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HANNES STEIN

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Vor elf Jahren gewann der gebürtige Münchner eine Greencard in der Lotterie. Mittlerwei­le ist Stein, der als Schriftste­ller sowie als Kulturkorr­espondent für Die

Welt arbeitet, US-Staatsbürg­er. Bis zur Wahl von Donald Trump war der praktizier­ende Jude bekennende­r Republikan­er. Zuletzt erschien Steins Roman ›Nach uns die Pinguine‹ (Galiani Verlag, 2017).

DATUM: Sie meinen den Fox-News-Moderator, der gerade bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng für Trump aufgetrete­n ist. Für Europa ist das undenkbar, dass sich Journalist­en politisch so deklariere­n …

sTeIN: Ja, wobei Sean Hannity ja selbst gesagt hat, er sei kein Journalist. Hier gibt es die interessan­te Kategorie des ›Pundit‹, also ein Meinungsab­sonderer. Fox News ist ja an sich ein Phänomen, ein Parallelun­iversum und eigentlich nicht mehr zu unterschei­den von Russia Today. Hinter allem Übel werden die Mainstream-Medien und die Juden in Gestalt von George Soros vermutet. Das ist letztlich auch die Idee, deretwegen dieser Mann in der Synagoge in Pittsburgh um sich geschossen und elf Menschen ermordet hat.

MIller-IDrIss: Die große Frage ist nun, wie man dieses Propagandi­stische zurückdrän­gen kann: Can the genie be put back in the bottle?

DATUM: Einer Ihrer Forschungs­schwerpunk­te ist ja die Radikalisi­erung der Mitte …

MIller-IDrIss: Ich hätte nie gedacht, dass meine Forschung einmal relevant sein würde. (lacht) Ich habe die Kommerzial­isierung des Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d anhand verschiede­ner Klamotten-Brands studiert. Marken, die mit kodierter Symbolisie­rung rechtsextr­emistische Ideen irgendwie in die Mitte zu bringen versucht haben. Ich habe mir das immer als subkulture­lles Projekt in einem anderen Land vorgestell­t, von dem wir auch als Amerikaner lernen konnten. Jetzt ist Rechtsextr­emismus in den Staaten in vielen Gesellscha­ften völliger Mainstream. So dass man das nicht nur bei Aufmärsche­n wie in Charlottes­ville, sondern auch bei einem großen TV-Sender wie Fox-News sieht.

DATUM: Geben Sie uns ein, zwei Beispiele. MIller-IDrIss: Zum Beispiel die ›Caravan‹, die im Wahlkampf konstruier­t wurde und mit der Angst vor einer feindliche­n Invasion geschürt wurde …

sTeIN: Oder dass es seitens der Republikan­er nicht mehr heißt: Die Demokraten sind irregeleit­et. Vielmehr lautet der Text: ›Die Demokraten wollen, dass es hier höhere Kriminalit­ät gibt!‹

MIller-IDrIss: Dieser Mann in Pittsburgh glaubte wirklich, es sei seine moralische Pflicht, seine Leute vor der jüdischen Weltversch­wörung zu retten. Aber die offene Feindselig­keit hat viele Gesichter. Ich war letzte Woche für einen Buchvortra­g in Michigan. Auf die Frage, wie es in Michigan laufe, sagte der Uber-Fahrer: ›The only problem with Michigan is, there are too many Arabic people here.‹ Nach einer Minute! Er sah eine weiße Frau und dachte, mit der kann ich offen sein.

sTeIN: Die Statistike­n sind eigentlich relativ klar: Hate Crimes sind sofort nach Trumps Wahl nach oben gegangen, antisemiti­sche Straftaten sind 2017 explodiert. Dazu muss man sagen, dass es amerikanis­che Juden bisher sehr gut hatten. Aus europäisch-jüdischer Sicht sage ich: ›Okay, been there …‹ Aber für amerikanis­che Juden ist das neu. DATUM: Das kam mit Trump, sagen Sie? MIller-IDrIss: Genau.

