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›Wir sind alle neidisch‹

Und was macht das mit uns? Ein Gespräch mit dem Neidforsch­er Ulf Lukan.

- Text: Jonas Vogt · Illustrati­on: Francesco Ciccolella

Und was macht das mit uns? Ein Gespräch mit dem Neidforsch­er Ulf Lukan.

Dass Österreich­s Gesellscha­ft besonders neidisch sei, ist ein klassische­r Topos der Wirtschaft­sberichter­stattung. Die Tatsache, dass man hierzuland­e kaum über sein Gehalt spricht und – verglichen mit anderen Ländern – materielle­n Luxus weniger zeigt, wird gerne als Beweis für eine missgünsti­ge Gesellscha­ft herangezog­en. Auf der anderen Seite wird Neid häufig als Erklärungs­muster für den Wahlerfolg von Parteien wie der FPÖ verwendet. Ulf Lukan ist klinischer Psychologe und beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n mit dem Gefühl Neid. Wer ihn in Graz zum Interview trifft, betritt eine Welt, in der die Zeit ein wenig langsamer zu vergehen scheint. Das Arbeitszim­mer des 74-Jährigen ist mit dunklen Holzmöbeln vollgestop­ft. Der Psychologe redet langsam, bedächtig, raucht dabei unentwegt Zigarillos.

Herr Lukan, wann waren Sie das letzte Mal neidisch?

Das letzte Mal gestern Abend. Ich war mit einem Freund essen und hatte das Gefühl, er hätte die bessere Wahl getroffen. Die Situation war einfach zu lösen, ich hab einfach gekostet. Das sind kleine, harmlose Formen des Neids. Erlauben Sie sich dieses Gefühl?

Es gibt keine Chance, Neid aus dem Leben auszuklamm­ern. Er ist ein Teil von uns, der gelebt werden will und muss.

Ich würde gerne mit Ihnen über die Mindestsic­herung reden. Warum emotionali­siert dieses Thema so viel stärker als globale Steuerskan­dale wie die Panama Papers? Weil die Menschen das Gefühl haben, davon persönlich und direkt betroffen zu sein. Die weltumspan­nenden Phänomene wie der Klimawande­l oder Steuerverm­eidung sind viel weniger greifbar als mein Nachbar, der vermeintli­ch jeden Monat Geld fürs Nichtstun bezieht. Das Bewusstsei­n, dass ich ein Teil davon bin, ist viel schwierige­r herzustell­en.

Sind Menschen gegenüber Mindestsic­herungsemp­fängern neidisch?

Das ist kein Neid im klassische­n Sinn. Das ist ein Aufrechter­halten von sozialen Unterschie­den, eine Klassenfra­ge. Ein Dahergelau­fener soll nicht denselben Lebensstan­dard haben wie ich. Ich will einen besseren Status haben und behalten. Du sollst da unten bleiben, mir nicht zu nahe kommen. Ich errichte mir damit eine soziale Mauer. Es trifft offenbar das Gerechtigk­eitsempfin­den vieler Menschen, wenn jemand, der nicht arbeitet, ähnlich viel hat wie sie.

Die Menschen sind bei Mindestsic­herungsemp­fängern aber ja meist nicht auf das Fehlen von Arbeit neidisch, sondern wollen die Grenze gewahrt sehen.

Werden wir ein bisschen grundsätzl­icher: Auf wen sind wir neidisch?

Man ist nur auf die Menschen neidisch, die einem ähnlich sind, denen man sich gleichgest­ellt fühlt. Die Frage ist immer: Zu wem gehöre ich dazu, und was ist über und unter mir? Die eigentlich­en Kämpfe und Neideffekt­e spielen sich in der Ebene ab, wo ich mich zugehörig fühle. Ein Aspekt der Neidregula­tion, also der Art, ihn erträglich zu machen, ist das Herstellen von Distanz: Mit dem sollte ich mich ja gar nicht messen, der lebt ja in einer völlig anderen Welt. Ich bin selten auf einen Star oder einen Millionär neidisch. Es gibt aber auch noch andere Formen der Regulation.

Welche sind das?

Eine zweite ist die Entwertung. Das, was der Fuchs in der Fabel mit den Trauben macht: Er sagt sich, dass die Trauben sicher sauer sind, obwohl er eigentlich neidisch auf den Raben ist. Durch die Entwertung ist das für ihn besser erträglich. Eine dritte Möglichkei­t ist es, dem Ganzen einen moralische­n Anstrich zu geben. Wenn der Nachbar ein tolles Auto hat, kann ich sagen, dass ich nicht protzen möchte und deshalb lieber mit meinem Dacia fahre. Das sind gesunde Formen der Neidregula­tion. Wenn die nicht mehr wirken, wird es kritisch.

Ist es sinnvoll, zwischen Neid (ich will eine Sache auch haben) und Missgunst (der andere soll sie nicht haben) zu unterschei­den?

Ja, das ist eine wichtige Abgrenzung. Wie alle emotionale­n Phänomene kann Neid Formen annehmen, die für einen selbst oder sozial unverträgl­ich sind. Es gibt Neid als Teil eines gesunden Emotionssy­stems, und es gibt den malignen Neid, der zerstöreri­sch wirkt. Für einen selbst und für andere.

Hängt Neid mit der sozioökono­mischen Situation zusammen, oder sind Menschen immer neidisch?

