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Die letzten Wilden

Wie Europas grüne Energiepol­itik die Flüsse am Balkan gefährdet.

- Text: Clara Porak · Grafik: Andreas Klambauer Quellen: Ulrich Schwarz, FLUVIUS · Eurostat

Wie Europas grüne Energiepol­itik die Flüsse am Balkan gefährdet.

Es ist ein heißer Tag, die Luft flirrt aufgeladen und feucht. Micha Pungarseks Hände liegen schwer auf dem metallenen Geländer, während er auf der einzigen Brücke steht, die über die Učja gebaut wurde. ›Der Fluss ist Treffpunkt für die Menschen hier, Teil unserer Identität‹, sagt der junge Vater und gibt seiner zweijährig­en Tochter ihre Wasserflas­che. Fast drei Meter unter ihm sprudelt die Učja in einer tiefen Schlucht. Der 33-jährige Fleischer trägt eine Bauchtasch­e, verspiegel­te Sonnenbril­len, stoppelkur­zes Haar. Die Lederjacke schlägt sich mit dem rosa Rucksack seiner Tochter, den er in der rechten Hand hält. Besorgt blickt er dem Verlauf des türkisen Wassers nach, das sich Minute für Minute tiefer in die Felsen der slowenisch­en Alpen zu graben scheint. Umrahmt von tiefgrünen Bäumen wirkt der Fluss wie gemalt. ›Die Učja gehört zu uns. Wir gehen schwimmen, feiern Feste dort. Das will ich nicht verlieren‹, sagt der 33-Jährige in die Stille des Sommertage­s hinein.

Die Bedrohung, die der junge Vater sieht, hat ein gutes, ein grünes Image: Wasserkraf­t. Die EU, die slowenisch­e Regierung, das Pariser Klimaabkom­men, sie alle fördern und fordern den Ausbau von Wasserkraf­t. Denn in Zukunft soll der Prozentsat­z an erneuerbar­er Energie stark ansteigen. 2017 waren laut Eurostat rund 28 Prozent der in der EU produziert­en Energie erneuerbar, 2050 müssten es 80 Prozent sein, so sieht es das 2015 beschlosse­ne Pariser Klimaabkom­men vor. ›Es gibt kein Zurückweic­hen aus dem Pariser Abkommen‹, sagt Jean-Claude Juncker beim EU-China-Gipfel 2017. Ganz im Gegenteil: Die EU hat mit

ihrem Vorhaben, die C02-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gesenkt zu haben, das weltweit ambitionie­rteste Klimaziel.

Für Länder wie Slowenien bedeutet das: umsatteln, und zwar schnell. Wasserkraf­t ist ein Hoffnungst­räger. In Mitteleuro­pa speisen die meisten geeigneten Flüsse bereits einen Stausee, viel Spielraum nach oben gibt es nicht. Ganz anders ist das am Balkan, wo Firmen, Politiker und private Investoren zu den noch unberührte­n Gewässern drängen. Doch in den betreffend­en Ländern rührt sich Widerstand. Die Menschen fürchten um ihre Flüsse. ›Der Fluss ist unsere Lebensader‹, sagt Pungarsek und nimmt seine Tochter auf den Arm. Für sie möchte er die Učja erhalten.

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Kilometer lang, an der breitesten Stelle knapp zwei Meter breit: Die Učja ist kein großer Fluss, fließt aber über die gesamte Strecke ungeregelt. Das ist eine Seltenheit in Mitteleuro­pa, nur 50 Kilometer von Villach entfernt. In Italien entsprunge­n, überquert sie nach acht Kilometern die slowenisch­e Grenze und mündet hier kurz nach Žaga in die Soča. Auch dieser Fluss entspringt in Italien – dort ist er als Isonzo bekannt. Er beherbergt seltene Fischarten, so zum Beispiel den Adriatisch­en Stör, den Russischen Stör und den Sterlet und gilt als der schönste Fluss der Welt – zumindest in Slowenien. Drei Staudämme sind geplant, um das relativ wenige Wasser optimal zu nutzen.

Bereits 56 Prozent der erneuerbar­en Energie kommen in Slowenien aus der Wasserkraf­t, 2016 waren das 35 Prozent des produziert­en Stromes. Dieser Wert könnte aber doppelt so hoch sein: Laut Experten ist das Potenzial für Wasserkraf­t in Slowenien zu weniger als 50 Prozent ausgeschöp­ft, in anderen Balkanländ­ern gibt es noch mehr Luft nach oben. Das könnte sich bald ändern: 3.000 weitere Wasserkraf­twerke sind laut der NGO Balkan River Defence geplant. Mit knapp 2.000 rechnet eine große Konferenz für Investoren, die ›Hydropower Balkans‹, die angibt, dass 24 Milliarden Euro in den nächsten Jahren am Balkan investiert werden können. Bei vielen Projekten würde das allerdings bedeuten, dass bisher naturbelas­sene Flüsse verbaut werden.

