WTF!?
Appell
Die Politik ignoriert die Jugend. Wir Jungen merken das nicht einmal. Wir sind auf Instagram.
Die Politik ignoriert die Jugend. Wir Jungen merken das nicht einmal. Wir sind auf Instagram.
Vor genau 20 Jahren kam ich mit 29 anderen in die erste Klasse Volksschule. Gemeinsam wurden wir älter, wir wurden ›die Jugend‹ – und sind es bis heute. Wir sind die Millennials, die Generation Y; jene diffuse Zielgruppe für Politik und Wirtschaft, von der niemand so recht weiß, wie man mit ihr umgehen soll.
Ich möchte Ihnen von meiner Klasse erzählen, von uns 30, die wir gemeinsam zur Schule gegangen sind – aber so, als wären wir der perfekte österreichische Durchschnitt unserer Alterskohorte: Stücke von Tortendiagrammen, Prozentsätze, die auf Säulen sitzen und Zahlen in den Kästchen endloser Excel-Tabellen. Und ich möchte Ihnen davon erzählen, dass wir ein Problem haben.
Meine Klasse besteht aus Repräsentanten aller sozialen Schichten. 22 von uns sind heute Teil der Mittelschicht. Sechs von uns sind armutsgefährdet. In der Oberschicht, da sind nur zwei meiner ehemaligen Mitschüler – zu zweit haben sie mehr Geld zur Verfügung als die sechs Armutsgefährdeten zusammen. Ethnisch sind wir recht bunt: Acht von uns kommen aus dem Ausland, aus Deutschland und Serbien, aus Rumänien, der Türkei und aus Ungarn.
Heute haben wir 30 uns zerstreut. Auf Facebook scrolle ich durch Bilder von Hochzeitstorten und Babys, von Weltreisen und Graduationsfeiern. Ich sehe, wie sieben von uns noch bei den Eltern wohnen, wie sechs selbst Eltern sind. Ich und sechs andere gingen in die Stadt. Wir sind die ›Gstudierten‹, die, die sich irgendwann von den anderen entfremdet haben. Nur drei von uns Städtern haben eine Arbeit, für die sie bezahlt werden. Dagegen kennt keiner von den zehn, die eine Lehre absolviert haben, unbezahlte Arbeit.
Der ökonomische Optimismus, der unsere Eltern- und Großelterngeneration geprägt hat, bröckelt. Wir haben Angst vor der Zukunft. Fragt man uns, wie wir unsere Generation beschreiben würden, dann nennen wir Begriffe wie ›planlos‹, ›verunsichert‹, ja sogar ›angepasst‹. Jugendforscher
Philipp Ikrath erforscht uns, so wie andere aussterbende Tierarten erforschen. Soll er uns beschreiben, dann sagt er: ›Junge Leute haben ein ästhetisches Politikverständnis. Es geht nicht um Themen, sondern um Inszenierung.‹ Er sagt auch, wir hätten einen ›destruktiven Geist‹, der nicht mit Utopien und Ideen verbunden wäre, einen Geist, der auf Zerstörung ausgerichtet sei.
Die Generationenforschung geht davon aus, dass die Ereignisse, die wir in der Jugend mitansehen, unser Politikverständnis prägen. Das ist die Erklärung für den Aktivismus der 68er-Generation. Sie hat den Mauerfall gesehen, hat gesehen, wie Europa sich vereint. Sie hat die Hainburger Au und die Arena besetzt und demonstriert heute noch als ›Omas gegen Rechts‹ gegen die Regierung. Das Leid, das unsere Großeltern in den Zeiten des Wiederaufbaus gesehen haben, hat sie zutiefst politisiert. Als sie in unserem Alter waren, überlegten sie nicht, ob sie zur Wahl gingen. In vielen Bundesländern zwang die Wahlpflicht sie dazu.
