›Wir sind alle neidisch‹
Und was macht das mit uns? Ein Gespräch mit dem Neidforscher Ulf Lukan.
Und was macht das mit uns? Ein Gespräch mit dem Neidforscher Ulf Lukan.
Dass Österreichs Gesellschaft besonders neidisch sei, ist ein klassischer Topos der Wirtschaftsberichterstattung. Die Tatsache, dass man hierzulande kaum über sein Gehalt spricht und – verglichen mit anderen Ländern – materiellen Luxus weniger zeigt, wird gerne als Beweis für eine missgünstige Gesellschaft herangezogen. Auf der anderen Seite wird Neid häufig als Erklärungsmuster für den Wahlerfolg von Parteien wie der FPÖ verwendet. Ulf Lukan ist klinischer Psychologe und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Gefühl Neid. Wer ihn in Graz zum Interview trifft, betritt eine Welt, in der die Zeit ein wenig langsamer zu vergehen scheint. Das Arbeitszimmer des 74-Jährigen ist mit dunklen Holzmöbeln vollgestopft. Der Psychologe redet langsam, bedächtig, raucht dabei unentwegt Zigarillos.
Herr Lukan, wann waren Sie das letzte Mal neidisch?
Das letzte Mal gestern Abend. Ich war mit einem Freund essen und hatte das Gefühl, er hätte die bessere Wahl getroffen. Die Situation war einfach zu lösen, ich hab einfach gekostet. Das sind kleine, harmlose Formen des Neids. Erlauben Sie sich dieses Gefühl?
Es gibt keine Chance, Neid aus dem Leben auszuklammern. Er ist ein Teil von uns, der gelebt werden will und muss.
Ich würde gerne mit Ihnen über die Mindestsicherung reden. Warum emotionalisiert dieses Thema so viel stärker als globale Steuerskandale wie die Panama Papers? Weil die Menschen das Gefühl haben, davon persönlich und direkt betroffen zu sein. Die weltumspannenden Phänomene wie der Klimawandel oder Steuervermeidung sind viel weniger greifbar als mein Nachbar, der vermeintlich jeden Monat Geld fürs Nichtstun bezieht. Das Bewusstsein, dass ich ein Teil davon bin, ist viel schwieriger herzustellen.
Sind Menschen gegenüber Mindestsicherungsempfängern neidisch?
Das ist kein Neid im klassischen Sinn. Das ist ein Aufrechterhalten von sozialen Unterschieden, eine Klassenfrage. Ein Dahergelaufener soll nicht denselben Lebensstandard haben wie ich. Ich will einen besseren Status haben und behalten. Du sollst da unten bleiben, mir nicht zu nahe kommen. Ich errichte mir damit eine soziale Mauer. Es trifft offenbar das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen, wenn jemand, der nicht arbeitet, ähnlich viel hat wie sie.
Die Menschen sind bei Mindestsicherungsempfängern aber ja meist nicht auf das Fehlen von Arbeit neidisch, sondern wollen die Grenze gewahrt sehen.
Werden wir ein bisschen grundsätzlicher: Auf wen sind wir neidisch?
Man ist nur auf die Menschen neidisch, die einem ähnlich sind, denen man sich gleichgestellt fühlt. Die Frage ist immer: Zu wem gehöre ich dazu, und was ist über und unter mir? Die eigentlichen Kämpfe und Neideffekte spielen sich in der Ebene ab, wo ich mich zugehörig fühle. Ein Aspekt der Neidregulation, also der Art, ihn erträglich zu machen, ist das Herstellen von Distanz: Mit dem sollte ich mich ja gar nicht messen, der lebt ja in einer völlig anderen Welt. Ich bin selten auf einen Star oder einen Millionär neidisch. Es gibt aber auch noch andere Formen der Regulation.
Welche sind das?
Eine zweite ist die Entwertung. Das, was der Fuchs in der Fabel mit den Trauben macht: Er sagt sich, dass die Trauben sicher sauer sind, obwohl er eigentlich neidisch auf den Raben ist. Durch die Entwertung ist das für ihn besser erträglich. Eine dritte Möglichkeit ist es, dem Ganzen einen moralischen Anstrich zu geben. Wenn der Nachbar ein tolles Auto hat, kann ich sagen, dass ich nicht protzen möchte und deshalb lieber mit meinem Dacia fahre. Das sind gesunde Formen der Neidregulation. Wenn die nicht mehr wirken, wird es kritisch.
Ist es sinnvoll, zwischen Neid (ich will eine Sache auch haben) und Missgunst (der andere soll sie nicht haben) zu unterscheiden?
Ja, das ist eine wichtige Abgrenzung. Wie alle emotionalen Phänomene kann Neid Formen annehmen, die für einen selbst oder sozial unverträglich sind. Es gibt Neid als Teil eines gesunden Emotionssystems, und es gibt den malignen Neid, der zerstörerisch wirkt. Für einen selbst und für andere.
Hängt Neid mit der sozioökonomischen Situation zusammen, oder sind Menschen immer neidisch?
