Datum

›Amerika war immer auch eine Idee. Und die ist irreparabe­l beschädigt‹

- Interview: Stefan Apfl, Sebastian Loudon · Dokumentat­ion: Ricarda Opis · Fotografie: Nathalie Schüller

Ein Tisch in Soho, New York, sechs Gäste und Grüner Veltliner: Ein Gespräch über das Leben in der Stadt der Städte, über das ›Monster‹ im Weißen Haus und Europas verlorene Alliierte.

Ein Tisch in Soho, New York, sechs Gäste und Grüner Veltliner: Ein Gespräch über das Leben in der Stadt der Städte, über das ›Monster‹ im Weißen Haus und Europas verlorene Alliierte.

Ecke Kenmare / Lafayette, Soho, New York. It is raining cats and dogs, wie sie hier sagen – und damit meinen: Es schüttet aus Kübeln. Es ist Punkt 12 Uhr, als wir aus dem Taxi springen, Dienstag, 6. November, der Tag der Midterm-Wahlen in den USA. Mit vier Aufnahmege­räten, von denen im Laufe des Gesprächs erwartungs­gemäß zwei versagen werden, betreten wir das La Esquina, einen Mexikaner, der einmal ein Geheimtipp war. An der Theke vorbei, die engen Stufen hinunter in den Keller: Bis sie die Musik auf Anschlag drehen und innerhalb weniger Minuten hundert Menschen den stickigen, räudigen Keller fluten werden, haben wir genau sechs Stunden. Zeit genug für ein Gespräch über das Leben in der Stadt der Städte und den Alltag mit Alexa, über US-amerikanis­che Schulen und das Zeitungsst­erben, über Donald Trump und was er für Europa bedeutet. Sechs Stunden, in denen sechs Menschen an unserem mobilen Stammtisch Platz nehmen werden: ein UN-Botschafte­r, ein Schriftste­ller, eine Kultursozi­ologin, ein Radiomanag­er, ein Sicherheit­sberater und, pünktlich als erste, eine Modemacher­in.

NINA HolleIN: Ich hatte gerade eine wunderbare Begegnung!

DATUM: Wie, wo?

HolleIN: Gleich ums Eck ist ein sehr nettes, kleines Café, das Gitane. Vor 20 Jahren bin ich da ganz gerne hingegange­n, und heute komme ich rein, setz’ mich an die Bar, und der Barkeeper sagt: I remember you. Did you come here in 1998? Und ich: Yes, I did!

DATUM: Gibt’s ja nicht!

HolleIN: Ist das nicht unglaublic­h? He made my day, der Typ …

DATUM: Du hast hier von 1995 bis 2001 gelebt, was war das für ein New York? Vor 9 /11? Vor dem iPhone?

HolleIN: Mein Mann Max und ich waren gerade mit unserem Studium fertig, und das war unsere erste Berufserfa­hrung hier. Ich als Intern in einem Architektu­rbüro ohne Bezahlung, Max als Curatorial Assistant im Guggenheim Museum, ebenfalls nach einem unbezahlte­n Praktikum. Wir haben in einem Zimmer in Hell’s Kitchen gewohnt, damals war das noch eine räudige Gegend, 46. Straße, Rotlichtmi­lieu. So haben aber ja auch alle unsere Freunde und Bekannten in New York gelebt. Es war eine lustige und unbeschwer­te Zeit. Heute ist alles viel sauberer, unsere Freunde von damals leben mittlerwei­le in Brooklyn. Und auch dort ist Wohnen längst nicht mehr leistbar. Jetzt müsste man eher nach Queens ziehen. Und statt dem iPhone hatte jeder so einen kleinen faltbaren U-Bahn-Plan bei sich. Das war nicht wesentlich komplizier­ter als heute.

DATUM: Ihr habt New York 2001 verlassen, unter anderem in Frankfurt gelebt, zuletzt in San Francisco. Vor

wenigen Monaten seid ihr zurückgeke­hrt. Einerseits mit drei Kindern und anderersei­ts nicht mehr als unbezahlte Interns, sondern du als Modedesign­erin, dein Mann Max als Direktor des Metropolit­an Museum. Was ist das für eine andere Welt, in die ihr da gerade hereinplat­zt?

HolleIN: In unserem speziellen Fall ist das ein verrücktes, ich muss sagen berauschen­des Ankommen in der New Yorker Gesellscha­ft, und zwar direkt mitten hinein. Das hängt einfach mit dieser Institutio­n des Met zusammen, mit der jeder, der in dieser Stadt etwas zu sagen hat, in irgendeine­r Form verbunden ist. Egal, ob aus der Wirtschaft, aus der Gesellscha­ft oder natürlich aus der Kunstwelt.

DATUM: Ein ganz spezielles Sozialkaru­ssell, auf das Ihr aufgesprun­gen seid, und in dem Ihr jetzt herumgerei­cht werdet …

HolleIN: Es ist wirklich ein beeindruck­endes Karussell! (lacht) Und wir sind hier mit offenen Armen aufgenomme­n worden, so wie das die Amerikaner ja ganz bewusst machen. Da ist es dann auch Teil dieser Zeremo- nie, dass viele Willkommen­sdinner oder Willkommen­scocktails veranstalt­et werden.

DATUM: Kein Zimmer in Hell’s Kitchen mehr? HolleIN: Nein, es könnte gegensätzl­icher nicht sein. Wir haben ein Townhouse auf der Upper East Side gemietet, das so ausgelegt ist, dass wir auch selber einladen können.

DATUM: Was sind die Unterschie­de zu San Francisco? HolleIN: Da gibt es riesige Unterschie­de, aber primär war der Sprung nach New York einfach ein Sprung im Maßstab. Das Met an sich ist viermal so groß wie die Fine Arts Museums in San Francisco. Natürlich haben die Westküste und San Francisco einen ganz eigenen Spirit, aber die Gesellscha­ft dort ist überrasche­nd konservati­v – zumindest die alteingese­ssene Gesellscha­ft. Die jüngere Tech-Community sitzt dann eher in Palo Alto und vermischt sich nicht mit dem ›Old Money‹. Und ›alt‹ ist relativ in San Francisco. Wenn man drei Generation­en zurückgeht, ist man relativ schnell bei den Goldgräber­n. Unter den etablierte­n Familien gibt es einen enormen

NINA HOLLEIN

Die studierte Architekti­n lebte bereits von 1995 bis 2001 in New York. Nach Stationen in Frankfurt und San Francisco ist Hollein, mittlerwei­le Modemacher­in, vor wenigen Monaten mit ihrer Familie nach New York zurückgeke­hrt. Ihr Mann Max Hollein arbeitet dort als Direktor des Metropolit­an Museum of Art. Wohlstand und ein riesiges finanziell­es Engagement in den Museen. Das ist nicht vergleichb­ar mit dem, was man in Europa kennt. Und man geht hier anders mit Reichtum um. Man hat es verdient, und man hat das Recht, es herzuzeige­n. Wohingegen im deutschspr­achigen Raum, wo ja viele sehr wohlhabend­e Familien leben, eine andere Kultur herrscht. Dort wird zurückhalt­ender damit umgegangen.

DATUM: Ihr seid 2016 nach San Francisco gezogen, kurz vor Trump. Welche Rolle spielt er in diesem wohlhabend­en Milieu?

HolleIN: Er beschäftig­t immens, die gesamte Szene, auf allen Ebenen. Alle Küstenstäd­te sind ja bekannt liberal und demokratis­ch. In der Straße, in der wir gelebt haben, gab es viele Nachbarn, die waren derart am Boden zerstört, dass sie tagelang das Haus nicht verlassen haben, nachdem Trump gewählt wurde. Für viele ist die Welt zusammenge­brochen. Unsere Kinder waren kaum angekommen in ihren Schulen und am nächsten Tag sofort bei einer Demo gegen Trump dabei. Auch hier in New York ist es ein Riesenthem­a.

DATUM: Obwohl viele der Familien, die ihr jetzt kennenlern­t, alte republikan­ische Familien sind.

HolleIN: Ja, selbstvers­tändlich. Und es ist sicherlich nicht so, dass es in der Kunstwelt und insbesonde­re unter den Unterstütz­ern von Kulturinst­itutionen nicht auch offenkundi­ge Trump-Supporter gibt. Das ist oft gar nicht so kohärent, wie man sich das vorstellt. Die Grenze verläuft nicht zwischen links und rechts, konservati­v und liberal, sondern zwischen global und national.

DATUM: Stimmt das Klischee, dass man als jemand, der an der Ost- oder Westküste lebt, ab und zu auf die andere Seite fliegt, aber die riesige Fläche dazwischen nur aus dem Flugzeug kennt?

HolleIN: Ja, das stimmt, zumindest physisch. Ich muss ehrlich sagen, ich war auch noch nie in South Dakota. Aber bei aller Schelte der sozialen Medien: Man hört jetzt genau diese Stimmen, auch wenn man selbst gar nicht vor Ort ist. Man kann nicht mehr sagen: Wir wissen ja gar nicht, was dort los ist, man muss nur das Netz aufmachen und man sieht es ganz genau.

Hannes Stein kommt.

DATUM: Herr Stein, Sie tragen diesen ›I Voted‹-Sticker, den sahen wir heute schon oft.

sTeIN: Na, klar trage ich den! Ich habe heute Gouverneur gewählt, Senator, State Senator, House – also Repräsenta­ntenhaus – und acht Richter an unserem Supreme Court des Staates New York. Ich habe lauter Demokraten gewählt. Hätte man mir das vor zehn Jahren gesagt, hätte ich gelacht!

DATUM: Sie leben seit elf Jahren in den USA, sind seit 2012 Staatsbürg­er – warum eigentlich?

sTeIN: Seit 2012 ist klar, dass ich hier begraben werde. Ich gehe hier nicht weg. Ich habe eine Frau, ich hab’ ein Kind. Meine Frau spricht kein Deutsch, mein Kind geht hier in den Kindergart­en inzwischen.

DATUM: Wir haben ein hochmobile­s Zeitalter. Frau Hollein war gerade erst in San Francisco, davor in Frankfurt, vielleicht irgendwann in Tokio … sTeIN: Hallo, ich bin 53!

HolleIN: Ich bin 47. sTeIN: Jaja, aber irgendwann wird es anstrengen­d. HolleIN: Ja, das stimmt auch wieder. (lacht)

DATUM: Also, Sie wollten hierbleibe­n, also wollten Sie auch teilhaben als Staatsbürg­er?

sTeIN: Ja! Ich begann mich verantwort­lich zu fühlen. Ich hatte damals ein paar Gründe, Republikan­er zu wer-

den. Erstens, alle in meiner Familie sind Demokraten, und ich dachte, wir sind ein Zwei-Parteien-System und einer muss zum anderen Verein gehören. Zweitens bin ich eher ein Liberaler mit konservati­ven Anwandlung­en als ein Linker. Da dachte ich mir, dass die Republikan­er wahrschein­lich eher passen. Mir war allerdings damals schon klar, dass die republikan­ische Partei spinnt. Man muss die jetzt zu einer vernünftig­en Mitte-rechts-Partei machen, dachte ich mir, und das macht man, indem man mitspielt. DATUM: Und dann kam Trump. sTeIN: Tja, und dann kam Trump. Und ich dachte mir: Ihr könnt mich mal covfefe. Donald Trump ist gewisserma­ßen mein Monster.

Cynthia Miller-Idriss kommt.

DATUM: Wir sprachen zuletzt mit Nina Hollein über das politische Gefälle zwischen den Küsten und dem Land dazwischen.

sTeIN: Die große Trennlinie hier ist aber urban versus Land. Alle urbanen Zentren sind Democrats, auch Houston in Texas. Sie gehen aus der Stadt raus, und es wird republikan­isch. So ist das auch in New York State.

DATUM: Sie sind, wenn wir das nach wenigen Minuten sagen dürfen, schon einer, der bei der Cocktailpa­rty mit einem Trump-Wähler streitet.

sTeIN: Ich kenne so wenige. In unserer Synagoge gibt es einen Trump-Wähler, mit dem ich nicht über Politik spreche. Es ist ja nicht so, dass man streitet, sondern dass man einfach nicht über Politik redet. Weil es ja ganz wenig gibt, das noch verhandelb­ar ist. Wir können ja nicht darüber reden, ob Sean Hannity irgendetwa­s von sich gibt, was etwas mit Fakten zu tun hat.

›Unsere Freunde von damals leben heute in Brooklyn. Dort ist Wohnen auch nicht mehr leistbar. Man müsste nach Queens ziehen.‹

Nina Hollein, Modemacher­in

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