›Vielleicht werden wir dafür zahlen, arbeiten zu dürfen‹
Der Ex-Chef der ›Erste Group‹, Andreas Treichl, leitet ab sofort als Präsident das Forum Alpbach. Im Antrittsgespräch mit DATUM erklärt er, warum die EU für ihn nicht einmal mehr eine Wirtschaftsunion ist, wie er die Kurz-ÖVP sieht und warum er eine Debatte über ein Grundeinkommen für überfällig hält.
Herr Treichl, wann waren Sie das erste Mal beim Forum Alpbach?
ANDREAS TREIChL: 1971, als 19-jähriger Student.
Was war das damals für Sie: eine verlängerte Sommerfrische, eine Kontaktbörse oder ein Seminar in schöner Umgebung?
Ein intellektuelles Sommercamp und ein bissel auch so etwas wie eine Kontaktbörse.
Erinnern Sie sich noch an das damalige Generalthema?
Ja, sehr gut. Thema war die Europäische Union und was das werden soll. Man hat von vielen Sachen geträumt, die dann alle viel schneller passiert sind, als man es damals geglaubt hat. In Alpbach hat es schon in den frühen Jahren Konflikte zwischen Praktikern und Wissenschaftlern gegeben.
Daraus sind aber sehr spannende Diskussionen erwachsen. Damals haben die Leute aber auch viel mehr Zeit gehabt als jetzt. Zwei Wochen nach Alpbach zu fahren, war kein Problem. Das war auch eine Zeit, als sehr viele Wissenschaftler von Weltrang aus Österreich gekommen sind und sich auch die Zeit für Alpbach genommen haben. Das war schon sehr aufregend, den Karl Popper und den Friedrich August Hayek zu sehen und zu hören.
Was war in den 1970er-Jahren der Traum, Ihr Traum von Europa?
Europa war damals in zwei Blöcke, Ost und West, geteilt. Niemand hätte sich gedacht, dass die Europäische Union einmal 28 Mitglieder haben wird. Dass es tatsächlich einmal zu einem gemeinsamen Markt kommen würde. Niemand hätte sich träumen lassen, dass 1989 der Eiserne Vorhang fällt. Niemand hätte sich träumen lassen, dass Europa industriell für einige Jahrzehnte zu einem führenden Kontinent wird. Und niemand hätte sich vorstellen können, dass Europa eine starke politische Position erhält, ohne eine Militärmacht zu sein. Das Tolle daran: In den 30 Jahren danach ist eigentlich alles in Erfüllung gegangen. Europa hat es gleichzeitig geschafft, wirtschaftlich und politisch an Bedeutung zu gewinnen und die sozial
Gesellschaft zu werden, die es auf diesem Planeten gibt. Das war schon eine große Leistung.
Für viele ist Europa heute eher ein Albtraum, was ist da schiefgegangen?
Wir müssen nüchtern festhalten, dass es seit mindestens zehn Jahren in die andere Richtung geht. Europa nimmt in seiner wirtschaftlichen und auch in seiner politischen Bedeutung ab. Damit schwindet auch die Strahlkraft dessen, was landläufig Soziale Marktwirtschaft genannt wird – obwohl ich dieses Wort nicht sehr gerne habe.
Was genau stört Sie daran?
Ich halte die Vermischung einer wirtschaftlichen und einer gesellschaftspolitischen Ansage für nicht ganz richtig. Marktwirtschaft ist Marktwirtschaft, und sozial ist sozial.
Beides zusammen ist für Sie so etwas wie ein fauler Kompromiss?
Nein, es ist beides richtig, aber man sollte es besser getrennt sehen und diskutieren. Wir sollten uns als Gesellschaft eine gute Sozialpolitik und gleichzeitig eine gute Wirtschaftspolitik aufbauen.
Marktwirtschaft soll so frei wie möglich sein und kann nicht sozial gestaltet werden. Und sozial heißt nicht, dass wir die Marktwirtschaft staatlich regulieren. Es ist Ergebnis von Sozialpolitik, dass es zu einer sozial ausgeglicheneren Gesellschaft kommt.
Sie gelten landläufig als Liberaler, wo verorten Sie sich selber politisch?