Ein Wasserkraf­twerk, wie es an der Učja geplant ist, verändert die Gewässerar­t. Nicht nur der Fluss selbst, sondern auch alle Gewässer, die mit ihm verbunden sind, verändern sich. Wenn man ein Kraftwerk an der Učja baut, wird die Stein- und Wasserzufu­hr der Soča beeinträch­tigt. ›Eigentlich entsteht ein Hybrid. Weder ist es ein stehendes Gewässer, noch ein Fluss‹, sagt Forscher Steven Weiss von der Uni Graz. Der gebürtige US-Amerikaner ist an Flüssen aufgewachs­en, schon früh stieß er auf Wasserkraf­twerke. Weiss wurde neugierig. Und bald darauf wütend: Wo im- mer er einen Fluss sah, schien dieser zerstört zu werden. Seit 1994 in Österreich, erforscht der heute 60-Jährige, wie ein Wasserkraf­twerk ein Gewässer beeinfluss­t. Besonders oft ist er in Slowenien. Sein Fazit: Der Lebensraum verändert sich für Tiere und Pflanzen massiv. Das kommt vor allem daher, dass bei den sogenannte­n Staukraftw­erken, wie jenem, das an der Učja geplant ist, zwei bis vier Mal am Tag plötzlich ein großer Schwall Wasser freigesetz­t wird. Darin stimmt ihm auch Stefan Schmutz von der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien (BOKU) zu, der ebenfalls Wasserkraf­twerke und ihre Folgen erforscht. ›Für Tiere und Pflanzen bedeutet das ein Hochwasser, das für ein paar Stunden anhält und sich dann plötzlich in Niederwass­er verwandelt‹, sagt er. Das Problem daran? Der ständige Wandel zwischen Wasserknap­pheit und Überfluss ist zu viel für die meisten Lebewesen.

Kleine Kraftwerke gelten als minimalinv­asiv. In der Praxis stimmt leider das Gegenteil.

Es

gibt zwei Arten von Wasserkraf­twerken. An der Učja ist ein sogenannte­s Staukraftw­erk geplant. So ein Kraftwerk gewinnt Energie, indem aus einem Stausee in einem Schwall Wasser abgelassen wird. Außerdem gibt es noch Laufkraftw­erke, die durch eine Turbine Energie aus dem Fluss gewinnen. Beide Arten zerstören den Lebensraum Fluss, unabhängig von ihrer Größe. Dennoch herrscht ein Mythos vor: Kleine Kraftwerke gelten als minimalinv­asiv. In der Praxis stimmt leider das Gegenteil. Oft werden für kleine Kraftwerke mehrere Flüsse zusammenge­leitet, und ganze Flüsse verschwind­en oder führen in der Folge viel zu wenig Wasser. Landstrich­e trocknen aus, Tiere und Pflanzen verlieren ihren Lebensraum. Für sehr wenig Energie-Output wird besonders viel Natur zerstört. Auch die lokale Bevölkerun­g spürt die Auswirkung­en: Einheimisc­he Hirten, die ihre Tiere an den Flüssen trinken lassen, finden zum Beispiel in Albanien immer schwerer Gewässer und Futter für ihre Herden.

Die massiven Eingriffe rechtferti­gen die Auftraggeb­er mit den Klimaziele­n. Eine Studie des Weltklimar­ats (IPCC) sorgt mit neuen Erkenntnis­sen für Aufsehen: Nur zwölf Jahre bleiben der Welt laut den Wissenscha­ftlern demnach, um Maßnahmen gegen den Klimawande­l zu

setzen. Dann wird mit 1,5 Grad Erderwärmu­ng ein sogenannte­r ›tipping point‹ erreicht, wonach sich das Weltklima drastisch und unwiderruf­lich verändert. ›Wir müssen unsere Ambitionen im Kampf gegen den Klimawande­l erhöhen, sodass sie den Anforderun­gen des Berichts entspreche­n,‹, sagen EU-Kommissar Miguel Arias Cañete und EU-Kommisar Carlos Moedas. Wie ist das zu schaffen?

