Datum

Liebe Leserin, lieber Leser,

- Ihr Stefan Apfl stefan.apfl@datum.at

unser Datenredak­teur Vanja Ivancevic wurde am 5. Mai 1986 geboren, neun Tage nach der Nuklearkat­astrophe von Tschernoby­l. Die ersten sechs Monate seines Lebens ging seine Mutter nicht außer Haus mit ihm, sie aß nur Konserven.

Angesproch­en auf den theoretisc­hen Fall, dass alle fünf Kühlsystem­e, die im slowakisch­en Atomkraftw­erk Mochovce jeweils dreifach vorhanden sind, ausfallen könnten, reagiert der dortige Pressespre­cher mit: Lachen.

Diese beiden Begebenhei­ten, die scheinbar nichts miteinande­r zu tun haben, umfassen den Konflikt hinter unserer Titelgesch­ichte ›Mochovce und wir‹ recht anschaulic­h.

Nach 36 Jahren Bauzeit soll Ende des Jahres ein neuer Reaktor ans Netz gehen. Die Tatsache, dass Atomkraft vor dem Hintergrun­d der Klimakrise eine Renaissanc­e erfahren könnte, haben unsere Reporterin­nen Clara Porak und Laura Fischer zum Anlass genommen, um nach Mochovce zu fahren und die andere, die slowakisch­e Seite des Konflikts zu erzählen.

Beinah egal, auf welches Thema wir in diesem Spätherbst schauen, als Bürger, als Konsumenti­nnen, als Journalist­en, wir sehen die Klimakrise daraus hervorrage­n. Ist das manisch oder schon panisch? Nein, muss antworten, wer sich mit den Fakten auseinande­rsetzt: Die Klimakrise nicht nur als Krise von Flora und Fauna, sondern als Querschnit­tskrise unserer Gesellscha­ft, unserer Wirtschaft, unserer Politik zu erachten, ist realistisc­h und geboten.

Die Klimakrise ist, so drückte das die britische Tageszeitu­ng The Guardian jüngst aus, das bestimmend­e Thema unserer Zeit. Und so kommen die großen wie die kleinen journalist­ischen Recherchen und Erzählunge­n unserer Zeit nicht darum herum. Bloß ist niemandem geholfen, wenn diese Auseinande­rsetzung im Dunkelton des Untergangs passiert.

Ja, wir alle sind Teil des Problems, als Einzelne, als Gesellscha­ft, als Unternehme­n, als ganze Staatengeb­ilde und Wirtschaft­ssysteme. Doch ebenso können wir Teil der Lösung sein. Die Krise als Chance, man verschone Sie mit Yuppie-Floskeln? Verständli­ch. Bloß: Es ist genau so. Wenn wir diese existenzie­lle Krise nicht als Chance begreifen, wie das unsere Kollegin Clara Porak argumentie­rt (S. 34), was sollen wir denn dann sonst damit tun? Sie leugnen? Davor resigniere­n? Einfach ignorieren?

Die Chance besteht darin, uns selbst, unsere Verhältnis­se zu befragen, um aus den Antworten Handlungso­ptionen abzuleiten, die über Verzicht, Gejammer und Relativier­ung hinausgehe­n. Wir versuchen eben das.

Katharina Kropshofer hat sich auf der Suche nach Alternativ­en zu Beton – wäre die Betonindus­trie ein Land, hätte es die höchsten CO2-Emissionen hinter den USA und China – mit dem Baustoff Lehm auseinande­rgesetzt (S. 64).

Emilia Garbsch hat eine Studentin und ihre Großmutter begleitet, beide sind Mitglieder der radikalen Klimabeweg­ung Extinction Rebellion, die als Mischung aus Selbsthilf­egruppe und Achtsamkei­tsworkshop funktionie­rt (S. 26).

Und Helmut Spudich reflektier­te auf seiner Reise in die Antarktis über den Zusammenha­ng von Fernreisen und Naturerleb­en auf der einen sowie Massentour­ismus und Ökoflursch­aden auf der anderen Seite (S. 70).

Es gehört zu den ureigenste­n Aufgaben des Journalism­us, die Fakten für einen historisch­en Prozess wie den Umgang mit der Klimakrise aufzuberei­ten. Als Journalist­innen, als Journalist­en verstehen wir es als unser Privileg und unsere Pflicht, diese Verantwort­ung wahrzunehm­en.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen neue Perspektiv­en bei der Lektüre der Seiten der Zeit.

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Stefan Apfl Chefredakt­eur

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