Liste Pilz
Zehn Jahre nach der Finanzkrise 2008 haben wir jetzt genau die Regierung, die ich bereits damals befürchtete. Nach den global fragwürdigen Antworten auf die zockenden Purzelbäume der Finanzwirtschaft und dem daraus resultierenden Wachstum des Reichtums der oberen 1%, bei gleichzeitiger Verarmung ganzer Staaten, war der Rechtsruck genauso vorhersehbar wie das Abschotten Europas vor Afrika, dem Kontinent, den wir noch immer schröpfen, während das Waffengeschäft blüht.
Als Sebastian Kurz sich anschickte, Neue Zeiten zu proklamieren, in historisch vertrauter MarmorÄsthetik auf sonst inhaltsleeren Wahlplakaten, war ich misstrauisch. Denn mit der Ankündigung von neuen, großen Zeiten assoziiere ich politische Systeme, deren Abgesang große Teile der Bevölkerung meist feierten. Die großzügigen Wahlkampfspenden der Wirtschaft auf der einen, die rassistische Hetze auf der anderen Seite bescherten uns eine Bundesregierung, die sich in rasantem Tempo anschickte, den Sozialstaat und mit ihm den Kitt für Sicherheit und sozialen Frieden auszuhöhlen, während der Geheimdienst international geschwächt und die Beobachtung des Rechtsextremismus und des politischen Islam verunmöglicht wurde.
Als Erstes traf es Frauen und deren Organisationen, sowie den ohnehin schon verarmten Teil der Bevölkerung, der leichthin als „leistungsschwach“verunglimpft wird, Kranke und ausländische Randgruppen, deren Integration durch Kürzung verunmöglicht wird. Es wird wieder „die Familie“propagiert, wobei längst überwunden geglaubte Rollenklischees bestärkt werden und keinerlei Interesse gezeigt wird, den Familien, die überdurchschnittlich oft unter der Armutsgrenze leben - den Ein-Eltern-Haushalten - aus ihrer teils katastrophalen Lage zu helfen. Leistung lohnt sich nämlich nicht. Erprobte Konzepte einer gelungenen Integration werden gestrichen, statt die Auseinandersetzung mit dem sich radikalisierenden Islam zu wagen. Da polemisiert man lieber über die Kopfbedeckung von Kindergartenmädchen. Egal, dass der öffentliche Raum für kopftuchtragende Frauen längst zur Gefahrenzone wurde, Statistiken über diesbezügliche
Übergriffe werden von der Polizei nicht erhoben.
„Wir werden uns an hässliche Bilder gewöhnen müssen.“Nein, müssen wir nicht. Statt für die Abschottung Europas Milliarden zu investieren, können wir die Punkte der SDG Watch umsetzen, in einen Marshall Plan investieren, Waffenlieferungen stoppen und Afrika des Weiteren in Ruhe lassen. Statt Viktor Orban als Helden zu bezeichnen, können wir endlich ein soziales Europa aufbauen. Statt Brennpunktschulen und Deutschkurse auszuhungern können wir über eine Durchmischung der Schülerinnen und Schüler reden und davon Abstand nehmen, bereits Integrierte in den sicheren Tod zu schicken. Statt der Einführung des ungerechten Familienbonus können wir die Familien stärken, die strukturell benachteiligt werden. Statt den Kauf von Wohnungen als Absicherung gegen Altersarmut zu empfehlen, können wir bei explodierenden Mieten gegensteuern. Statt der Einführung des 12 Stunden Tages können wir über die prekären Lebensbedingungen der neuen Selbstständigen, über die Folgen der Digitalisierung und eine generelle Arbeitszeitverkürzung reden. Und über Steuergerechtigkeit. Endlich über Steuergerechtigkeit. Statt uns tatenlos vor dem Klimawandel zu fürchten, können wir diesen mit wirksamen Maßnahmen bremsen. Und statt die Message Control, dem wirksamsten Mittel aller Neuen Zeiten, von Schwarzblau zu hofieren, können wir Tacheles reden. Und das müssen wir auch.
Maria Stern, Parteiobfrau und Frauensprecherin