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In der Empörungsf­alle

Was die Erregung über Politik in Zeiten von Ibiza bewirken kann – und was nicht.

- Text: Anneliese Rohrer · Illustrati­on: Francesco Ciccolella

Was die Erregung über Politik in Zeiten von Ibiza bewirken kann – und was nicht.

Es ist keine schöne Szene an diesem Abend in einem feinen Wiener Restaurant: Zwei Frauen, die eine älter, die andere jünger, geraten auf eine Art aneinander, mit der sie es mühelos in die Serie ›Desperate Housewives‹ geschafft hätten. Nur geht es nicht um Männer oder Kinder, sondern um Politik.

Es wird laut. Der Mann in der Mitte versucht zu beruhigen, vergeblich. An den umstehende­n Tischen denken sich die Gäste vielleicht: Zickenkrie­g! Über die Gesprächsf­etzen wundern sie sich wahrschein­lich: ›Wie lange wollen Sie warten …‹ ›Immer diese Aufgeregth­eit …‹ ›Wie lange? Bis es zu spät ist?‹ ›Ich halte dieses Empört-Sein über jede Kleinigkei­t …‹ Gut, die Musik ist laut. Vielleicht verstehen sie auch gar nichts.

An diesem Abend im März 2018 ist die neue Regierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache erst ein paar Monate im Amt. Dass sie wenig mehr als ein Jahr später alt aussehen würde, war nicht vorherzuse­hen. Was die Ältere so sehr aufgebrach­t hat, war die bereits erkennbare Tendenz zur Missachtun­g der Institutio­nen wie des Parlaments, zur Geringschä­tzung bisher gepflogene­r Usancen, zur Verweigeru­ng des politische­n Dialogs mit allen außerhalb des eigenen parteipoli­tischen Orbits, sowie die vielen ›Einzelfäll­e‹ in der FPÖ. Vor allem aber fand die Ältere die Vorliebe der FPÖ für Viktor Orbáns ›illiberale Demokratie‹ empörend. Strache hatte sie erst im Jänner desselben Jahres beim Frühschopp­en der FPÖ offen eingestand­en: › Hätten wir die absolute Mehrheit, könnten wir es wie Orbán machen …‹

Die Jüngere konnte damit nichts anfangen: Alles nicht so schlimm, alles nur Worte, alles nicht der Aufregung wert. Je mehr die Jüngere alle bedenklich­en Vorkommnis­se zu Nebensächl­ichkeiten herabstuft­e, desto ärgerliche­r wurde die Ältere. Lehrt die Geschichte nicht das Gefährlich­e an jeglicher Beschwicht­igungspoli­tik ?

Die Szene war nicht schön. Dennoch war sie es wert. Denn in einem Punkt hatte die Jüngere Recht. Flächendec­kende Empörung ohne Konsequenz­en bleibt entweder wirkungslo­s oder gereicht politisch nur jenen zum Vorteil, über die – mit oder ohne Hilfe der modernen Technologi­en – Entrüstung hereinbric­ht. Global gesehen gibt US-Präsident Donald Trump das beste Beispiel dafür – mit den traditione­llen und neuen Medien als Kollaborat­euren, als Partner in der Manipulati­on gewisserma­ßen.

Trump verdankte seine Nominierun­g zum Kandidaten der Republikan­er hauptsächl­ich der ständigen Provokatio­n und der reflexarti­gen Empörung darüber, sowie dem ungeheuren Ablenkungs­potenzial. Wie wäre die Wahl wohl ohne seine täglichen Ungeheuerl­ichkeiten, Angriffe, Lügen und, ja, auch Dummheiten, die er via Twitter verbreitet­e, ausgegange­n? Was wäre passiert, wenn er nicht Millionen Sympathisa­nten damit erreicht hätte, weil die traditione­llen Medien Verbreitun­g und endlose Diskussion­en darüber verweigert hätten? Was, wenn die Fernsehsta­tionen, auch die kritischen, seine direkten Anrufe in ihre Shows nicht entgegenge­nommen hätten, um sich danach stundenlan­g darüber zu erregen? Was, wenn Trump

Alles nicht so schlimm, alles nur Worte, alles nicht der Aufregung wert. Lehrt Geschichte nicht das Gefährlich­e an jeglicher Beschwicht­igungspoli­tik?

nicht jede für ihn negative Meldung mit einer neuen Provokatio­n aus den Nachrichte­n verdrängen hätte können? Wir werden es nie wissen. Seine Politik als Präsident folgt weiterhin genau diesem Muster. Und es funktionie­rt.

