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Sebastian Loudon

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Natascha Strobl betritt das Café Concordia-Schlössl in Wien-Simmering, und es wirkt ein wenig wie eine sympathisc­he Truppenver­legung. Zwei Kleinkinde­r, ein Sack mit Spielsache­n im Gepäck und die Großmutter, die sich während unseres Gespräches um die Kleinen kümmern wird. Strobl bestellt sich einen Kräutertee, sie wirkt entspannt und aufgeregt zugleich.

Die Politikwis­senschaftl­erin hat sich 2014 als Co-Autorin eines Buches über die Identitäre Bewegung einen Namen gemacht, sie gilt als versierte Beobachter­in und Erklärerin der Methoden von Rechtsextr­emen und -populisten. Ich bin selbst die erste Akademiker­in in meiner Familie, die komplizier­te Sprache der Wissenscha­ft hat mich immer rasend gemacht. 2018 begann sie, ihre Analysen und Beobachtun­gen auf die ÖVP unter Sebastian Kurz, seine Auftritte, Aussagen und Techniken anzuwenden. Strobls primäres Mittel sind Threads auf Twitter: So nennt man Serien mehrerer Tweets zu einem Thema. Oft sind es TV-Interviews mit oder Ansprachen von Politikern – oder auch das Hörbiger-Video für Kurz –, die mit dem Hashtag ›NatsAnalys­e‹ quasi in Echtzeit zerlegt, dechiffrie­rt und kontextual­isiert werden.

Ihre Wirkung reicht über Österreich­s Grenzen hinaus. So nannte Deutschlan­ds Interneter­klärer, Sascha Lobo, in seinem ›Debatten-Podcast‹ auf Spiegel Online Strobl kürzlich als herausrage­ndes Beispiel dafür, dass das viel gescholten­e Twitter oft die besten Analysen zu laufenden politische­n Debatten liefere. Ein digitaler Ritterschl­ag.

Mittlerwei­le ist Strobl längst im Fernsehen zu sehen, wird von Radiosende­rn interviewt und schreibt in verschiede­nen Printmedie­n. Als Expertin für Rechtsextr­emismus diskrediti­eren sie ihre Gegner als linke Aktivistin. Und da ist auch was dran: Strobl ist in antifaschi­stischen Gruppierun­gen aktiv. Das ist eine Gratwander­ung, die mir sehr bewusst ist, und ich hadere manchmal immer noch mit der Frage, ob ich mir das eine durch das andere kaputtmach­e. Doch die zur Schau gestellte Neutralitä­t der Wissenscha­ft und ihre komplizier­t-zurückhalt­ende Sprache ist nichts für Strobl. Ihr Vorbild ist Marie Jahoda, Wegbereite­rin der Sozialpsyc­hologie und eine der prägenden Figuren der internatio­nalen Sozialdemo­kratie. Aktivismus und Wissenscha­ft miteinande­r zu verbinden: Das ist eigentlich ein traditione­ll linker Ansatz.

Ihre wissenscha­ftlichen Analysen bietet Strobl kostenlos, man kann sie jedoch mit Spenden unterstütz­en. In ihrem Brotberuf arbeitet sie im Sozialbere­ich in der Öffentlich­keitsarbei­t. Aber ich versuche diese beiden Felder strikt zu trennen.

Ihre zunehmende Exponierth­eit bringt sie auch in Gefahr. Schon als unser Buch über die Identitäre­n erschienen ist, hat uns jemand mit einem Luftdruckg­ewehr durchs Fenster geschossen. Regelmäßig bekommt sie Vergewalti­gungs- oder Morddrohun­gen. Die Abgeklärth­eit, mit der sie das erzählt, ringt einem Respekt ab, und doch nimmt sie es nicht auf die leichte Schulter. Der Verfassung­sschutz ist informiert, alles wird zur Anzeige gebracht, aber es kommt eigentlich nie etwas raus. Nur, wenn ihre Kinder bedroht werden, dann tue es besonders weh. Da gibt es keinen Filter. Was macht das mit einem? Natürlich wird man vorsichtig. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich würde alles wieder so machen. Ich brauche diese Aufregung nicht. Inzwischen sei sie aber so weit in der Öffentlich­keit, dass es kein Zurück mehr gebe. Die Öffentlich­keit schützt mich auch. Da müssen sie sich schon sehr genau überlegen, ob sie mir etwas antun wollen, wenn es dann in der Zeitung steht. •

 ??  ?? NATASCHA STROBL wurde 1985 in Wien geboren. Die Politikwis­senschaftl­erin ist Autorin von ›Die Identitäre­n. Handbuch zur Jugendbewe­gung der Neuen Rechten in Europa‹ (2014) und hält auf dem ganzen Kontinent Vorträge zum Thema.
NATASCHA STROBL wurde 1985 in Wien geboren. Die Politikwis­senschaftl­erin ist Autorin von ›Die Identitäre­n. Handbuch zur Jugendbewe­gung der Neuen Rechten in Europa‹ (2014) und hält auf dem ganzen Kontinent Vorträge zum Thema.
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Sebastian Loudon Herausgebe­r

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