Ich bin sicherlich kein Ordoliberaler, aber mit dem Begriff liberal wohl am Besten politisch zu fassen. Ich teile wirtschaftlich fast alles mit den Liberalen, gesellschaftspolitisch teile ich nicht alles. Ich schätze die Gedankenwelt eines Karl Popper, eines Friedrich Hayek und die des Adam Smith, die sehr für eine ausgeglichene Gesellschaft plädiert haben. Gleiche Chancen für alle.
Wo können Sie beim liberalen Gedankengut gesellschaftspolitisch nicht mit?
Ich bin wahrscheinlich zu religiös, um die liberale Sichtweise auf Kirche und Religion zu teilen.
Etwa die gewünschte strikte Trennung von Kirche und Staat nach französischem Vorbild?
Ja, beispielsweise.
Sie waren in den 1990er-Jahren Finanzreferent der ÖVP und auch immer wieder als Minister im Gespräch. Wollten Sie schlussendlich doch nicht in die Politik gehen, oder hat die ÖVP am Ende davor zurückgescheut, sich auf einen Freigeist wie Sie einzulassen?
Das waren unterschiedliche Gründe zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Ich war in der Zeit, als ich politisch aktiv war, nicht unbedingt ein MainstreamKandidat der ÖVP – wohl auch, weil ich zu liberal denke. Ich war und bin kein CVler und kein Mitglied irgendwelcher anderer Organisationen – mit Ausnahme der Katholischen Jungschar und der Pfadfinder. Ich habe mich zwar sehr für Politik interessiert, aber bis auf ein paar Monate im Wahlkampfteam von Erhard Busek 1978 bin ich beruflich immer anders abgebogen, nicht Richtung Politik, sondern Richtung Wirtschaft.
Wären Sie heute als Berufspolitiker ein Schwarzer oder ein Türkiser?
Ich sehe den Farbenunterschied nicht so krass. In der Landespolitik firmiert etwa ein Landeshauptmann Wilfried Haslauer in Salzburg weiter als Schwarzer, in der Bundespolitik steht diese Farbe durch den Wechsel zu Türkis nicht mehr zur Verfügung.
Dahinter steht aber mehr als ein Farbenspiel: Schwarz steht für die Volkspartei im traditionellen Sinn, mit Bünden und einem starken christlich-sozialen Flügel. Türkis steht für ein Bewegungsmodell: Statt von einer Partei spricht man von der Liste Kurz. Vorne steht eine Führungsfigur, dahinter reihen sich alle bewundernd ein, koste es inhaltlich, was es wolle.
Ich glaube, das wird jetzt extrem hochstilisiert. Der Kurz ist der Kurz, und er arbeitet mit den Leuten, mit denen er zusammenarbeiten will, und macht das, was er für richtig hält. Man muss nicht alles gut finden, was jetzt passiert. Aber wir leben jetzt in einer besonderen Zeit. Ich werde mir erst eine Meinung bilden können, wenn die Covid-Zeit vorbei ist. Ob ich enttäuscht bin oder nicht, wird davon abhängen, wie diese Regierung nach der Krise agieren und Österreich für die großen Herausforderungen der Zukunft positionieren wird. Als inzwiausgeglichenste
›Sozial heißt nicht, dass wir die Marktwirtschaft staatlich regulieren.‹
schen seit 50 Jahren dieser Partei in irgendeiner Form Verbundener bin ich seit 50 Jahren auch ein Frustrierter. Weil man immer an der ÖVP viele Sachen auszusetzen gehabt hat. Und weil sie nie so war, wie man sie gerne gehabt hätte. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass jemand, der meine politische Einstellung hat, wahrscheinlich maximal acht Prozent der Stimmen in diesem Land bekommen könnte.
Das entspricht dem Stimmenergebnis, das derzeit die Neos auf die Waage bringen.
(lacht) Ich habe dort einige Freunde, bin aber zeitlebens immer in irgendeiner Weise mit der ÖVP verbunden geblieben.
Waren Sie der ÖVP inhaltlich schon näher als heute, oder entspricht sie im Moment mehr Ihren Vorstellungen?
Sagen wir so: Ich bin sehr beeindruckt vom Erfolg, den die ÖVP derzeit hat. Es kann also nicht alles falsch sein, was sie jetzt macht.