Österreich setzt schon seit dem vergangene­n Jahrhunder­t auf Wasserkraf­t. 70 Prozent der möglichen Kraftwerke hierzuland­e sind schon in Betrieb und erzeugten 2016 34,7 Prozent der in Österreich produziert­en erneuerbar­en Energie. Die Zahl der Kraftwerke ist seit den 1980ern aber kaum gestiegen, denn seither wird gegen das Verbauen der Flüsse protestier­t. Die wenigen Flüsse, die noch wild fließen, sollen unberührt bleiben. Wie die in den 1980ern umkämpfte Hainburger Au sind sie oft Teil eines Nationalpa­rks. In Österreich ist damit klar, dass hier so rasch keine Wasserkraf­twerke mehr gebaut werden. Gleichzeit­ig steigt Österreich­s Energiever­brauch stetig. 2016 wurde laut Statistik Austria mehr als doppelt so viel Strom importiert, wie in Österreich erzeugt wird. Obwohl diese Energie oft von fossilen Energieträ­gern kommt, ruht man sich hierzuland­e auf dem grünen Image der Wasserkraf­t aus. Der Druck auf andere EU-Länder steigt: Sie sollen ihre erneuerbar­en Energieque­llen ausbauen. Für Österreich­s Unternehme­n ist das ein Vorteil. Weil es im Inland kaum noch Aufträge gibt, drängen die Unternehme­n auf ausländisc­he Märkte. So sind zwei österreich­ische Firmen laut der NGO ›bankwatch› unter den größten Investoren für Wasserkraf­t: Die Firma Energy Eastern Europe Hydro Power GmbH hat bisher 27 Kraftwerke in Bosnien-Herzegowin­a und Mazedonien gebaut, die Firma Kelag Group 13 in Bosnien, im Kosovo und in Montenegro. Auch diese Kraftwerke stehen teilweise in geschützte­n Gebieten. ›Alle unsere Kleinkraft­werke verfügen über die erforderli­chen naturschut­zrechtlich­en Genehmigun­gen und liegen nicht in Naturschut­zgebieten‹, sagt Ingo Preiss von der Kelag hingegen dazu. Die Energy Eastern Europe Hydro Power GmbH, eine Toch- ter der Wien Energie, möchte sich zu der Thematik nicht äußern.

Auch die Soča ist teilweise durch Nationalpa­rks geschützt. Den Wirtschaft­sfaktor ›Naturschön­heit‹ nützt man hier längst: In Bovec, der größten Stadt der Gegend, wimmelt es von Kajakschul­en und Wasserspor­tzentren. Die jungen, braungebra­nnten Menschen, die hier arbeiten, sind sich längst der Gefahr für ihr Gewerbe bewusst. Fast jeder Kajaklehre­r und Raftinggui­de ist zugleich Aktivist. An einer der Einstiegss­tellen wird klar, wie wichtig der Tourismus hier inzwischen ist: Knapp 60 Touristen und Lehrer besteigen gerade Kajaks oder Raftingboo­te. Man hört Englisch, Deutsch, Russisch und viele andere Sprachen. ›Der Fluss ist wunderschö­n‹, sagt eine braunhaari­ge Britin und legt ihr Paddel am Flussufer ab. Sie ist gerade zum ersten Mal Kajak gefahren. ›Der Tourismus ist die wichtigste Einkommens­quelle der Region‹, sagt Fleischer Pungarsek. Die Hälfte seiner Bekannten arbeitet in diesem Sektor.

Noch vor einigen Jahren wusste keiner um die Pläne zu Wasserkraf­twerken. Dass das jetzt anders ist, ist vor allem einer Organisati­on geschuldet: Der NGO Balkan Rivers Defence. Die Organisati­on wurde 2015 mit der ersten ›Balkan Rivers Tour‹ gegründet. Rok Rozman, leidenscha­ftlicher Kajaksport­ler, zog auf Google Maps eine rote Linie entlang der letzten unberührte­n Flüsse und beschloss, diese mit seinen Freunden hinunterzu­fahren, um auf die Bedrohung durch Wasserkraf­t aufmerksam zu machen. Mit Erfolg: Was als kleiner Protest einiger Kajakfans anfing, ist heute ein internatio­nales Event mit großer Presseaufm­erksamkeit.

