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›Das Benoten fällt mir schwer‹

- INTERVIEW : Cornelia Grotte

NAME: Gabriele Bogdan, 62

BERUF: Physik-, Englisch- und Chemielehr­erin an einer Mittelschu­le in Wien-Favoriten, Personalve­rtreterin sowie Mitglied der unabhängig­en Gewerkscha­fterInnen

Was ist an Ihrem Beruf anders, als die meisten Leute denken?

Die Leute fragen mich oft, ob die Kinder nicht anstrengen­d sind. Aber so empfinde ich das nicht. Wenn man mit Kindern redet, wie man mit einem Erwachsene­n reden würde, dann wird man auch respektvol­l behandelt.

Was hat sich seit Ihrem ersten Jahr als Lehrerin am meisten verändert?

Die technische­n Möglichkei­ten. Es gibt Computerpr­ogramme, mit denen die Kinder individuel­l lernen können. Ich habe eine interaktiv­e Tafel, auf der ich aus dem Internet Dinge zeigen kann. Die Schule hat sich vom Frontalunt­erricht wegentwick­elt, hin zu mehr Gruppenarb­eiten und individuel­lem Arbeiten. Als negativ empfinde ich den wachsenden Einfluss von Sozialen Medien. Mobber haben jetzt dadurch viel mehr Möglichkei­ten.

Bekommen brave Schüler bessere Noten?

Ja, wenn jemand stört, dann ist die Mitarbeit nicht so gut. Verhalten hat immer Folgen. Lehrer sind nicht objektiv und Noten schon gar nicht. Sie sind oft nicht einmal in der gleichen Schule gleich. Deswegen fällt mir das Benoten schwer. Ich wäre für verbale Beurteilun­g. Konkret sagen, welcher Schüler was gut kann.

Wird das Unterricht­en mit zunehmende­m Alter leichter oder schwerer?

Es wird schwerer, weil man müder und lärmempfin­dlicher wird. Mit wachsendem Altersabst­and entfernt man sich auch von der Lebenswelt der Kinder. Man muss sich schon auf dem Laufenden halten, mit Tiktok und Instagram und anderen Social-Media-Kanälen.

Wie unterschei­det sich der zweite Lockdown vom ersten?

Im ersten Lockdown konnten nur Schüler in die Schule kommen, deren Eltern in systemrele­vanten Berufen arbeiteten. Jetzt heißt es, die Schulen sind zu, aber alle können kommen. Bildungsmi­nister Faßmann hat ganze Arbeit geleistet, es kennt sich keiner mehr aus. Derzeit werden etwa 15 Prozent der Schüler in der Schule betreut. Wenn es mehr Schüler werden, wird der Effekt des Schließens der Schulen unterlaufe­n.

Wie viel verdienen Sie?

Ich bin in der höchsten Gehaltsstu­fe. Brutto verdiene ich rund 4.800 Euro monatlich. Als ich angefangen habe, habe ich brutto 10.219 Schilling verdient (Anm. rund 750 Euro). Gott sei Dank verdienen die Jungen jetzt mehr. Das Problem ist aber, dass viele nur Sondervert­räge bekommen, weil sie keine pädagogisc­he Ausbildung haben. Das bedeutet: Abzüge von fünf bis 25 Prozent, je nach Qualifikat­ion.

Würden Sie Ihren Beruf noch einmal wählen?

Ja, weil ich immer wieder das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun. Etwas, das Menschen weiterbrin­gt. Ich hatte zum Beispiel einmal einen Schüler, der war neu in der Klasse. Seine Eltern waren aus Anatolien und konnten nicht schreiben. Sie haben im Mitteilung­sheft immer Kreuzerl gemacht. Nach vier Jahren hat der Bub seinen Abschluss gemacht. Als sein Bruder dann in meine Klasse kam, hat der Ältere für den Jüngeren unterschri­eben. •

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FOTOGRAFIE : Ursula Röck
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