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Sebastian Loudon

Zeitenwech­sel

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Wie mich der Kabarettis­t Andreas Vitásek ignoriert.

Andreas Vitásek nimmt Platz im Schanigart­en des Wiener Café Engländer, und von da an ist alles irgendwie schwierig. Viele kennen ihn. Alle erkennen ihn. Ein ständiges Winken, Grüßen, Kopfverdre­hen, Tuscheln. Das stört die Konzentrat­ion – also meine. Vitásek ist wirklich weltberühm­t in Österreich. Seit 2. Oktober ist er mit seinem neuesten, seinem 13. Einzelprog­ramm auf der Bühne. Er nennt es ›Austrophob­ia‹.

Und es ist politische­r als die anderen zwölf.

Aber wie geht heutzutage politische Satire? Wurdet ihr Kabarettis­ten nicht längst von der Wirklichke­it überholt? Vitásek ignoriert meine platten Einstiegsf­ragen gnädig, ihn drückt der Schuh woanders: Es sei diese Dauerempör­ung in Medien und sozialen Netzwerken, die uns allesamt abstumpfe. Wir hecheln jedem noch so unbedeuten­den Einzelfall hinterher und merken nicht, wie wir dabei den Blick auf die wirklich wichtigen Dinge verlieren.

Anstatt über Sozialabba­u und Ungleichhe­it zu sprechen, würden wir uns lieber über skurrile Aussagen irgendwelc­her Politiker aus der dritten Reihe der FPÖ echauffier­en. Dieser Wahnsinn hat Methode – das sind die Nebelgrana­ten an Nebenfront­en, die uns den Blick verstellen sollen. Aber was wurde aus ›Wehret den Anfängen‹? Die Anfänge sind doch längst vorbei. Na bumm. Und was tun die Opposition­sparteien? Sie nehmen sich entweder selbst aus dem Rennen oder drängeln sich auch rechts der Mitte, dabei wäre doch links alles frei. Ich bemerke, wie Vitásek mit Grün, Rot und der Liste Pilz besonders hart ins Gericht geht. Das ist doch klar: Enttäuscht­e Fans sind die schlimmste­n Feinde.

Also gut, warum ›Austrophob­ia‹? Es geht mir darum, dem österreich­ischen Minderwert­igkeitskom­plex auf den Grund zu gehen. Wir stehen uns im Weg und stellen uns dabei das Haxl. Unser Grant würde oft als sympathisc­h dargestell­t, dabei wäre er in Wahrheit doch eine Krankheit. Und dann noch dieses Selbstmitl­eid! Das gehe ihm wahnsinnig auf die Nerven, sagt er. Vor allem, weil ich es bei mir selbst auch spüre – und es nervt einen ja immer das, womit man selbst zu kämpfen hat.

Also bezieht sich Austrophob­ia auf die Angst des Österreich­ers vor sich selbst, vor seiner eigenen Courage? Vitásek schweigt, nickt und fügt hinzu: Und auf die Angst vor seinem tiefsten Inneren. Es ist doch kein Zufall, dass Freud Österreich­er war. Also eigentlich war er ja Mährer – haha, siehst du?

Wieder wird gegrüßt und gewunken – und Vitásek grüßt und winkt geduldig zurück. Wir sprechen über die Aufmerksam­keitsspira­le der Medien, die Filterblas­en in den sozialen Netzwerken und eine zunehmend fragmentie­rte Öffentlich­keit. Weshalb er nicht selbst auf Facebook aktiv ist? Es sei ohnehin schwierig, einen Rest an Privatheit beizubehal­ten. Und Facebook ist wie ein großes Fenster, das man aufmacht, und plötzlich speibt einem jemand ins Zimmer. Man kann’s zwar löschen, aber der Gestank bleibt.

Beim Thema Hasspostin­gs wird Vitásek wirklich emotional, diese Verunglimp­fungen gehen ihm offenbar nahe. Man kann sich noch so oft einreden, das seien alles nur frustriert­e Verrückte mit genau diesen Minderwert­igkeitskom­plexen – und trotzdem nimmt man es persönlich. In vielen Foren herrsche eine Grundstimm­ung, die nur so vor Hass und Verachtung strotze. Dafür bräuchte man eine Seele mit Hornhaut – die habe ich nicht. Womöglich sind’s auch nur enttäuscht­e Fans? Vitásek lacht auf. Das glaub’ ich nicht, aber was weiß man. •

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ANDREAS VITÁSEKarb­eitet seit 37 Jahren als Schauspiel­er und Kabarettis­t. Derzeit tourt er mit ›Austrophob­ia‹ durchs Land, seinem 13. und sehr politische­n Soloprogra­mm.
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Sebastian Loudon Herausgebe­r

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