Eine schlechte ökonomische Situation kann den Neid beflügeln, aber im Grunde ist es eine höchst persönliche, psychosoziale Angelegenheit. Der nach außen gerichtete Neid ist ja auch nur ein Symptom. Worum es da eigentlich geht: Jemand hat Schwierigkeiten, positive Selbstrepräsentanzen aufzubauen und gerät in eine Defensive dem Leben gegenüber. Das ist ein gestörtes Verhältnis zu unserer Unvollkommenheit. Ich komme mit ihr nicht zurecht und fühle mich von der vermeintlichen Vollkommenheit anderer bedroht. Das Wesen des Neids bezieht sich nicht auf Gegenstände, sondern auf Gefühle: Ich beneide den Nachbarn nicht um sein neues Auto, sondern um das Glücks-
›Beim Neid geht es um Menschen, die einem ähnlich sind. Auf einen Star und einen Millionär ist man selten neidisch.‹
gefühl, das ich bei ihm vermute. Und ich gehe davon aus, dass ich mit diesem Auto vielleicht auch glücklich wäre. Neid ist stark negativ besetzt …
… es ist sogar das am meisten geleugnete Gefühl überhaupt.
Warum?
Meiner Erfahrung nach gibt es nur zwei Gefühle, die herausragend oft geleugnet werden: der Neid und die Langeweile. Der Neid wird kriminalisiert, an den Pranger gestellt. Das ist aber ungerecht. Aus Neid sind schon schlimme Dinge passiert. Die sind aus Liebe aber auch schon geschehen. Trotzdem wird die Liebe glorifiziert und der Neid dämonisiert.
Die christlich-jüdische Tradition verdammt den Neid ebenso wie die islamische. Gibt es kulturelle Traditionen, die ihn positiv sehen?
Ich kenne keine. Das scheint sich weltweit durchzuziehen. Im Christentum fällt er unter die Todsünden. Wenn man sich die anschaut, ist es übrigens typisch, dass ganz normale Lebensreaktionen auf infantilem Niveau kriminalisiert werden. Wir sind alle eitel, wird sind alle neidisch. Wo entsteht Neid das erste Mal? In der Familie?
Inder Regel passieren die ersten Erfahrungen inder Familie, beiden ersten Bezugs personen. Entwicklungspsychologisch ist ganz gut erforscht, dass Neid bis zum Alter von etwa eineinhalb Jahren nicht zu beobachten ist. Die meisten krankhaften Neidformen sind familiär geprägt, viele resultieren aus Ungleich b eh andlungssituat ionen
UlfLukanwur de 1944 in Graz geboren. Nach seinem Psychologie studium arbeitete er sowohl als klinischer Psychologe als auch am Institut für Erziehungs wissenschaften der Uni Graz mit Schwerpunkt auf Sozialisat ions psychologie.Luk an ist in Pension, schreibt aber weiter Beiträge für Fachzeitschriften über das Neidgefühl. von Geschwistern. Menschen, die sich von klein auf ungerecht behandelt gefühlt haben. Es ist schon beachtlich, mit welcher Bitterkeit sich Menschen selbst am Ende ihres Lebens an solche Dinge erinnern können.
Tritt der Neid bei Einzelkindern weniger auf ?
Man hat den Unterschied früher als sehr groß eingeschätzt, das hat sich mit der Zeit geändert. Die Sozialisationsmöglichkeiten sind nicht so unterschiedlich, wie wir früher geglaubt haben.
Klassische Ökonomen würden sagen, dass es den Neid als Ansporn braucht. In der experimentellen Ökonomie findet man aber zunehmend destruktive Aspekte: Menschen verzichten irrational auf finanzielle Vorteile, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen.
Das sind die destruktiven Handlungen, von denen eben schon die Rede war. Aber der Gerechtigkeitsbegriff ist da ein wichtiger. Man darf nicht den Fehler machen, Gerechtigkeit und Gleichheit gleichzusetzen. Gerechtigkeit ist sinnvolle und legitimierte Ungleichheit. Eine gerechte Gesellschaft wird als solche empfunden, wenn die Ungleichheiten argumentierbar und nachvollziehbar sind. Die Vorstellungen, was ›sinnvoll‹ ist, ändern sich aber natürlich im Verlauf der Zeit.
Sind finanziell egalitärere Gesellschaften wie die skandinavischen weniger neidisch?
Wenn es weniger Anlass gibt, den pathologischen Neid auszuleben, ist davon auszugehen, dass er weniger in den Alltag eingreift. Aber eine neidlose Gesellschaft gibt es nicht, das ist eine Utopie. Entgegen aller linken Ideen einer klassenlosen Gesellschaft setzt sich der Wunsch nach Distinktion und der Neid auf andere immer durch. Unter Mao Tse-tung hat es in China eine Einheitskleidung gegeben. Da haben sich sehr schnell winzige Details herausgebildet, mit denen sich jemand in dieser Uniform aus der Menge herausheben und Status demonstrieren konnte.
Es wird immer jemanden geben, der schöner, klüger, erfolgreicher ist als ich. Wie kann ich lernen, damit umzugehen?
Ich muss lernen, einen reiferen Umgang mit meiner eigenen Unvollständigkeit zu bekommen. Es geht darum, sich selbst als unvollständig, aber trotzdem respektabel zu empfinden. Es gibt immer Dinge, die wir nicht haben können. Wir müssen versuchen, dieses Unvermögen nicht als Lücke zu empfinden. Das ist der Unterschied zwischen dem gesunden und dem zerstörerischen Neid. •