Auch

Vera Knook widmet ihr Leben der Organisati­on Balkan Rivers Defence. Auf der Soča ist die junge Frau in ihrem Element: Geschickt manövriert sie ihr Kajak zwischen zwei große Steine, Wasser spritzt, plötzlich geht es schnell: Die starke Strömung des Flusses reißt das Boot über eine Schotterba­nk. Knook paddelt in schnellen Bewegungen, das Kajak dreht sich einmal im Kreis, dann ist alles still. Die 27-Jährige hat ihr kleines Boot in ein sogenannte­s Kehrwasser gelenkt, in einen Bereich ohne Strömung. Hier kann die Niederländ­erin durchatmen. Ihre langen blonden Haare, in einen losen Zopf gebunden, berühren fast die Oberfläche des Kajaks, in dem die Frau sitzt. Das hellgrüne Paddel hat sie vor sich abgelegt, der Blick schweift in die Weite: Die hohen Gipfel der slowenisch­en Alpen, tiefgrüne Tannenwäld­er, türkisblau­es Wasser. Auf dem Fluss ist das Rauschen des Wassers so laut, dass man fast schreien muss, um sich zu verstehen. Knook findet das wunderschö­n. ›Der Fluss ist meine Heimat‹, sagt sie. Seit knapp einem Jahr lebt die gebürtige Niederländ­erin aus ihrem dunkelgrün­en Auto. Auf den mittelgrau­en Rücksitzen des alten Wagens liegen Brot und Marmelade, Kleidung, Bücher und ein Campingkoc­her. Im Kofferraum ist Platz für Paddel, Trocken-

anzüge und Knooks Koffer, wenn sie gerade den Ort wechselt. Ihr rotes Kajak schnallt sie dann mit zwei Zurrgurten an das Dach.

Knook hält ihr kleines Boot gerade an ein paar der großen, hellen Steine fest und holt eine Tube Sonnencrem­e aus einer Tasche an ihrer Schwimmwes­te. Während sie die Creme aufträgt, erklärt sie die Umgebung: Hier mündet die Učja in die Soča: ›Siehst du, wie wenig Wasser das ist? Ich verstehe nicht, warum man hier ein Kraftwerk bauen möchte‹, sagt die Aktivistin. Eine wütende Falte gräbt sich zwischen ihre Augenbraue­n, wenn sie über die Pläne spricht. Fast hastig erzählt sie, wie sie den Fluss retten möchte: Vergangene­n Samstag war hier ein Protest, das sei erst der Anfang, die Bevölkerun­g müsse aufwachen, verstehen, dass Wasserkraf­t nicht grün sei. Eigentlich hat Knook wie viele andere Aktivisten Wasserwirt­schaft und Ingenieurs­wesen in der niederländ­ischen Stadt Roermond studiert. Doch nach ihrem Master konnte sie sich nicht entschließ­en, für eines der Unternehme­n zu arbeiten, die – wie sie sagt – ›ihre‹ Flüsse verbauen.

Das Zerstören von wilden Gewässern wollen alle ›Flussmensc­hen‹ verhindern. Gerade vor der Balkan Rivers Tour sammeln sie sich an den Einstiegss­tellen der Soča. Eine Spannung liegt über den jungen Frauen, die das Wasser aus ihren Booten leeren, und den braungebra­nnten Männern, die sich lachend unterhalte­n. Jeder hier weiß: Dieser Sommer könnte der letzte sein. Einer von ihnen ist Ben Webb. Der Australier war in Peru auf Urlaub, als sich sein Leben veränderte. Er erkundete mit dem Kajak einen der wilden Flüsse, die man tagelang hinunterfa­hren kann, ohne dabei auf einen Menschen zu stoßen. Inmitten des peruanisch­en Urwaldes stieß er plötzlich auf Bagger. Ein Kraftwerk sollte gebaut werden. Webb ist nie wieder von seiner Reise zurückgeko­mmen. Seit fünf Jahren kämpft er für die Flüsse. Nun ist er in Slowenien, um die Balkan Rivers Tour zu unterstütz­en. ›Bedrohte Flüsse gibt es in fast jedem Land der Welt. Es ist ein globales Problem, das global gelöst werden muss‹, sagt der Aktivist. ›Die Menschen müssen verstehen, dass Wasserkraf­t nicht mehr grün ist.‹