Da sind Sie auch auf dem Feld der Politik Marktwirtschaftler?
Wenn Sie so wollen.
Wer waren in den Blütezeiten der Europäischen Union für Sie die großen Europapolitiker, wo sehen Sie Hoffnungsfiguren, die Europa aus dem Tief führen könnten?
Da könnte man jetzt ganz weit in die Geschichte zurückgehen zu Delors und einigen anderen …
… noch spannender wäre zu wissen: Wer fällt Ihnen spontan ein?
Am beeindruckendsten war für mich das Trio Mitterrand-Kohl-Thatcher. Das war ja ein sehr unlikely Trio. Vor allem Helmut Kohl war ja per se keine strahlende intellektuelle Figur.
Alle drei waren zudem sehr unterschiedliche Charaktere. Sie haben aber gezeigt, was man erreichen kann, wenn man von etwas träumt und es auch durchsetzen möchte. Beginnend mit der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, bis zum Fall des Eisernen Vorhangs und der Wiedervereinigung Deutschlands. Daran sollte man sich jetzt ein Beispiel nehmen. Europapolitik kann nur funktionieren, wenn drei, vier starke nationale Politiker sich einem Ziel gemeinsam widmen und es gemeinsam erreichen wollen. Es ist auch heute so, dass Brüssel alleine, sprich EUKommission und EU-Parlament, nicht sehr viel erreichen können, wenn es nicht zu einer Allianz mit starken nationalen Politikern kommt. Die müssen nicht immer aus Deutschland oder Frankreich kommen.
Wer sind heute die Rising Stars, die die Rolle des Trios Mitterrand-KohlThatcher übernehmen könnten?
Die Rising Stars faden schon wieder ein bisschen away. Ich habe eine gewisse Hoffnung gehabt, dass die drei Frauen, die derzeit die wichtigsten Jobs in Europa einnehmen, gemeinsam mit einem Regierungschef, der mit älteren Damen sehr gut zurechtkommt, eine neue starke Achse bilden.
Sie meinen EZB-Chefin Christine Lagarde, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron?
Dieses Quartett hätte theoretisch sehr viel Potential. Bis jetzt habe ich davon aber noch nicht sehr viel gesehen.
Mit dem 750-Milliarden-Paket für den Green Deal und die Bewältigung der Corona-Krise ist unter Federführung dieses Quartetts zuletzt doch ein unerwartet großer Wurf gelungen?
Wenn wir das so beurteilen, dann stellen wir einen relativ niedrigen Anspruch an Europa. Wenn ich das auf meine Bankenkarriere übertragen würde: Im Endeffekt ist es so, als ob ich es schon als riesigen Erfolg gesehen hätte, dass wir an eine Firma einen Kredit vergeben haben. Der Erfolg sollte doch sein, dass man mit diesem Kredit der Firma wieder auf die Sprünge hilft, ihr Wachstum ermöglicht. Schon das Zusammenbringen eines Finanzierungspaketes als einen unbeschreiblichen Kraftakt zu feiern, zeigt ja, wo wir in Europa stehen.
Erfahrene Europapolitiker wie der jetzige Chef des ›Juncker-Fonds‹, Wilhelm Molterer, sagen, der neue 750-Milliarden-Topf der EU wird gar nicht ausgeschöpft werden können, weil es zu wenig passende Projekte gibt. Außer man fördert auch solche, die nichts mit dem Green Deal und anderen EU-Zielen am
Hut haben.
Wenn wir nicht wirklich massiv daran arbeiten, gemeinsame europäische Projekte auf die Beine zu stellen, die auch den Kriterien des Green Deal entsprechen, dann muss ich dem Willi Molterer Recht geben. Wir sind schon bald am Jahresende 2020, und Covid macht alles nicht leichter. Aber sehr viel an Konkretem ist noch nicht passiert, um mit Investitionen rasch losstarten zu können.
Überwiegt die Skepsis oder der Optimismus, dass hier der gewünschte neue, große europäische Wurf dank des 750-Milliarden-Pakets am Ende doch noch gelingt?
Ich bin noch immer optimistisch. Wenn ich nicht optimistisch wäre, hätte ich auch Alpbach nicht gemacht.
So erfolgreich das 750-MilliardenPaket am Ende auch sein kann, in Europa scheint es derzeit mehr offene Fragen als Antworten zu geben.
