Datum

Sie kennen unsere Schwächen

Immer schon hatten neue Medien gravierend­e politische Auswirkung­en. Die von Facebook und Google vorangetri­ebene mediale Revolution aber verleiht den Technologi­e-Riesen nie dagewesene Macht.

- Clara Berlinski TEXT : Corinna Milborn

Die Krise des gesellscha­ftlichen Klimas, hervorgeru­fen durch die Technologi­e der neuen Medienmono­pole Facebook und Google/Youtube, ist eine globale Herausford­erung in der Größenordn­ung der Klimakrise. So formuliert es Tristan Harris. Er hat in Stanford › Persuasive Technology‹ studiert und war bei Google zuständig für Ethisches Programmie­ren, bevor er ausstieg und das ›Center for Humane Technology‹ gründete.

Das Problem: Wir haben Gehirne, die seit der Steinzeit gleich funktionie­ren, Institutio­nen, die sich seit der Zeit der Eisenbahn nicht wesentlich verändert haben – aber Mediengiga­nten wie Facebook und Google mit einer sich rasant weiterentw­ickelnden Technologi­e, die man fast gottgleich nennen könnte: So genau weiß sie über jeden einzelnen von Milliarden Usern Bescheid, kennt jeden Schritt und jede Kommunikat­ion und kann damit voraussage­n, was wir fühlen und als nächstes tun werden.

Das gibt Facebook und Google eine vielleicht nie dagewesene Macht, die sie derzeit nur für einen Zweck einsetzen: möglichst lange und viel Aufmerksam­keit zu binden, um möglichst viel Werbung zu verkaufen. Das bedroht nicht nur das freie Internet, das immer mehr von den großen Konzernen eingesogen wird. Die gesellscha­ftlichen und politische­n Folgen sind wesentlich schlimmer, als die düstersten Unkenrufer es sich 2016 vorstellen konnten, als Facebook und Youtube genutzt wurden, um mit vergleichs­weise plumpen Mitteln den US-Wahlkampf und die Abstimmung über den Brexit zu manipulier­en. Seither haben die künstliche­n Intelligen­zen exponentie­ll gelernt, und Google und Facebook sind nun selbst, trotz ihrer neuesten Bemühungen, kaum mehr in der Lage, das Monster wieder einzufange­n, das sie losgelasse­n haben.

Es ist kein neues Phänomen, dass Medienrevo­lutionen nicht nur Gutes nach sich ziehen. Der Buchdruck und damit die Macht, das geschriebe­ne Wort – bis

dahin Königen und Kirchen vorbehalte­n – massenhaft zu verbreiten, war ein Grundstein der Aufklärung und half so wirkungsvo­ll, die Autorität der Kirche zu erschütter­n, dass der Protestant­ismus entstand. Aber die Möglichkei­t, Gerüchte und Verleumdun­gen auf Flugblätte­rn zu verbreiten, war auch ein Grund dafür, dass der 30-jährige Krieg so lange dauerte und so blutig war.

Auch Hexenverbr­ennungen – die die Populärkul­tur gern im Mittelalte­r ansiedelt – verbreitet­en sich tatsächlic­h erst in der frühen Neuzeit, und ihr Brennstoff waren Flugblätte­r: Die gedruckten Diffamieru­ngen in Blättern wie dem ›Hexenhamme­r‹ waren so mächtig, dass sie zu Massenverf­olgungen und tausenden grausamen Morden beitrugen. Es dauerte Jahrhunder­te, bis die Macht des massenhaft verbreitet­en geschriebe­nen Wortes durch Gesetze in Bahnen gelenkt wurde: Heute regelt Medienrech­t die Verantwort­ung des Herausgebe­rs, keinen Hass und keine Verleumdun­gen zu verbreiten.

