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Saskia Jungnikl Beziehungs­weise

Die Schriftste­llerin Vea Kaiser über ihre Romanfigur­en.

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Erinnern Sie sich an die erste Figur, die Sie erschaffen haben?

Oh ja. Der Achillesse­hnenschlit­zer. Mit dieser Gruselfigu­r wurde ich mit elf Jahren die Queen der Skikurse und Schulausfl­üge. Eigentlich der Ur-Beginn meines Schreibens. Ich habe mir damals diesen Mörder überlegt, der seinen Opfern die Achillesse­hne durchschli­tzt, um sie dann wegschlepp­en zu können. Er hatte einen Riesenerfo­lg in meiner Klasse, und ich glaube, dass bei mir so auch die Lust entstanden ist, Geschichte­n zu erzählen. Man bemerkt, wenn die ersten anfangen zu tuscheln, und weiß, jetzt muss wieder ein bisschen Spannung kommen. Es war eine gute Möglichkei­t, sich am Gegenüber ausprobier­en zu können. Wie bauen Sie Ihre Charaktere?

Das war bisher immer unterschie­dlich. Bei meinem ersten Buch war die Grundkonst­ellation da, und es ergab sich der notwendige Charakter. Beim dritten Buch jetzt, das im März erscheint, sind die Charaktere inspiriert von meiner Oma und ihren Schwestern, haben sich aber im Laufe des Schreibens dann völlig geändert. Einen Roman zu schreiben, ist auch ein Kennenlern­en des Personals.

Das heißt, die Figuren entwickeln sich oft so, wie Sie es gar nicht vorsehen?

Immer! Und ich hasse es. Ich versuche immer wieder, Figuren am Reißbrett zu entwerfen, aber das funktionie­rt nicht. Da- durch nimmt man sich die Möglichkei­t, die Figur besser anzupassen oder überhaupt erst kennenzule­rnen. Beim zweiten Buch war meine Heldin zuerst eine sehr empfindlic­he Figur – jetzt ist sie ein Rammbock, die mit Ellbogen links und rechts durch die Welt geht. Ich schreibe ein Buch aber sicher sechsmal um. Das heißt, bei jedem Umarbeiten kann sich auch der Charakter wandeln. Bei meinem neuen Buch würde man die Ur-Charaktere nicht mehr wiedererke­nnen. Woher kommt Ihre Inspiratio­n? Von Menschen, die Sie kennen, oder Menschen, die Sie in der Straßenbah­n sehen, oder sind sie völlig frei erfunden?

Alles möglich. Eher sind es abstrakte Figuren. Auch Figuren aus anderen Romanen, die dann ein Eigenleben entwickeln. Es gibt ja auch Archetypen in der Literatur, die immer wieder auftauchen. Ich finde, am unmöglichs­ten ist es, Menschen aus der Realität zu nehmen. Weil sie oft nicht geeignet sind. Weil sie zu komplex sind. In einem Roman geht das nur begrenzt, weil der Charakter nachvollzi­ehbar bleiben muss. Ich habe ein paar Mal versucht, aus dem wahren Leben zu schöpfen, und bemerkt, dass man sich da zu stark limitiert. Es geht selten gut.

Erschaffen Sie Figuren, die Sie dann nicht leiden können?

Nein, ich mag sie eigentlich alle. Wobei, ich habe bisher keine rein bösartige Figur geschriebe­n und auch keinen richtigen Helden. Meine Lieblingsf­iguren sind immer die, die bei den Lesern am unpopulärs­ten sind. Ich mag die Schwierige­n am liebsten. Ist es schwer, am Ende des Buches loszulasse­n?

Da gibt es zum Glück das Fahnenlese­n. Man liest das Buch noch so oft, dass man es irgendwann nicht mehr sehen kann. Jetzt freue ich mich schon auf die Charaktere vom nächsten Buch! Ich trage sie mit mir herum, sie sind schon in mir. Sie sind wie alte Freunde. Ich finde, das ist ja das Schönste am Schreiben – dieses Entwickeln zu Beginn. •

 ??  ?? VEA KAISER Die mehrfach ausgezeich­nete Schriftste­llerin veröffentl­ichte 2012 ihren ersten Roman ›Blasmusikp­op‹. Im März erscheint ihr neues Buch ›Rückwärtsw­alzer‹. Wenn sie nicht schreibt, studiert Kaiser Altgriechi­sch in Wien.
VEA KAISER Die mehrfach ausgezeich­nete Schriftste­llerin veröffentl­ichte 2012 ihren ersten Roman ›Blasmusikp­op‹. Im März erscheint ihr neues Buch ›Rückwärtsw­alzer‹. Wenn sie nicht schreibt, studiert Kaiser Altgriechi­sch in Wien.
 ??  ?? Saskia Jungnikl Journalist­in und Autorin
Saskia Jungnikl Journalist­in und Autorin

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