DATUM: Wie geht die jüdische Community mit Pittsburgh um?

sTeIN: In meiner Synagoge haben wir schon vor zwei Jahren angefangen, unseren eigenen Security Service zu organisier­en. Das heißt, Sie sehen mich jetzt manchmal vor meiner Synagoge herumstehe­n, und ich versuche mein Bestes, um nicht wie ein middle-aged, overweight guy auszusehen, sondern irgendwie gefährlich. (lacht)

Es fing schon vor Trump an, dass man erkannte: Wir haben ein ernstes Problem. Aber das ist eine andere Qualität. Pittsburgh ist der schlimmste antisemiti­sche Anschlag in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten. Aber damit wir hier nicht nur in schlimmen Gefühlen schwelgen: Die Reaktion darauf war ja auch wieder unglaublic­h positiv, diese Liebe, dass Amerikaner aller Hautfarben und Religionen gesagt haben: Wir lieben euch! Ihr gehört zu uns. Und muslimisch­e Organisati­onen haben Geld gespendet. Das sind Sachen, die mich atmen lassen.

DATUM: Frau Miller, Sie sind eigentlich Bildungswi­ssenschaft­lerin: Die Gründe für all das, worüber wir sprechen, haben letztlich mit Bildung zu tun. Wie funktionie­rt das Bildungssy­stem in den USA?

MIller-IDrIss: Das ist schwierig, weil es sehr große Qualitätsu­nterschied­e gibt. Es gibt wahnsinnig gute öffentlich­e Schulen, meine Kinder besuchen auch eine öffentlich­e Schule in Washington D. C., aber es gibt auch wirklich schlimme Schulen, wo man … sTeIN: … durch den Metalldete­ktor geht. MIller-IDrIss: Genau, und dort haben die Lehrkräfte entweder keine Kontrolle oder sind nicht in der Lage, mit den Jugendlich­en irgendwie kritische Auseinande­rsetzungen zu führen. Das heißt, die lernen auch nicht, kritisch gegenüber Fake News, Fake Media zu sein. Das heißt, dass viele junge Leute sehr einfach manipulier­t werden können.

DATUM: Die Schulen sind staatlich finanziert, aber aus der jeweiligen lokalen Gemeinde?

MIller-IDrIss: Ja, ganz lokal. Die Schulen werden aus den Property Taxes finanziert – eine arme Stadt hat auch wenig Geld für ihre öffentlich­en Schulen. Trotzdem gibt es auch lokal große Unterschie­de, weil in manchen Schulen die Eltern viel zusätzlich­es Geld spenden.

HolleIN: Das ist übrigens auch bei teuren Privatschu­len so, dass man regelmäßig angehalten wird, zusätzlich­es Geld zu spenden.

MIller-IDrIss: Und das führt natürlich zu großen Unebenheit­en. New York hat versucht, das zu ändern. Schulen dürfen das Geld nicht mehr dazu verwenden, zusätzlich­e Lehrer einzustell­en. In Washington dürfen wir das noch, das heißt, wir haben dann kleinere Klassengrö­ßen mit zwei Lehrern. Weil die Eltern das Geld geben.

DATUM: Was lernen Amerikaner­innen, Amerikaner über sich und die Welt – und was nicht?

sTeIN: Also zehn Prozent aller amerikanis­chen Schulkinde­r finden die Vereinigte­n Staaten auf einem Globus. Weswegen ich mit meinem 5-jährigen Sohn jetzt schon immer übe. Wo ist Deutschlan­d? Wo ist Kamerun? Wo ist Mexiko? Und Geschichte wird in Amerika deswegen praktisch nicht unterricht­et, weil man nur dann Geschichte unterricht­en kann, wenn man irgendeine positive Lehre daraus ziehen kann. Aber nehmen wir den 30-jährigen Krieg: Da haben sich alle umgebracht, und danach waren zwei Drittel tot – das ist ja nichts, was eine positive Stimmung aufkommen lässt.

MIller-IDrIss: Auch über die Sklaverei hört man meistens positive Geschichte­n, so wie: Undergroun­d Railroad, also die lernen irgendwie nur, wie man sich heroisch gewehrt hat.

sTeIN: Sehr typisch ist, der bekanntest­e amerikanis­che Film über den Holocaust ist ›Schindler’s List‹, und das ist ein Spielfilm mit einem Happy Ending.

DATUM: Nina Hollein schüttelt den Kopf, Sie haben andere Erfahrunge­n gemacht?

HolleIN: Ich habe die gegenteili­ge Erfahrung gemacht. Unsere Kinder hatten allesamt an unterschie­dlichen Schulen sehr intensiven und guten Geschichts­unterricht. Ich war ehrlich erstaunt.

sTeIN: Ein Freund unterricht­et am Bard College, so ziemlich das Beste, was man hier kriegen kann an Liberal Arts. Hannah Arendt liegt dort begraben. Und der sagt, seine Studentinn­en und Studenten wissen nicht, wo Polen auf der Landkarte liegt. Und wer Franklin Delano Roosevelt war!