Das Problem Europas ist, dass die EU bisher nur als Wirtschaftsunion angelegt ist, und nicht als politische Union. Es fehlt Europa daher die Emotion. Inzwischen sind wir auch nur noch eine Wirtschaftsunion basierend auf den Wirtschaftsstrukturen der 70er-Jahre. Wir sind als Wirtschaftsunion nicht im Jahr 2020 angekommen. Wir sind keine Datenunion, wir sind keine Finanzunion, wir sind keine Kapitalunion, wir sind keine Kommunikationsunion. Wir haben nicht einmal vom Ansatz her eine gemeinsame IT- und Daten-Infrastruktur. Also sind wir kein moderner Wirtschaftsraum. Das müssen wir in der EU noch viel stärker politisch bearbeiten. Vieles, was Europa sehr viel stärker machen könnte, als es derzeit ist, hat mit nationaler Identität oder einer politischen Ausrichtung überhaupt nichts zu tun.
Wenn ich in Italien das gleiche Insolvenzabwicklungsverfahren habe wie in Belgien oder in Dänemark, rüttelt das ja nicht an der Souveränität der betroffenen Länder. Es würde aber einen großen Beitrag dazu leisten, dass unnötige Hürden und Hemmnisse abgebaut werden. Wenn hier Barrieren abgebaut werden, würde am Ende auch nichts gegen, sondern alles etwa auch für eine europaweite Einlagensicherung sprechen. Eine gemeinsame Datenschutzverordnung in Europa zu haben, ohne nationale Ab
weichungen, greift auch nicht in Identitäten ein. Ein gemeinsames Europa besteht aus zigtausend Einzelheiten, die wir alle noch erledigen müssen. Da wird es einen starken politischen Willen brauchen, sich diesen Themen zu widmen. Es wird sehr viel leichter sein, wenn jetzt England weg ist. Denn fast alle Länder agieren auf Basis des Römischen Rechts.
So gesehen hat der Brexit auch etwas Gutes?
Ja, der Brexit kann für uns alle auch eine Chance sein.
Das große Thema bleibt auch nach Covid die Klimakrise. Die Debatte über einen erfolgreichen Kampf gegen die Erderwärmung wird von zwei gegensätzlichen Polen geführt: Reicht es, noch mehr in grüne Technologien à la Tesla zu investieren, oder braucht es auch Verzicht bei Mobilität und generell beim Konsum?
Ich glaube nicht, dass es Verzicht braucht. Ich glaube, wir müssen uns bewusster werden, wie dramatisch die Situation ist. Natürlich braucht es eine Umstellung der Verhaltensweisen, die dann als Selbstverständlichkeit und nicht als Verzicht gesehen wird. Selbstverständlich fliege ich nicht von Wien nach München mit dem Flugzeug, sondern fahre mit dem Zug. Vor allem dann, wenn ich damit von Haus zu Haus zumindest genauso schnell bin.
Da sind wir in vielen Bereichen aber noch nicht so weit.
Da ist noch ein Riesen-Gap, den wir aber sehr leicht überwinden können. Wenn wir das nicht schaffen, dann gibt sich Europa auf. Wir haben alles, wir müssen es nur machen. Wir haben die Technologien, wir haben die Firmen in Europa, wir müssen es nur wollen und umsetzen.
Diese Appelle, verzeihen Sie, sind Stammgast in europäischen Sonntagsreden. Wer sind die Bremser, die verhindern, dass ›wir‹ das tun?
Da gibt es sehr viele. Aber einer der wesentlichen Bremser ist die Tatsache, dass Europa nur funktionieren kann, wenn – wie gesagt – einige Nationalstaaten gemeinsam mit Brüssel etwas umsetzen wollen.
Es wird im Moment zu wenig Kraft und Energie für die übergeordnete
Ebene aufgewendet. Europäische Politiker sitzen am Wochenende zusammen und beschließen etwas. Am Montag gehen sie in ihr Büro und sind mit ihrer nationalen Politik so eingedeckt, dass europäische Anliegen wieder liegen bleiben. Da versagt im Moment unser System. Sehr viel an guten Ideen und Initiativen bleibt in Brüssel einfach liegen, weil die Politik nicht umsetzt.