Und wir? Nun, wir kennen keinen Krieg. Aber wir haben die Finanzkrise miterlebt, wir sehen zu, wie der Klimawandel unsere Erde Jahr um Jahr weiter erhitzt, und wir haben live auf den Bildschirmen gesehen, wie die Twin Towers einstürzten. Ließ uns das kalt?
Verstehen Sie mich nicht falsch, wir sagen, wir seien politisch interessiert. Doch fragen Sie uns bitte nicht, wie lang eine Legislaturperiode dauert oder welche Parteien für Links oder Rechts stehen. Denn von uns 30 können Ihnen das nur sieben richtig beantworten. Politikinteresse ist für uns ein Accessoire. Ein Stoffbeutel, ein Sticker, ein Like, mit dem wir uns schmücken. Und das macht mir Angst. Warum reden wir nicht mit? Haben wir nichts zu sagen? Oder werden wir nicht gehört? Wir
waren die ersten, die mit 16 wählen durften, damals, bei der Nationalratswahl 2008. Diejenigen von uns, die manchmal mit den Eltern die ZIB1 sahen, wussten, dass etwas nicht stimmte. Rot und Schwarz, Alfred Gusenbauer und Willi Molterer, lagen zu lange im Streit. Die vorgezogene Neuwahl sollte endlich Veränderung bringen: Wie aufregend das war, Teil dieses Neustarts zu sein. Ich kann mich genau an den Tag erinnern, an dem ich wieder mein altes Volksschulklassenzimmer betrat. Mitten im Raum stand die Wahlurne – seltsam schlicht für die schwerwiegende Entscheidung, die ich in sie hineinwerfen sollte. Wir warfen unsere Stimme ein, endlich durften wir mitreden. Was folgte, war die nächste große Koalition und mit ihr die Resignation. Für viele von uns war das die erste und letzte Wahl. An diesem Septembertag kehrten wir der Politik den Rücken.
Wissen Sie, uns zur Wahl zu motivieren ist nicht einfach. Wir bewegen uns irgendwo zwischen ausuferndem Lebensstil und dem Prekariat, und wofür wir brennen, wissen nicht einmal wir selbst. Der Wahlkampf ist ein Zahlenspiel: möglichst viele Kreuze zu einem möglichst kleinen Preis. Und auf uns zu setzen ist ein schlechter Zug: Die unter 30-Jährigen machen eine Million Wahlberechtigte aus. Allein in der Generation der über 60-Jährigen dürfen doppelt so viele wählen. Warum in kompliziertes Microtargeting investieren oder neumoderne Kommunikationsformen wie Snapchat durchschauen, wenn man mit einem Plakat gleich tausende alte Stimmen auf einen Schlag erwischt? Ist das nur das Gefühl einer beleidigten jungen Frau, die sich von der Politik übersehen fühlt? Ich frage bei Stefan Sengl nach. Als ehemaliger Kampagnenleiter der
Seltsam schlicht stand die Wahlurne im ehemaligen Klassenzimmer.
SPÖ weiß er, wie Parteien ihr Geld investieren. Der größte Brocken, so sagt er, seien auch heute noch Plakate, Inserate und TV-Spots: Die Kanäle der Alten. Wer es sich leisten kann, steckt höchstens 20 Prozent des Wahlkampfbudgets in digitale Kommunikation. Bei einer Sieben-Millionen-Euro-Kampagne, rechnet Sengl vor, sind das höchstens 1.400.000 Euro, mit denen man Richtung Junge zielt.
Mehr als 80 Prozent der über 60-Jährigen standen letzten Herbst auf und pilgerten zum Wahllokal. Aus meiner Klasse, da ging die Hälfte, vielleicht zwei Drittel hin. Wie viele genau, das ist schwer zu sagen – die Meinungsforschung kämpft damit, dass sie nicht weiß, ob Junge in Befragungen zugeben, nicht zu wählen. Und nun bitte ich Sie, zu raten, für wen wir stimmten. Nein, wir wählen nicht linke Kleinparteien wie die Jungen in Deutschland. Auch nicht Macron wie die Jungen in Frankreich. Wir wählen Heinz-Christian Strache.