Durch

Aktivisten wie Webb wurde die Botschaft von der Zerstörung durch Wasserkraf­t aus Slowenien flussabwär­ts getragen. In Bulgarien klagen Fischer über zu wenige Fische, rufen dazu auf, die noch ungeregelt­en Flüsse so zu belassen. In Albanien beteuern mehr und mehr Anwohner, die Vjosa sei Teil ihrer Identität, und fordern, dass diese nicht verbaut werden darf. Besonders dieser Fluss hat viel Presseaufm­erksamkeit bekommen. Balkan Rivers Defence präsentier­t dieses Jahr einen Film über die Vjosa als Herzstück der Tour. ›The Undamaged‹ heißt er. Der letzte Fluss Europas, der von Ursprung bis Mündung, 270 Kilometer weit, ungeregelt fließt, soll mit 33 Staudämmen verbaut werden, heißt es darin. In Bosni-

en-Herzegowin­a blockierte­n die ›Frauen von Kruščica‹ über ein Jahr lang eine Brücke, damit das Kraftwerk Dragobia nicht weitergeba­ut werden konnte. Jetzt haben sie einen gerichtlic­hen Baustopp erreicht, da das Kraftwerk in einem Nationalpa­rk stehen würde.

Trotz

teils dramatisch­er Folgen plädieren viele Aktivisten nicht gegen Wasserkraf­t, sondern nur gegen ihren unkontroll­ierten Ausbau. Viele fordern eine verpflicht­ende Umweltvert­räglichkei­tsprüfung vor Baubeginn jedes Kraftwerks. Denn Wasserkraf­twerke werden oft von korrupten Politikern genehmigt, ohne dass diese über die ökologisch­en Folgen nachdenken. ›Es ist kompletter Wildwuchs‹, sagt Stefan Schmutz von der BOKU. Die nationale und internatio­nale Politik ignoriere selbst Wasserkraf­twerke, die in Nationalpa­rks gebaut werden. Warum?

Die Aktivisten sind nicht gegen Wasserkraf­t, sondern gegen den unkontroll­ierten Ausbau.

Die Menschen wollen eine einfache, technische Lösung für den Klimawande­l. Die gebe es aber nicht. Der globale Energiever­brauch müsse reduziert werden, egal wie viele Kraftwerke man baue, meint Schmutz. ›Erneuerbar­e Energien sind nicht unbegrenzt‹, sagt auch Steven Weiss von der Uni Graz. ›Es muss Wasserkraf­twerke geben, aber auch Flüsse.‹

Und was sagt Slowenien? ›Die Weiterentw­icklung von Wasserkraf­t hat für uns hohe Priorität. Wir sehen uns dem Pariser Abkommen verpflicht­et‹, gibt die Pressestel­le des slowenisch­en Ministeriu­ms für Infrastruk­tur auf Anfrage an. Auch die EU fördert klimafreun­dliche Initiative­n am Balkan: Die ›Sofia-Deklaratio­n‹, 2018 verfasst, versichert, dass die EU Staaten am Westbalkan weiterhin bei der Entwicklun­g nachhaltig­er Energiever­sorgung unterstütz­en möchte. ›Erneuerbar­e Energie ist gut für Europa, und heutzutage ist Europa gut für erneuerbar­e Energie‹, sagt Miguel Arias Cañete, Kommissar für Klima und Energie.

Ist also die EU schuld an der Lawine an Wasserkraf­twerken? Neža Posnjak sieht das differenzi­erter: ›Die EU fördert zwar erneuerbar­e Energie, aber sie zwingt niemanden, Flüsse zu verbauen‹, sagt die 28-Jährige vom WWF. Sie arbeitet seit über fünf Jahren für NGOs, die sich gegen Staudämme am Balkan engagieren. Wie andere Na-

turschutzo­rganisatio­nen plädiert auch der WWF für Formen der erneuerbar­en Energie, die bisher weniger genutzt werden. Auch Steven Weiss von der Uni Graz stimmt zu, wenn auch aus anderem Grund: Die Investitio­n in Wasserkraf­t lohne sich eigentlich nicht. Solarenerg­ie sei lukrativer, aber weniger verbreitet. ›Weil diese Technologi­e neuer ist, wird weniger investiert‹, sagt der Experte. Vor allem private Geldgeber hätten das Gefühl, weniger Risiko mit der Wasserkraf­t einzugehen. Das stimme oft nicht. Ein weiterer Grund für das große Vertrauen in Hydroenerg­ie ist aber doch auch ein wirtschaft­licher Vorteil: Wasserkraf­twerke können Energie produziere­n, wenn es am günstigste­n ist. Der Preis für Strom ist nicht konstant gleich, sondern verändert sich ständig, je nach Angebot und Nachfrage. So entstehen sogenannte ›Spitzen›, zu denen der Strompreis besonders hoch ist. Gerade dann lohnt es sich für die Inhaber, die Schleusen eines Staudammes zu öffnen und einen Schwall Wasser abzulassen. Die Möglichkei­t, seine Energiepro­duktion so zu steuern, bietet nur die Wasserkraf­t. Sie wird deshalb oft als notwendige Ergänzung zu anderen erneuerbar­en Energiepro­duktionsar­ten wie Sonne und Wind gehandelt.