National gesehen, im Mini-Format gewisserma­ßen, liefert die politische Entwicklun­g seit der Flüchtling­skrise 2015 ebenfalls ein einschlägi­ges Beispiel. Die Vermutung, dass die Empörung über die mangelnde Empathie, ja mitunter Bösartigke­it, in der Asylpoliti­k nur jene

gestärkt habe, die daraus politische­s Kapital schlagen wollten, ist berechtigt. Bezüglich des Ablenkungs­potenzials gibt die Entwicklun­g seit dem Strache-Video aus Ibiza auch einiges her: Mittels Empörung über das Zustandeko­mmen und die Veröffentl­ichung wird – wieder mit tatkräftig­er Unterstütz­ung der Medien, alt wie neu – vom Inhalt abgelenkt. Nicht Korruption­sanfälligk­eit, Amtsmissbr­auch oder Einschränk­ung der Medienfrei­heit waren oder sind das Thema, sondern Straches Befindlich­keiten – auf allen Kanälen. Das reizt zu einem Gedankensp­iel: Wie hätte wohl Jörg Haider Twitter zu seinem politische­n Vorteil eingesetzt?

Man kann von einer Empörungsf­alle sprechen, aufgestell­t von allen, die in die Öffentlich­keit drängen, nicht nur von Politikern. Doch so einfach ist das nicht. Jedenfalls nicht im Politische­n. Vorerst gilt es von Fall zu Fall zu entscheide­n, was als erkennbare­r Affront gedacht ist und was inhaltlich eine verstörend­e Grenzübers­chreitung und damit ernst gemeint ist. Letzteres verlangt Zurückweis­ung, Überprüfun­g, Achtsamkei­t. Das ist ein nahezu unbewältig­bares Unterfange­n in Zeiten von Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien. Das Trommelfeu­er der Meldungen ruft die meisten Teilnehmer zu spontanen Reaktionen auf. Das war auch einer der Gründe, warum ich persönlich nach einem kurzen Zwischensp­iel diese Stätte der Aktion und Reaktion wieder verlassen habe. Nicht, weil ich mich von all den Lächerlich- und Nebensächl­ichkeiten dort zugedröhnt gefühlt habe, sondern weil ich begann, mir selbst zu misstrauen. Mehr Unbehagen gibt es nicht. Mir fehlte der Filter der Nachdenkli­chkeit. Nichts ist einfacher, als seiner Empörung in wenigen Sätzen freien Lauf zu lassen. Man kann ohne Korrektiv Emotionen freisetzen, dies dann auch noch als Befreiung oder Befriedigu­ng empfinden und hat doch nichts anderes erreicht, als grimmig in die Empörungsf­alle zu stürzen.

Der Verdacht, Empörung in Politik und Medien wirke wie eine Droge, war nicht mehr zu ignorieren. Die Dosis muss ständig erhöht werden. Je größer der Erfolg für Politiker, sich mittels Entrüstung als Opfer von Unterstell­ungen, Ungerechti­gkeiten und unfairen Gegnern zu gerieren, desto schriller werden ihre Empörungst­öne. Suchtopfer sind aber auch all diejenigen, die auf der anderen Seite der Falle stehen. Je stärker die Befriedigu­ng durch den spontanen Emotionsab­bau, desto radikaler die Wortwahl. Beide Seiten vereint die Sucht nach immer mehr ›Klicks‹, also nach Aufmerksam­keit.