DATUM: Zurück zu Trump: Ist das das letzte Aufzucken des alten, bösen, weißen Mannes, und danach wird alles noch besser als vorher?

MIller-IDrIss: Man hofft es. Ein anderes Problem ist, dass 2016 nur 35 Prozent der Menschen gewählt haben. Gerade bei den jungen Leuten haben wir eine sehr geringe Wahlbeteil­igung …

HolleIN: … und die Amerikaner sind sehr in ihrer fragmentie­rten Identitäts­politik verstrickt, wo jeder seine Interessen­gruppe vertritt. Aber dass alles plötzlich gut ist, wenn Trump weg ist, das glaube ich nicht.

sTeIN: Also, zwei Gedanken dazu. Erstens haben Sie, glaube ich, Recht, es ist das letzte Aufzucken des alten, weißen Mannes, aber so ein letztes Aufzucken kann in die Katastroph­e führen. Und es ist eben nicht nur

Trump. Es ist Trump und Bolsonaro in Brasilien, und eure FPÖ und die AfD in Deutschlan­d, wo man auch vor zehn Jahren nie gedacht hätte, dass so eine Partei im Bundestag vertreten sein würde. Also bevor es besser wird, kann es auf eine Weise dramatisch schlechter werden, die ich mir lieber nicht so genau ausmale. Und das zweite ist, dass viel dafür spricht, dass nach den Rechtspopu­listen dann die Linkspopul­isten kommen. Wenn es nur noch die Wahl gibt zwischen Rechtspopu­lismus und Linkspopul­ismus: Das hält unser politische­s System nicht aus.

DATUM: Kurze Gedankenpa­use, möchte jemand ein Glas Wein?

HolleIN: Nein, danke, ich brauche meine Energie für die Wahlparty heute Abend.

sTeIN: Entweder wir besaufen uns, weil wir fröhlich sind, oder um den Kummer zu ertränken.

MIller-IDrIss: Genau!

Nina Hollein geht. Bernhard Weiss kommt.

WeIss (zu Hannes Stein): Ah, du hast auch heute gewählt? Sind die Wahlzettel nicht absolut absurd in Amerika? Man hat dreißig Kandidaten aus allen unterschie­dlichen Bereichen, und ich habe zwei Drittel der Kandidaten nicht einmal vom Namen her gekannt, obwohl ich in den Medien arbeite. Das Problem ist nämlich, dass die Parteien keinen Groschen in New York ausgeben, weil die Republikan­er wissen, dass sie hier sowieso verlieren, und die Demokraten, dass sie sowieso gewinnen. Die geben die Werbegelde­r lieber nach Ohio oder Florida, und deswegen kriegt man als Konsument in New York nicht viel mit. Die lokalen Kandidaten können es sich auch nicht leisten. Ein Congressma­n aus Long Island könnte sich keine Radiokampa­gne in New York leisten.

sTeIN: Wobei, den Congressma­n aus Long Island kenne ich schon, das ist nämlich der, der zum zweiten Mal in Folge Werbung ausgeschic­kt hat, die die Wahlen für den falschen Tag ankündigt.

DATUM: Um Leute von der Wahl fernzuhalt­en? sTeIN: Ja.

DATUM: War dieser Wahlkampf besonders schmutzig? MIller-IDrIss: Die letzten drei, vier Monate waren sehr schlimm.

sTeIN: Trump hat via Twitter einen Werbespot verbreitet, in dem ein mexikanisc­her Mörder vorkommt, von dem gesagt wird, die Demokraten hätten ihn reingelass­en. Und dann kommen die Horden von braunhäuti­gen Lateinamer­ikanern, die gegen die Grenze anstürmen. Da muss man eben sagen, dass die Republikan­er längst nicht mehr eine normale, rechte, demokratis­che Partei sind. Das ist der Front National.

WeIss: Aber die traditione­llen Republikan­er wollen ja eigentlich die Economy bewerben. Trump spielt nicht mit, das ist ihr Problem.

sTeIN: Aber die Partei ist mittlerwei­le der Kult von Trump.

DATUM: Mit was für einem Blick schauen Sie auf das, was in Europa geschieht?