Das ist alles in allem ein sehr pessimistischer Befund – ohne sichtbaren Ausweg?
Noch sehe ich ihn nicht, aber die Geschichte lehrt uns: Es muss zu Momenten kommen, die plötzlich eine Energie entstehen lassen. Und drei oder vier Staatschefs sagen: Ein Jahr lang schauen wir nicht auf unsere Wähler zu Hause und hauen uns auf ein Packel, um in Europa wirklich etwas durchzusetzen.
Das Prinzip Hoffnung auf einen ›europäischen Moment‹?
Ja, vielleicht könnte es uns auch in Alpbach gelingen mitzuhelfen, solche European Moments zu generieren.
Dafür brauchen Sie aber auch aktive Politiker, die sich nicht nur für einen kurzen Auftritt, sondern wie zu
Ihren frühen Zeiten für länger auf Alpbach einlassen.
Diese Zeiten sind vorbei und werden auch nicht wiederkommen.
Kein aktiver Politiker oder CEO wird sich zwei Wochen nach Alpbach setzen. Das ist ja auch nicht notwendig. Es reicht schon, wenn es einige mehr schaffen, für ein, zwei Tage hinzukommen. Die Abwahl von Donald Trump hat in Europa große Erleichterung ausgelöst. Viele warnen davor, den Trumpismus und das, was er an politischem Flurschaden hinterlassen hat, zu unterschätzen.
Ich halte das für eine völlige Überbewertung der Person Trump.
Er ist eine Zeiterscheinung einer Form von Politiker, mit der wir werden leben lernen müssen. Für eine größere Herausforderung halte ich, wie viele Millionen Menschen jetzt irrsinnige Theorien vertreten, weil ihr Idol das auch so sieht. Wir werden Soziale Medien neu denken müssen.
Wir führen das Gespräch in einem Gebäude, das auch die ›Zweite Bank‹ beherbergt. Die geht auf Ihre
Initiative zurück und bietet Menschen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage keine Bankverbindung unterhalten könnten, nicht nur ein Konto, sondern auch kostenlose Beratung. Wo stehen Sie eigentlich in der Debatte für ein bedingungsloses Grundeinkommen? Für die einen ist es Gift in einer Leistungsgesellschaft, für die anderen ein
Beitrag zu einer anderen Lebensphilosophie.
Das ist für mich primär eine philosophische Frage, an der wir sehr intensiv arbeiten müssen. Niemand kann vorhersagen, wie sich die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz auf unser Leben auswirken wird. Niemand weiß, ob in 30 Jahren jeder, der einen Arbeitsplatz haben will, auch einen Arbeitsplatz haben könnte. Das ist die entscheidende Frage. Vielleicht erleben wir eine Entwicklung, in der Menschen bereit wären zu zahlen, damit sie arbeiten dürfen. Es ist daher ein Blödsinn, die Frage so zu diskutieren: Alle Linken sind für ein Grundeinkommen, alle Rechten sind dagegen. Das ist eine wichtige Frage, die bei uns bleiben wird.
Ein Grundeinkommen gibt es ja bereits in unterschiedlichen Erscheinungsformen wie etwa der Mindestsicherung. In Zukunft etwas bezahlen zu müssen, um arbeiten zu dürfen, klingt noch nach einer sehr zugespitzten Dystopie. Wir sind erst in den Anfängen der Künstlichen Intelligenz. Wir sind schon sehr weit in der Verlängerung des Lebens. Wir wissen nicht, ob wir in den nächsten Jahrzehnten zehn oder elf Milliarden Menschen sein werden. Die Digitalisierung könnte es mit sich bringen, dass neue Technologien und Industrien nicht mehr so viele Jobs schaffen, wie das in der Industrialisierungsphase der letzten zweihundert Jahre der Fall war. Dadurch könnte die Zahl der Arbeitsplätze einmal so gering werden, dass sich, vom Grundeinkommen bis zum Zahlen fürs Arbeiten dürfen, viele Fragen neu stellen.
Das wäre ähnlich wie der Trend zu Negativzinsen, die man zahlen muss, damit die Bank größere Beträge noch als Einlage nimmt.
(lacht) Ja, das haben wir uns lange auch nicht vorstellen können. •