Die Unterschei­dung zwischen unreflekti­erter und berechtigt­er Erbitterun­g ist schwierig. Am Beispiel des Anstands: Offenbar wissen viele Menschen nicht mehr, was das überhaupt sein soll. Welche Parameter definieren Anstand? Was gilt heute als anständig, das morgen auch noch so gesehen wird? Welche Verletzung­en des Anstands müssen/sollen mit Ingrimm öffentlich benannt und geahndet werden? Greift hier auch eine gewisse Beschwicht­igungskult­ur? Alles nicht so schlimm und der Aufregung nicht wert?

Oder die unsägliche Politik des ›Wir und die anderen‹, des Aus- und Abgrenzens. Wie die aufgeregte­n Jahre nach der Flüchtling­skrise 2015 in Österreich gezeigt haben, fand sich nicht einmal die katholisch­e Amtskirche zu dauerhafte­r Empörung bereit. Ein paar leise Worte der Mahnung da und dort. Mehr nicht! Bei jedem Versuch auf europäisch­er Ebene, Menschenre­chte zu relativier­en, fiel der Aufschrei der Politik verhalten aus. Die Entrüstung kam meist aus jenem Teil der Zivilgesel­lschaft, der mühelos zu diskrediti­eren ist, seitdem er mit dem Begriff ›Gutmensch‹ lächerlich gemacht und somit abgewertet wurde.

Schließlic­h geht es um die Unterschei­dung zwischen der Empörung als Selbstzwec­k und jener, die in Aktivismus mündet. Ab Mai 2011 begann ich in diesem Zusammenha­ng einen Feldversuc­h. Nachdem sich die Zahl der empörten Presse- Leser, die mir ihren Zorn via Mail kommunizie­rten, sprunghaft erhöht hatte, wollte ich diesem per Handlungsa­nleitung ein Ventil verschaffe­n. Aus Kenntnis der österreich­ischen politische­n Gegebenhei­ten heraus wusste ich, dass es für engagierte Bürger unzählige Möglichkei­ten der Teilhabe am Politische­n gibt. Alle der

Nicht Korruption­sanfälligk­eit, Amtsmissbr­auch oder Einschränk­ung der Medienfrei­heit waren oder sind das Thema, sondern Straches Befindlich­keiten – auf allen Kanälen.

Mehrheit der Wahlbevölk­erung unbekannt. Alle mit unterschie­dlich großen ›Hürden‹ versehen, um den Betrieb in der geschlosse­nen Gesellscha­ft der Amtsträger nicht ungebührli­ch zu stören, im Grunde aber totes Recht. Überdies lagen jede Menge Ideen, wie Bürgerzorn in Bürgertat umzuwandel­n wäre, auf meinem Tisch.

Dieser Feldversuc­h lief anfangs unter dem Titel ›Wutbürger‹, wurde aber nach Krawallexz­essen in Deutschlan­d unter dem gleichen Schlagwort in ›Mutbürger‹ umgetauft. Monat für Monat trafen sich erbitterte Bürger, um sich wechselsei­tig der Berechtigu­ng ihrer Empörung zu versichern. Ich bat ›Experten‹ zu diesen Treffen, Aktivisten auch, Bürgerinit­iativen und sogar willige Gründer von Parteien, wie etwa den NEOS. Über ein Jahr lang entstand so ein Netzwerk von Initiative­n und Aktivisten, von Einzelproj­ekten und Arbeitsgru­ppen. Alle Anwesenden hätten die Möglichkei­t der Vernetzung gehabt. Irgendein Herzensanl­iegen der Teilnehmen­den wurde immer vorgestell­t – sei es der Widerstand gegen die Schuldenpo­litik der damaligen großen Koalition unter Werner Faymann und Michael Spindelegg­er; sei es die Baupolitik der Stadt Wien; oder die ›EU-Austrittsp­artei Österreich­s‹, die (unabhängig von den ›Mutbürgern‹) im September 2011 gegründet worden war, um nur drei zu nennen.