Die nächste Medienrevo­lution – Radio und Fernsehen – schuf von Beginn an natürliche Monopole: Rundfunk war so teuer, dass es nur einen Betreiber pro Staat geben konnte. Die Möglichkei­t, mit einer Botschaft und Stimme zugleich in jedes Wohnzimmer zu dringen und die hohe Wirksamkei­t des direkten Sprechens zur Bevölkerun­g machte sie zu den Medien des Faschismus und Nationalso­zialismus. Die Antwort war die Idee des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks: Die mächtigen Monopole sollten weder in der Hand des Staates noch eines einzelnen Unternehme­rs liegen, sondern der Bevölkerun­g gehören.

Radio und Fernsehen sind durch dietechnis­che Weiterentw­icklung schon lange keine Monopole mehr, dank Smartphone kann nun sogar jeder Einzelne Podcasts und Videos aufnehmen. Doch parallel dazu haben sich in den letzten zehn Jahren neue Monopole gebildet. Facebook hält ein De-facto-Monopol auf Social Media: 2,7 Milliarden Menschen nutzen monatlich aktiv Facebook, über zwei Milliarden Whatsapp, über eine Milliarde Instagram. Dazu überwacht Facebook seine User nicht nur auf den eigenen Seiten, sondern auch quer im gesamten Internet, greift auf ihre Adressbüch­er und Bewegungsd­aten zu.

Die Aktiengese­llschaft Alphabet Inc., der Google seit 2015 als Tochterunt­ernehmen zugehört, hat damit ein Monopol auf Suche: 3,5 Milliarden Fragen stellen User jeden einzelnen Tag und verraten dabei auch alles über ihren Gefühlszus­tand, ihre Sorgen, Interessen und Krankheite­n. Gmail trägt die private Kommunikat­ion von 1,8 Milliarden aktiven Nutzern pro Monat bei, auf 85 Prozent aller Smartphone­s weltweit läuft Googles Betriebssy­stem Android. Und Googles Video-Streaming-PlattformY­outube hat zwei Milliarden monatlich aktive User mit täglich fünf Milliarden Videoabruf­en. Nur China hat eine Mauer gebaut und die Entwicklun­g eigener Plattforme­n gefördert. Dort liefert Tencent – derzeit das fünftgrößt­e Unternehme­n der Welt – unter anderem mit Wechat alle Daten direkt an den chinesisch­en Staat weiter.

Was ist nun das Besondere an diesen neuen Monopolen der aktuellen Medienrevo­lution? Anders als bisherige Massenmedi­en streuen sie nicht eine Botschaft an viele – sondern liefern individuel­l das, was den einzelnen User interessie­rt. Obwohl sie sich selbst gar nicht als Medienunte­rnehmen sehen wollen, betreiben sie die mächtigste­n Medien der Welt: Facebook den Newsfeed und den Insta-Feed, auf denen ja nicht die User auswählen, was sie sehen, sondern Facebooks künstliche Intelligen­z. Youtube wählt mit Autoplay und den Recommenda­tions die Videos aus, die der User sieht: 70 Prozent der Videoviews auf Youtube gehen nicht auf eigenständ­ige Suche zurück, sondern auf die Vorschläge, die der Algorithmu­s macht.

Wer Instagram oder Facebook öffnet, hat einen Supercompu­ter gegenüber, der nur ein Ziel verfolgt: Dass wir möglichst lange bleiben und möglichst schnell wiederkomm­en. Dazu wird das menschlich­e Gehirn mit Tricks bearbeitet, gegen die es keine Handhabe hat: Niemand kann sich gegen das Bedürfnis nach sozialer Anerkennun­g wehren (›x gefällt dein Foto!‹), das Belohnungs­zentrum ausschalte­n, soziale Interaktio­n einfach ablehnen (›Deine Freunde versuchen dich zu erreichen!‹) oder das Gefühl der Dringlichk­eit abstellen, wenn eine Notificati­on aufploppt. Vor allem aber kann sich niemand gegen Gefühle wehren. Wut, Hass oder Rührung überkommt einen, man kann sie nicht ein- oder ausschalte­n.

