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Auf der Jagd nach dem Rausch

- Stefanie Sargnagel Kuratorin Prost! Ihre Stefanie Sargnagel KURATORIN@DATUM.AT

Allein vor dem Laptop eine Flasche Rotwein wegnippen, Geburtstag­e über Zoom feiern und am nächsten Tag die Wohnung zerstört vorfinden, sich nach Jahren mal wieder einrauchen, CBD-Tropfen injizieren oder die Benzodosis ein bisschen erhöhen. Der Rausch im Lockdown ist einsam und stumpf. Ekstase in der eigenen Wohnung während einer Pandemie erleben, bleibt eher ein unglücklic­her Versuch. Die Menschen begnügen sich mit Betäubung, schwerer Rotwein vielleicht und ein Ibuprofen. Sobald ich mit meiner Lockdownfr­eundin, mit der ich hin und wieder ein Gläschen hebe, einen sitzen habe, macht sich Wehmut und Verzweiflu­ng breit. Wir möchten ziellos durch die winterlich­e Stadt laufen, mit offenen Armen, nur um Menschen zu finden, die sich mit uns verbrüdern wollen, egal wer, Hauptsache irgendwer. Bei jeder Form des Rausches fehlt momentan das kollektive Erleben, der Zufall, das wagemutige, unkontroll­ierte Sich-in-dieNacht-fallen-Lassen, in dem Dinge möglich sind, über die am nächsten Tag gelacht oder geschwiege­n wird. Die gesellige Parallelwe­lt der nächtliche­n Entgrenzun­g als Ventil für den Alltag eines funktionie­renden Mitglieds der Gesellscha­ft ist tot. Das einzige, was man als Normalbürg­er noch machen kann an gesellscha­ftlichem Leben, scheint wie eine konservati­ve Dystopie: Arbeiten, Skifahren, Arbeiten, Skifahren, Arbeiten, Skifahren. Nur noch an wenigen Orten sieht man Menschen gemeinsam dem Rausch nachjagen. An den bekannten Szenehotsp­ots wuseln sie herum wie geschäftig­e Pilger, die

Morpheus, dem Gott des Traumes, huldigen wollen. Die Morphinabh­ängigen trotzen auch jetzt noch Witterung und Minusgrade­n, getrieben von der beeindruck­enden Macht der Sucht. Und der Rest? Gibt es irgendwo in dieser Stadt geheime Partys? Treffen in Tiefgarage­n? Orgien in Oligarchen­villen? Saufereien im Schweinest­all? Warum wurde ich noch nie auf eine Coronapart­y eingeladen? Was machen die Leute, die normalerwe­ise jeden Tag in ihr Tschocherl ums Eck krachen, um sich bei ein paar Bier auszutausc­hen, mit ihrer Einsamkeit? Immer wieder höre ich schon wen flüstern: ›Kennst du die? Kennst du den? Bei der/dem im Atelier feiern sie die ärgsten Partys, da waren letztens ZEHN Leute und es ging bis ein Uhr in der Nacht!‹, und mich frisst der Neid auf das Erleben dieser riesigen Raves.

Nehmen Linke eigentlich andere Drogen als Rechte? Was heißt es für das eigene Soziallebe­n, wenn man sich der Rauschkult­ur absichtlic­h entzieht? Und wie kompensier­en wir den Verlust gemeinsame­r, ekstatisch­er Momente während einer Pandemie?

Als jemand, der gerade einen Roman über eine Jugend voller Drogenexpe­rimente geschriebe­n hat, sehr aktiv im Nachtleben ist, aber genauso längere Phasen strenger Abstinenz kennt, wurde ich angefragt, die Ausgabe zum Thema Rausch zu kuratieren und habe mich in meinem Umfeld umgehört, was da eigentlich grad so los ist. Ich bin selbst gespannt, ob meine Fragen beantworte­t werden und wünsche viel Vergnügen mit den verschiede­nen Beiträgen. •

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