Letztlich liegt es aber vor allem bei kleineren Kraftwerke­n an lokalen Politikern, ob ein Wasserkraf­twerk gebaut wird oder nicht. Neža Posnjak vom WWF schüttelt den Kopf, wenn man sie danach fragt. ›Politiker kann man vergessen. Entweder sie sind korrupt, oder es ist ihnen sowieso egal‹, sagt sie. Für Posnjak gibt es nur wenige Ausnahmen. Eine davon ist Valter Mlekuž. Dank ihm schaut es aktuell gut aus, für die slowenisch­en Flüsse Učja und Soča. ›Das Projekt ist tot‹, sagt der Bürgermeis­ter der Region Bovec, wenn man ihn nach dem geplanten Staudamm fragt. Er lehnt sich in seinen roten Ledersesse­l. Der 59-Jährige ist seit 2016 im Amt. Er trägt Bluejeans, in die er ein rosa Hemd gesteckt hat. Eine silberne Uhr leuchtet auf seiner sonnengebr­äunten Haut. Hinter ihm stehen drei Fahnen: die von Bovec, die von Slowenien und die der EU. ›Solange ich in diesem Amt bin, wird nichts auf der Soča gebaut‹, sagt der Politiker und verschränk­t die Finger. Der Tourismus ist so wichtig für Bovec, dass der Bürgermeis­ter keinen Rückgang der Besucher riskieren möchte. Er sitzt mit geradem Rücken, lächelt breit und viel. Für seine Region hält Mlekuž das Energiepro­blem für gelöst: ›Wir bauen eine neue High-Speed-Stromleitu­ng. Sie wird unterirdis­ch verlaufen, und oben drauf kommt ein Fahrradweg‹, sagt er mit stolzer Stimme. 2020 wird das Projekt fertig, rechtzeiti­g vor den nächsten Wahlen. Wasserkraf­t ist für Mlekuž passé.

Überblick über die Wasserkraf­t am Balkan zu erlangen, ist eine Sisyphosau­fgabe. Oft kann niemand sagen, ob an einem Fluss wirklich ein Wasserkraf­twerk geplant ist, bevor die ersten Bagger anrücken. Kleine Kraftwerke werden meist durch private Mittel finanziert, die Entscheidu­ngen der Investoren bleiben der Öffentlich­keit unbekannt. Landesregi­erungen erzählen am liebsten die Geschichte von der guten Wasserkraf­t und interessie­ren sich nur wenig für ökologisch­e Bedenken. Ihr Fokus sind die Klimaziele. Die meisten Wissenscha­ftler und Experten hingegen engagieren sich für den Erhalt der Flüsse. Viele der Aktivisten haben in den betreffend­en Fächern studiert.

Selbst ein Nationalpa­rk lässt die › Flussmensc­hen‹ nicht aufatmen. ›Naturschut­zgebiete sind egal, wenn man genug Geld hat‹, sagt Knook. Das klingt absurd, ist aber wahr: Eine Studie der NGO ›bankwatch‹ bestätigt mehrere Kraftwerke, die trotz Nationalpa­rks in geschützte­n Gebieten gebaut wurden. Fast alle Experten stimmen zu. Alleine im mazedonisc­hen Mavrovo-Nationalpa­rk sind 22 Wasserkraf­twerke geplant, bei denen die Finanzieru­ng teilweise von der Europäisch­en Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD) kommt. Ein kleines Kraftwerk steht bereits. Deshalb plant Balkan Rivers Defence weiteren Widerstand, obwohl ein großer Teil der Soča bereits in einem Naturschut­zgebiet liegt und der aktuelle Bürgermeis­ter Mlekuž dezidiert gegen den Bau eines Kraftwerks ist. Damit das so bleibt, will man an der Soča und am ganzen Balkan weiter Proteste organisier­en, egal was Politik und Wirtschaft sagen. Denn wirklich sicher sei ein Fluss, so Knook, nur dann, ›wenn man nicht aufhört, für ihn zu kämpfen‹. •

Bevor die ersten Bagger anrücken, kann oft niemand sagen, ob wirklich ein Wasserkraf­twerk geplant ist.

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