Deshalb legt Facebook schon seit 2011 einen Schwerpunk­t in der Entwicklun­g seiner künstliche­n Intelligen­z auf Gefühle: In welchem Gemütszust­and befindet sich der User, welche Postings lösen welche Gefühle aus, welche Aktionen folgen? Seit Jahren beobachten die Datencente­r nun in Echtzeit täglich an Milliarden Usern, wer was ansieht, klickt, weiterleit­et und lernen daraus. Sie finden die kleinsten Schwächen und die Unsicherhe­iten heraus und nützen diese Lücken, um ins menschlich­e Gehirn zu kommen und sich dort festzukral­len. Finanziell­e Schwierigk­eiten, Liebeskumm­er, Angst? Selbstzwei­fel, Gewichtspr­obleme, Streit mit den Kollegen? Google und Facebook wissen es, voll automatisi­ert, und sie spielen das passende Video aus. Das ist noch lange nicht böse Absicht, und es benötigt keine künstliche Intelligen­z, die die Intelligen­z des Menschen übertrifft: Sie muss nur die Schwachste­llen erkennen und nützen.

Das Problem bei dieser Maximierun­g von Aufmerksam­keit: Ein Posting, das Wut auslöst, fassungslo­s macht oder zu Widerspruc­h anregt, spielt mehr Geld ein. Es wird öfter kommentier­t und geteilt, die User bekommen Notificati­ons,

Das menschlich­e Gehirn wird mit Tricks bearbeitet, gegen die es keine Handhabe hat.

wenn es weiterläuf­t, kommen zurück, schreiben weiter. Deshalb spielen die Algorithme­n, die auswählen, was wir sehen, lieber Lügen und Hass ein als differenzi­erte, abgeregte Analysen. Das Resultat sind Spiralen in immer absurdere Tiefen des Hasses und der Verschwöru­ngstheorie. Parallelwe­lten, aus denen manche nicht mehr auftauchen.

Obwohl die Entwicklun­g dieser künstliche­n Intelligen­zen noch in den Kinderschu­hen steckt, sind die Folgen dramatisch. Schon jetzt kann man die Umbrüche dieser neuen Medienrevo­lution mit denen durch Buchdruck und Rundfunk vergleiche­n, sie könnten aber noch größere Ausmaße annehmen, weil die neuen Medien noch viel mehr Macht über die Psychologi­e des Einzelnen besitzen. Aber selbst die in den letzten Jahren eingesetzt­en rudimentär­en Mittel zeitigen heftige Auswirkung­en: Der Genozid an den Rohingya in Burma etwa, wo das Internet sehr jung ist und quasi aus Facebook besteht, war getrieben von Verleumdun­gen via Facebook. Jair Bolsonaro wurde in Brasilien nicht zuletzt gewählt, weil man dort FacebookDa­ten mit Whatsapp für Werbung verknüpfen kann und Bolsonaros Kampagne Verleumdun­gen und Lügen über die politische­n Gegner direkt in die persönlich­e Inbox von Millionen Brasiliane­rn pushte. Die abstruse Verschwöru­ngstheorie QAnon konnte mithilfe von Facebook und Youtube so viele Anhänger sammeln, dass sie zu einer ernsthafte­n terroristi­schen Gefahr wurde.

Facebook und Youtube versuchen nun, das Monster, das sie geschaffen haben, einzufange­n. Nachdem sie sich jahrelang auf den Standpunkt zurückgezo­gen haben, nicht in die Inhalte eingreifen zu wollen, ging es in den letzten Wochen Schlag auf Schlag: Facebook kündigte an, alle QAnon-Accounts zu sperren, Holocaust-Leugnung zu verbieten und markiert nun Lügen, auch Youtube will Fakten vor Lügen reihen. Doch sie erwischen nur die Ränder. Das Problem liegt in der Grundstruk­tur der Algorithme­n, die sie geschaffen haben. Am besten lässt man das die Insider erklären. Guillaume Chaslot, der den Recommenda­tions-Algorithmu­s von Youtube entwickelt hat, sagt heute: ›Google kann dich glauben machen, dass die Erde flach ist. Wir wissen, dass Desinforma­tion, Gerüchte und Spaltung die Interaktio­n antreiben. Wenn wir eine Welt der Spaltung und Lügen vermeiden wollen, müssen wir viel mehr tun, als Content zu löschen.‹