Junge wählen traditionell eher Oppositionsparteien – ein kleines Stück Widerständigkeit, das wir noch in uns tragen. Und weil die ÖVP vor einem Jahr mehr wie eine Oppositions- denn wie eine Regierungspartei klang, wählten wir auch sie. Vielleicht auch, weil da einer an der Spitze stand, der nur ein paar Schulklassen über uns war. Doch wir hätten Strache und Kurz eine bunte Opposition gegenübergesetzt: Neos, Liste Pilz und die Grünen wären allesamt im Nationalrat, würden nur die Stimmen der unter 30-Jährigen ausgezählt.
Und Christian Kern? Den wählten nur drei von uns 30. Wer
von der SPÖ wissen will, wie sie Wähler erreicht, der muss mit Georg Brockmeyer reden, dem neuen SPÖ-Kommunikationschef. Der sagt, es war ein Fehler, dass sich die SPÖ lange auf die Stimmen der Alten verlassen hat. Fragt man ihn, wie sie nun auf uns zugeht, dann sagt er: ›Unterschätzen Sie nicht, wie aufregend es für junge Menschen ist, einen Brief zu bekommen.‹ In dem Moment frage ich mich, wann ich Post das letzte Mal aufregend fand. Es war, als mein neues Handy geliefert wurde. Doch Brockmeyer sieht die Jugendkommunikation erst in den Startlöchern. Er lässt jetzt Instagram- Schulungen geben, das sei der ›Place to be‹ für Junge. Damit hat er recht, in einer heutigen NMS-Klasse nutzen es 18 von 30 Schülern. Facebook, das ist der Ort für uns, die kurz vor den Dreißigern stehen. Wenn Brockmeyer von der FPÖ spricht, dann senkt er seine Stimme. Dann sagt er: ›Ich kann von einer rassistischen Partei wie der FPÖ nichts lernen. Aber was sie beherrschen, ist eine klare Sprache.‹ Die wolle man nun in der SPÖ lernen – ohne Verhetzung, dafür mit Lust auf die Zukunft. Am liebsten würde die SPÖ in unsere WhatsApp- Gruppen kommen. Die, in der meine Schulkollegen und ich versuchen, Kontakt zu halten. Die, in denen unsere kleinen Geschwister über ihre Hausaufgaben sprechen. Also richtete die SPÖ einen Whatsapp- Kanal ein, ›auf dem die Inhalte so toll sein sollen, dass die User sie in die Gruppen weiterleiten.‹ Ich bekam auf diesem Kanal in drei Wochen nur eine Nachricht: ›Großsponsoren zahlen, Kurz liefert!‹, stand da drin, sowie der Link zu einer Exceltabelle voller Termine, zu denen man gegen den 12-Stunden-Tag demonstrieren kann. Ich habe sie nicht weitergeleitet.
Noch einen WhatsApp- Kanal habe ich abonniert, als ich der Politik die Gelegenheit geben wollte, mit mir zu reden: den der FPÖ. Fast täglich bekomme ich Nachrichten von ihr: Heinz-Christian Strache auf Reisen, Johann Gudenus live im oe24- Talk, Stopp-Schilder vor Migrantenschiffen und blaue Herzen für den Tierschutz. Manche Nachrichten erkenne ich wieder. Schriftzüge wie ›Vor manchen Schutzsuchenden‹ muss man Schutz suchen‹ sehe ich manchmal in einigen WhatsApp- Gruppen. Während andere zu Wahlzeiten junge Gesichter auf vordere Listenplätze zerren, ist Strache seit Jahren mit uns im Kirtagszelt, im Praterdome und in unseren News-Feeds. Als wir zum ersten Mal wählten, da war er zwar schon fast 40 – trotzdem hatten wir das Gefühl, mit ihm gemeinsam älter zu werden. Und wir haben ihn in die Regierungsbank gehievt.
Ist das diese Inszenierung, die uns so anzieht? Reicht es, wenn uns einer Bilder schickt und mit uns trinken geht? Offenbar, denn wir sehen weiter zu. Im letzten Jahr haben wir zugesehen, wie Sebastian Kurz, der in unserem Geburtsjahr vom Kindergarten in die Volksschule wechselte, Alt gegen Jung tauschte und sich dabei nichts geändert hat. Wir sehen zu, wie Sexismus und Ausländerhass toleriert und der Klimawandel ignoriert wird. Wir wissen, dass Frauen schlechter verdienen, und wir wissen nicht, ob alle von uns ihr Leben lang Arbeit haben werden. Das macht mich wütend.
Es macht mich wütend, wenn ich mit britischen Freunden rede, die um ihr Erasmus-Semester bangen, weil die Alten die Tür zur Außenwelt verschlossen haben. Es macht mich wütend, dass Influencer auf Youtube das Meinungsbild meiner Generation prägen, und es macht mich traurig, wenn meine Kollegen sagen: › Wählen bringt ohnehin nichts.‹ Es macht mich wütend, dass die österreichische Politik bei alledem zusieht. Und am meisten macht mich wütend, dass sie das aus gutem Grund tut. Lasst uns das tun, was in diesen oder ähnlichen Worten auf Wahlplakate gedruckt wird: Lasst uns nach vorne schauen. Was passiert mit uns, mit den politisch Heimatlosen, wenn alles so bleibt, wie es ist?
Christina Matzka ist Markt- und Meinungsforscherin und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Wahlforschung. Sie erinnert sich daran, wie sie mit dem Vater früher Pickerl ins Parteibuch geklebt hat, an eine Zeit, in der
Wir wählen nicht linke Kleinparteien. Oder Macron. Wir wählen Strache.
klar war, wen man wählt: Die, die man schon immer gewählt hat. Jemanden wie Vater Matzka dazu zu bringen, bei der Wahl die Partei zu wechseln, das war Knochenarbeit. Aber um uns zu überzeugen, dafür reicht ›ein lustiges Video, eine passende Aussage‹, sagt Christina Matzka. Warum sollte sich jemand die Mühe machen, realpolitische Entscheidungen für uns Junge zu treffen? Matzka formuliert das so: ›Ich kann nicht gegen die Jugend Politik machen. Aber wenn ich nichts mache, ist nichts verhakt. Dann brauche ich im nächsten Wahlkampf eben neue Inhalte, neue Feindbilder.‹ Im besten Fall also produziert man kurz vor der Wahl ein paar Videos für uns. Motiviert die FPÖ alle Nichtwähler in meiner ehemaligen Klasse, gehören 16 von 30 Stimmen ihr. Im schlimmsten Fall tut sich nicht einmal das jemand an. Damit würden unsere Wahlbeteiligung und mit ihr die Motivation, für uns Politik zu machen, gemeinsam sinken.
Wenn die, an die Politik heute adressiert ist, sterben, sind wir die Wählerschaft. Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann werden wir eine Wählerschaft sein, die Angst hat und unwissend ist. Eine gefährliche Kombination. Wir sind eine Generation, die schnell vergisst und nach Gefühl handelt: ein Freibrief für die Politik, Entscheidungen ohne Rücksicht zu treffen.
Erst, wenn wir zeigen, dass uns unsere Zukunft etwas wert ist, können wir erwarten, dass die Politik sie für uns gestaltet. Warum soll sie Rücksicht nehmen auf die, denen alles egal ist? Doch dafür brauchen wir nicht nur politische Bildung und Medienkompetenz, wir brauchen zuallererst Parteien, die es sich zu wählen lohnt. Solange wir alles schrecklich finden, ist uns egal, wer gewinnt. Ich will nicht warten, bis eine Generation kommt, die wachsamer ist, will nicht hoffen, dass unsere Kinder, Nichten oder Neffen anders handeln, wenn sie 16 sind. Und vor allem will ich nicht, dass wir in 20 Jahren zurückblicken und uns fragen müssen, was wir da um Himmels Willen angerichtet haben. •