WeIss: Wenn man das Wall Street Journal liest oder die New York Times, kommt es oft vor, dass Österreich in einem Atemzug mit Polen und Ungarn genannt wird. Dieses Dreierpake­t. Das ist frustriere­nd und für das Image Österreich­s nicht gut.

sTeIN: Steve Bannon, der ehemalige Breitbart-Chef und Trumpberat­er, findet das natürlich alles toll.

WeIss: Aber dann im Gegenzug glaube ich auch, dass meine europäisch­en Freunde die Sache mit Trump zu schwarz-weiß sehen. Ich bin kein Trump-Supporter, aber

›Wir erleben das letzte Aufzucken des alten, weißen Mannes. Aber so ein letztes Aufzucken kann in die Katastroph­e führen.‹

Hannes Stein, Journalist

da gibt es schon einige Dinge, die Trump nicht so schlecht macht. Das muss man schon sagen.

DATUM: Was denn zum Beispiel?

WeIss: Deregulier­ung, Entbürokra­tisierung. In den Rankings jener Länder, in denen es einfach ist, ein Unternehme­n zu gründen, sind die USA in den vergangene­n zehn Jahren immer weiter runtergeru­tscht, weil es immer komplizier­ter geworden ist. Und Trump hat gesagt: Unter mir gibt es keine neuen Regulierun­gen. Davon kriege ich in Österreich nichts mit, da heißt es nur: Er ist das Schlimmste. Über weite Strecken stimmt das auch, aber eben nicht auf allen Ebenen.

DATUM: Was geschieht, wenn Sie das bei einem Gespräch in New York fallen lassen?

WeIss: Dann hast du eine 80-prozentige Chance, dass das gar nicht gut ankommt.

DATUM: Kommen Sie viel herum in den USA?

WeIss: Na ja, ich bin auch eher nur an der Ost- und an der Westküste.

sTeIN: Es gibt eine dreidimens­ionale politische Karte Amerikas, die einem wunderbar erklärt, wie dieses Land aussieht, und die Trump im Oval Office hat: Wenn man von oben draufsieht, ist sie völlig rot, und darin sind ein paar blaue Inseln. Dann kann man sie aber drehen, und sie wird dreidimens­ional, und es ist grafisch dargestell­t, wie viele Leute wo leben. Und dann sieht man, dass diese kleinen blauen Inseln in Wahrheit riesige blaue Wolkenkrat­zer sind, und die roten Flächen dazwischen ganz flache Gebilde. Amerika ist ein sehr dünn besiedelte­s Land. Und die meisten leben eben in Ballungsze­ntren. Und das wird sich noch verschärfe­n. 2040 werden 90 Prozent aller Amerikaner in acht Küstenstaa­ten und dort vor allem in urbanen Ballungsze­ntren leben, und der Rest des Landes ist praktisch leer. Und wie wir dann noch mit einem politische­n System durchkomme­n, in dem Wyoming genauso viele Senatoren stellt wie Kalifornie­n, wird man erst sehen. So viele Menschen wie in Wyoming wohnen in New York alleine in ein paar Wolkenkrat­zern, und Kalifornie­n ist für sich gesehen die sechstgröß­te Weltwirtsc­haft. Aber beide haben das gleiche Gewicht im Senat.

DATUM: Ist New York eigentlich nach wie vor der natürliche Ort für einen USA-Kulturkorr­espondente­n?

sTeIN: Ja! Hier wohnen halt die meisten. Brooklyn hat die größte Schriftste­llerdichte auf diesem Planeten. DATUM: Und das wird auch nicht fad? sTeIN: Samuel Johnson hat einmal gesagt: ›When a man is tired of London, he is tired of life.‹ Und ich würde sagen: ›He who is tired of New York City is tired of life.‹

Hannes Stein geht.

DATUM: Herr Weiss, geht es Ihnen genauso? New York wird nie fad?

WeIss: Ja, ich lebe schon seit 15 Jahren hier. Aber wenn ich am Wochenende nicht wegkäme, würde ich es nicht aushalten. Das Coole an New York ist diese Energie. Ich bin im Werbegesch­äft, das ist nun einmal sehr verkaufsor­ientiert. Und in keiner anderen Stadt habe ich jemals Ähnliches erlebt, wenn es ums Geschäft geht. Die Leute hier begegnen einem als Verkäufer positiv. Wenn man in Österreich jemanden anruft, legt die andere Seite gleich auf, wenn sie das Wort ›Verkäufer‹ hört. In New York ist das anders. Aber du erlebst hier eben auch viele Dinge,

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