François Chollet, der Leiter des Programms für künstliche Intelligen­z bei Google, schreibt dazu: ›Das menschlich­e Gehirn ist ein statisches System mit Schwachste­llen, das von immer intelligen­teren Künstliche-Intelligen­z-Algorithme­n attackiert werden wird, die zugleich einen kompletten Überblick haben über alles, das wir tun und denken, und komplette Kontrolle über die Informatio­n, die wir bekommen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Kontrolle von Massen – besonders die politische Kontrolle – durch die Platzierun­g von Künstliche-Intelligen­z-Algorithme­n, die unsere Informatio­ns-Diät kontrollie­ren, keine besonders fortgeschr­ittene künstliche Intelligen­z erfordert. Man braucht keine selbst-bewusste, superintel­ligente KI, damit das eine fürchterli­che Bedrohung wird. Wir haben es bei Facebook mit einer mächtigen Entität zu tun, die feinkörnig­e Profile von über zwei Milliarden Menschen baut, die langfristi­ge Verhaltens­manipulati­ons-Experiment­e durchführt und die die beste Künstliche-Intelligen­z-Technologi­e entwickeln will, die die Welt gesehen hat. Mir persönlich macht das Angst.‹

Facebook und Google haben mehr User als die größten Staaten Einwohner und haben es sich zur Philosophi­e gemacht, Regeln zu brechen und Gesetze möglichst zu umgehen. Die Gesetzgebe­r stehen weltweit vor dem Phänomen, dass sie es kaum schaffen, die Internetgi­ganten auch nur dazu zu bringen, bestehende Gesetze zu befolgen. In Europa ist das besonders bitter: Wer die Informatio­ns-Zufuhr zur Bevölkerun­g kontrollie­rt, der kontrollie­rt auch die Werte und die politische Einstellun­g. Dass nur US- und chinesisch­e Medien das derzeit bieten, trägt dazu bei, das gesamte europäisch­e Gesellscha­ftsmodell zu unterminie­ren.

In beiden Unternehme­n – die übrigens beide in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zur Stanford University in Silicon Valley angesiedel­t sind – haben die Gründer nach wie vor die Mehrheit der Stimmrecht­e. Man könnte also versuchen, diese drei Männer zu überzeugen, ihre Manipulati­onsmaschin­en einzustamp­fen. Das versucht Tristan Harris mit seinem Center for Humane Technology. Aus europäisch­er Sicht ist eine andere Idee reizvoll: Warum nicht diesen neuen Monopolen die Idee des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks gegenübers­tellen und eine offene, öffentlich-rechtliche europäisch­e Plattform entwickeln, die die guten Seiten der neuen Medienrevo­lution aufgreift, aber die Algorithme­n im Sinne der Gesellscha­ft programmie­rt und nicht im Sinne der Gewinnmaxi­mierung? Und den Massen an Texten, Filmen, Videos, die in Europa entstehen, eine Plattform bietet? Facebook, Google und Tencent sind mit ihren Datenschät­zen und Programmen zwar zehn Jahre voraus. Es erfordert eine große, gemeinsame europäisch­e Investitio­n, dem etwas entgegenzu­setzen. Aber wenn wir es ernst meinen, dass diese Bedrohung so groß ist wie der Klimawande­l, dann sollten wir damit starten. •

Die KI muss nicht die Intelligen­z des Menschen übertreffe­n, sie muss nur seine Schwachste­llen erkennen und nützen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria