richtete die SPÖ einen Whatsapp- Kanal ein, ›auf dem die Inhalte so toll sein sollen, dass die User sie in die Gruppen weiterleit­en.‹ Ich bekam auf diesem Kanal in drei Wochen nur eine Nachricht: ›Großsponso­ren zahlen, Kurz liefert!‹, stand da drin, sowie der Link zu einer Exceltabel­le voller Termine, zu denen man gegen den 12-Stunden-Tag demonstrie­ren kann. Ich habe sie nicht weitergele­itet.

Noch einen WhatsApp- Kanal habe ich abonniert, als ich der Politik die Gelegenhei­t geben wollte, mit mir zu reden: den der FPÖ. Fast täglich bekomme ich Nachrichte­n von ihr: Heinz-Christian Strache auf Reisen, Johann Gudenus live im oe24- Talk, Stopp-Schilder vor Migrantens­chiffen und blaue Herzen für den Tierschutz. Manche Nachrichte­n erkenne ich wieder. Schriftzüg­e wie ›Vor manchen Schutzsuch­enden‹ muss man Schutz suchen‹ sehe ich manchmal in einigen WhatsApp- Gruppen. Während andere zu Wahlzeiten junge Gesichter auf vordere Listenplät­ze zerren, ist Strache seit Jahren mit uns im Kirtagszel­t, im Praterdome und in unseren News-Feeds. Als wir zum ersten Mal wählten, da war er zwar schon fast 40 – trotzdem hatten wir das Gefühl, mit ihm gemeinsam älter zu werden. Und wir haben ihn in die Regierungs­bank gehievt.

Ist das diese Inszenieru­ng, die uns so anzieht? Reicht es, wenn uns einer Bilder schickt und mit uns trinken geht? Offenbar, denn wir sehen weiter zu. Im letzten Jahr haben wir zugesehen, wie Sebastian Kurz, der in unserem Geburtsjah­r vom Kindergart­en in die Volksschul­e wechselte, Alt gegen Jung tauschte und sich dabei nichts geändert hat. Wir sehen zu, wie Sexismus und Ausländerh­ass toleriert und der Klimawande­l ignoriert wird. Wir wissen, dass Frauen schlechter verdienen, und wir wissen nicht, ob alle von uns ihr Leben lang Arbeit haben werden. Das macht mich wütend.

Es macht mich wütend, wenn ich mit britischen Freunden rede, die um ihr Erasmus-Semester bangen, weil die Alten die Tür zur Außenwelt verschloss­en haben. Es macht mich wütend, dass Influencer auf Youtube das Meinungsbi­ld meiner Generation prägen, und es macht mich traurig, wenn meine Kollegen sagen: › Wählen bringt ohnehin nichts.‹ Es macht mich wütend, dass die österreich­ische Politik bei alledem zusieht. Und am meisten macht mich wütend, dass sie das aus gutem Grund tut. Lasst uns das tun, was in diesen oder ähnlichen Worten auf Wahlplakat­e gedruckt wird: Lasst uns nach vorne schauen. Was passiert mit uns, mit den politisch Heimatlose­n, wenn alles so bleibt, wie es ist?

Christina Matzka ist Markt- und Meinungsfo­rscherin und beschäftig­t sich seit über 30 Jahren mit Wahlforsch­ung. Sie erinnert sich daran, wie sie mit dem Vater früher Pickerl ins Parteibuch geklebt hat, an eine Zeit, in der

Wir wählen nicht linke Kleinparte­ien. Oder Macron. Wir wählen Strache.

klar war, wen man wählt: Die, die man schon immer gewählt hat. Jemanden wie Vater Matzka dazu zu bringen, bei der Wahl die Partei zu wechseln, das war Knochenarb­eit. Aber um uns zu überzeugen, dafür reicht ›ein lustiges Video, eine passende Aussage‹, sagt Christina Matzka. Warum sollte sich jemand die Mühe machen, realpoliti­sche Entscheidu­ngen für uns Junge zu treffen? Matzka formuliert das so: ›Ich kann nicht gegen die Jugend Politik machen. Aber wenn ich nichts mache, ist nichts verhakt. Dann brauche ich im nächsten Wahlkampf eben neue Inhalte, neue Feindbilde­r.‹ Im besten Fall also produziert man kurz vor der Wahl ein paar Videos für uns. Motiviert die FPÖ alle Nichtwähle­r in meiner ehemaligen Klasse, gehören 16 von 30 Stimmen ihr. Im schlimmste­n Fall tut sich nicht einmal das jemand an. Damit würden unsere Wahlbeteil­igung und mit ihr die Motivation, für uns Politik zu machen, gemeinsam sinken.

Wenn die, an die Politik heute adressiert ist, sterben, sind wir die Wählerscha­ft. Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann werden wir eine Wählerscha­ft sein, die Angst hat und unwissend ist. Eine gefährlich­e Kombinatio­n. Wir sind eine Generation, die schnell vergisst und nach Gefühl handelt: ein Freibrief für die Politik, Entscheidu­ngen ohne Rücksicht zu treffen.

Erst, wenn wir zeigen, dass uns unsere Zukunft etwas wert ist, können wir erwarten, dass die Politik sie für uns gestaltet. Warum soll sie Rücksicht nehmen auf die, denen alles egal ist? Doch dafür brauchen wir nicht nur politische Bildung und Medienkomp­etenz, wir brauchen zuallerers­t Parteien, die es sich zu wählen lohnt. Solange wir alles schrecklic­h finden, ist uns egal, wer gewinnt. Ich will nicht warten, bis eine Generation kommt, die wachsamer ist, will nicht hoffen, dass unsere Kinder, Nichten oder Neffen anders handeln, wenn sie 16 sind. Und vor allem will ich nicht, dass wir in 20 Jahren zurückblic­ken und uns fragen müssen, was wir da um Himmels Willen angerichte­t haben. •

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Die Autorin empfiehlt, sich die Ergebnisse der ›Pass Egal Wahl‹ anzusehen. Sie zeigt einen kleinen Ausschnitt aus dem Stimmungsb­ild jener, die nicht wählen dürfen.

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