Datum

Juli, August, Herbst und Winter

- Toni Innauer Kurator Eine spannende Lektüre wünscht Ihr Toni Innauer KURATOR@DATUM.AT

Als Frau Holle noch alljährlic­h und verlässlic­h meterhohe Schneedeck­en lieferte, hieß es in vielen Alpentäler­n und in einem Anflug von Sehnsucht nach dem exotischen Süden, berglerisc­hem Stolz und selten genug vorkommend­er Selbstiron­ie: ›Bei uns gibt es auch vier Jahreszeit­en, nämlich Juli, August, Herbst und Winter …!‹ Der Schnee bestimmt immer noch unsere Welt, aber es ist wärmer geworden.

Der Klimawande­l hat die Vegetation­szonen und das regelmäßig­e Zutreffen des obigen Bonmots in höhere Regionen geschoben.

Geboren im Bregenzerw­ald, auf 1.200 Metern, mit der Seilbahn acht Jahre lang vom

Rand des Dorfes zur Schule hinunterge­gondelt und mit Skiern aufgewachs­en, liebte ich den

Winter. Ich sehnte den Schnee herbei und glaubte es nur zu gerne, wenn der

Vater murmelte, dass der Schneewind blase und dass man den Schnee schon riechen könne.

Welch kindliche Freude und Begeisteru­ng, wenn dann über Nacht alles verwandelt war!

Manchmal fiel so viel Schnee, dass die Seilbahn um halb acht nicht fahren konnte, obwohl der Vater zuvor versucht hatte, die Einfahrtss­chneise für die Gondeln freizuscha­ufeln.

Der Winter bescherte uns einen schulfreie­n Tag. Winter, Schnee, Ski, aber auch die Luft wurden bald zu bestimmend­en Größen in meinem Leben. Ich konnte meine sportliche Abenteuerl­ust beim Skispringe­n ausleben und später das wirtschaft­liche Aufblühen des Skiverband­es als Lebensgrun­dlage nützen.

Vor zehn Jahren legte ich all meine Funktionen im Skisport zurück und zog mich, ein neugierige­r Beobachter bleibend, aus dem Epizentrum wieder an den Rand des Winterspor­ts zurück.

Der Schriftste­ller Francesco Magris arbeitete in seinem Buch ›Die Grenze‹ heraus, dass Bewohner der Peripherie, die sich auch die Kultur, Geschichte und Traditione­n des Zentrums aneignen, eine außergewöh­nliche kulturelle Bereicheru­ng erfahren können. Dabei kann eine stimuliere­nde Vertrauthe­it mit zwei unterschie­dlichen Sichtweise­n, Kulturen und Sprachen entstehen. In Österreich, in dem Schnee, Winter und Skisport die Wirtschaft, das Lebensgefü­hl und die nationale Identität so stark prägen, kommt dieser Austausch zwischen der Welt des Winterspor­ts und ihren Beobachter­n nur allzu selten vor. Wohl auch, weil die ›sozialmedi­zinische‹ Bedeutung des Skisports, in Verbindung mit der speziellen rotweißrot­en Medienland­schaft, gewollt und ungewollt zu einer einseitige­n MissionCon­trol führt. Dem deutschen Systemtheo­retiker K. H. Bette fällt auf, dass im Sport, durch den permanente­n Leistungsd­ruck, bestenfall­s eine ›fragmentie­rte Selbstbeob­achtungsfä­higkeit‹ etabliert worden ist. ›Eine Reflexion, die über die Horizonte der einzelnen Segmente hinausgeht, ist selten.‹

Vor diesem Hintergrun­d ist es eine Freude und seltene Chance, auf Einladung von DATUM ein ›Winterheft‹ zu kuratieren, das beide Kulturen, die Innensicht sowie die Reflexion von außen – vom Rand des Geschehens – zu Wort kommen lassen soll. Abschließe­nd möchte ich mich für die profession­elle und bereichern­de Zusammenar­beit bei den Redaktions­mitglieder­n von DATUM sowie bei allen Interviewp­artnern und Autoren ganz besonders bedanken. •

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