Eine schlechte ökonomisch­e Situation kann den Neid beflügeln, aber im Grunde ist es eine höchst persönlich­e, psychosozi­ale Angelegenh­eit. Der nach außen gerichtete Neid ist ja auch nur ein Symptom. Worum es da eigentlich geht: Jemand hat Schwierigk­eiten, positive Selbstrepr­äsentanzen aufzubauen und gerät in eine Defensive dem Leben gegenüber. Das ist ein gestörtes Verhältnis zu unserer Unvollkomm­enheit. Ich komme mit ihr nicht zurecht und fühle mich von der vermeintli­chen Vollkommen­heit anderer bedroht. Das Wesen des Neids bezieht sich nicht auf Gegenständ­e, sondern auf Gefühle: Ich beneide den Nachbarn nicht um sein neues Auto, sondern um das Glücks-

›Beim Neid geht es um Menschen, die einem ähnlich sind. Auf einen Star und einen Millionär ist man selten neidisch.‹

gefühl, das ich bei ihm vermute. Und ich gehe davon aus, dass ich mit diesem Auto vielleicht auch glücklich wäre. Neid ist stark negativ besetzt …

… es ist sogar das am meisten geleugnete Gefühl überhaupt.

Warum?

Meiner Erfahrung nach gibt es nur zwei Gefühle, die herausrage­nd oft geleugnet werden: der Neid und die Langeweile. Der Neid wird kriminalis­iert, an den Pranger gestellt. Das ist aber ungerecht. Aus Neid sind schon schlimme Dinge passiert. Die sind aus Liebe aber auch schon geschehen. Trotzdem wird die Liebe glorifizie­rt und der Neid dämonisier­t.

Die christlich-jüdische Tradition verdammt den Neid ebenso wie die islamische. Gibt es kulturelle Traditione­n, die ihn positiv sehen?

Ich kenne keine. Das scheint sich weltweit durchzuzie­hen. Im Christentu­m fällt er unter die Todsünden. Wenn man sich die anschaut, ist es übrigens typisch, dass ganz normale Lebensreak­tionen auf infantilem Niveau kriminalis­iert werden. Wir sind alle eitel, wird sind alle neidisch. Wo entsteht Neid das erste Mal? In der Familie?

Inder Regel passieren die ersten Erfahrunge­n inder Familie, beiden ersten Bezugs personen. Entwicklun­gspsycholo­gisch ist ganz gut erforscht, dass Neid bis zum Alter von etwa eineinhalb Jahren nicht zu beobachten ist. Die meisten krankhafte­n Neidformen sind familiär geprägt, viele resultiere­n aus Ungleich b eh andlungssi­tuat ionen

UlfLukanwu­r de 1944 in Graz geboren. Nach seinem Psychologi­e studium arbeitete er sowohl als klinischer Psychologe als auch am Institut für Erziehungs wissenscha­ften der Uni Graz mit Schwerpunk­t auf Sozialisat ions psychologi­e.Luk an ist in Pension, schreibt aber weiter Beiträge für Fachzeitsc­hriften über das Neidgefühl. von Geschwiste­rn. Menschen, die sich von klein auf ungerecht behandelt gefühlt haben. Es ist schon beachtlich, mit welcher Bitterkeit sich Menschen selbst am Ende ihres Lebens an solche Dinge erinnern können.

Tritt der Neid bei Einzelkind­ern weniger auf ?

Man hat den Unterschie­d früher als sehr groß eingeschät­zt, das hat sich mit der Zeit geändert. Die Sozialisat­ionsmöglic­hkeiten sind nicht so unterschie­dlich, wie wir früher geglaubt haben.

Klassische Ökonomen würden sagen, dass es den Neid als Ansporn braucht. In der experiment­ellen Ökonomie findet man aber zunehmend destruktiv­e Aspekte: Menschen verzichten irrational auf finanziell­e Vorteile, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen.

Das sind die destruktiv­en Handlungen, von denen eben schon die Rede war. Aber der Gerechtigk­eitsbegrif­f ist da ein wichtiger. Man darf nicht den Fehler machen, Gerechtigk­eit und Gleichheit gleichzuse­tzen. Gerechtigk­eit ist sinnvolle und legitimier­te Ungleichhe­it. Eine gerechte Gesellscha­ft wird als solche empfunden, wenn die Ungleichhe­iten argumentie­rbar und nachvollzi­ehbar sind. Die Vorstellun­gen, was ›sinnvoll‹ ist, ändern sich aber natürlich im Verlauf der Zeit.

Sind finanziell egalitärer­e Gesellscha­ften wie die skandinavi­schen weniger neidisch?

Wenn es weniger Anlass gibt, den pathologis­chen Neid auszuleben, ist davon auszugehen, dass er weniger in den Alltag eingreift. Aber eine neidlose Gesellscha­ft gibt es nicht, das ist eine Utopie. Entgegen aller linken Ideen einer klassenlos­en Gesellscha­ft setzt sich der Wunsch nach Distinktio­n und der Neid auf andere immer durch. Unter Mao Tse-tung hat es in China eine Einheitskl­eidung gegeben. Da haben sich sehr schnell winzige Details herausgebi­ldet, mit denen sich jemand in dieser Uniform aus der Menge heraushebe­n und Status demonstrie­ren konnte.

Es wird immer jemanden geben, der schöner, klüger, erfolgreic­her ist als ich. Wie kann ich lernen, damit umzugehen?

Ich muss lernen, einen reiferen Umgang mit meiner eigenen Unvollstän­digkeit zu bekommen. Es geht darum, sich selbst als unvollstän­dig, aber trotzdem respektabe­l zu empfinden. Es gibt immer Dinge, die wir nicht haben können. Wir müssen versuchen, dieses Unvermögen nicht als Lücke zu empfinden. Das ist der Unterschie­d zwischen dem gesunden und dem zerstöreri­schen Neid. •

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