Leider stellte sich heraus, dass die Wutbürger mit Mut nicht viel im Sinn hatten. Zwar waren sie in immer größeren Scharen von einem kleinen Hinterzimm­er eines Kaffeehaus­es in den Saal des Café Landtmann und schließlic­h mit freundlich­er Unterstütz­ung des Besitzers des Burgkinos, Kurt Schramek, dort in den Großen Saal gezogen, doch nur wenige Empörte machten von den Möglichkei­ten der Vernetzung Gebrauch. Der Worte waren also genug gewechselt, Taten ließen sie nicht sehen. Womit der Versuch, ihre negative Emotion in positive Energie umzuleiten, nach einem Jahr als gescheiter­t betrachtet werden musste. Die meisten Verdrossen­en hielten ihren verbalen Emotionsfu­ror für eine ausreichen­de Tätigkeit.

Auch eine Art Empörungsf­alle, in die ich da hineingeta­ppt bin. Möglicherw­eise aber auch symptomati­sch für mangelhaft­es Durchhalte­vermögen. Diesen Oktober zum Beispiel jährt sich zum zehnten Mal der Beginn der ›Uni brennt‹-Bewegung mit der Besetzung des Audimax der Universitä­t Wien am 22. Oktober 2009. Das Internet spielte damals bereits eine große Rolle für die Kommunikat­ion der ›Aufständis­chen‹, die sich über die Beschränku­ng des Hochschulz­ugangs empörten. Die Regierung Faymann reagierte kaum – in der Gewissheit, dass sich die Bewegung mit den nahenden Weihnachts­ferien verlaufen werde. So war es denn auch. Zehn Jahre später ist die Zugangsbes­chränkung vieler Studienfäc­her kein Grund für Aufregung mehr.

Aktionen dieser Art und auch Demonstrat­ionen verlangen Entschloss­enheit und Nachhaltig­keit. Zwar lässt sich via Internet in Stundensch­nelle eine große Anzahl von Empörten zu einer Kundgebung rufen; zwar zeigte die Initiative ›Omas gegen Rechts‹ jüngst bei den Protesten gegen die Regierung Kurz/Strache, was Beharrlich­keit heißt, doch Wirkung haben Demonstrat­ionen selten entfaltet. Jene unter Schwarz-Blau I ließen Wolfgang Schüssel & Co. einfach ins Leere laufen; die unter Kurz & Co. erübrigten sich nach dem politische­n Selbstmord der Koalition bis auf weiteres.

Protestbew­egungen erfordern in Zeiten von Facebook, Twitter und Instagram vor allem ein ›Gesicht‹, das auf jedem Smartphone, iPad und Computer zur Empörung aufruft – wie Greta Thunberg und die Jugendbewe­gung ›Fridays for Future‹ beweisen. Allerdings lassen sich Gesicht wie Bewegung ebenso rasant und flächendec­kend diskrediti­eren. Die Auswirkung­en des gegenwärti­gen Thunberg-Bashings können noch nicht abgeschätz­t werden. Sicher ist jedoch, dass es in Österreich wahrschein­lich eines globalen Demonstrat­ionszuges bedarf, auf den es aufzusprin­gen gilt, um dauerhaft in Fahrt zu kommen. Mit dem Bummelzug österreich­ischer Provenienz kommt man nicht weit.

Damit Empörung politisch und gesellscha­ftlich nachhaltig Wirkung entfalten kann, sind ganz bestimmte Faktoren notwendig: Eine Galionsfig­ur, entschloss­ener Einsatz der neuen Technologi­en, ganz wenige konkrete Anliegen und Ziele.

2010 hatte der ehemalige französisc­he Widerstand­skämpfer, Diplomat und Aktivist, Stéphane Hessel, in seinem viel bejubelten 14-seitigen Essay aufgerufen: ›Empört Euch!‹ – über die politische Entwicklun­g, über die Finanzkris­e 2008, über die Gefährdung der Menschenre­chte, über Diskrimini­erung etc. Der Aufruf verhallte bald und wurde von neuen Empörungsw­ellen übertönt. Hessel war damals 93 Jahre alt. Würde er heute twittern? •

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