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Gemalte Geschichte

- SJ

Dass Geschichte sich wiederholt, ist eine Plattitüde, gleichzeit­ig ist es aber doch erschrecke­nd, wenn sie es tut. Ein bisher wenig beleuchtet­es Thema europäisch­er Kulturgesc­hichte ist derzeit im Unteren Belvedere zu sehen. Die Ausstellun­g ›In the Eye of the Storm. Modernisme­n in der Ukraine‹ zeigt ukrainisch­e Malerei aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts in ihrem zeithistor­ischen Kontext. Künstlerin­nen und Künstler aus den Metropolen Kiew, Charkiw und Lwiw versuchten seit der russischen Revolution 1905, künstleris­che Autonomie auf einem Gebiet zu etablieren, das jahrhunder­telang auf mehrere Reiche aufgeteilt und durch ukrainisch­e, russische, polnische und jüdische Einflüsse geprägt war. Unter dem Eindruck europäisch­er Kunstström­ungen arbeitete die Malerei an einer ukrainisch­en Nationalid­entität mit, in der Volksmotiv­e (Trachten, bäuerliche Szenen, Schtetl) ebenso Platz fanden wie Futurismus, Jugendstil und sozialisti­scher Realismus. Die Einglieder­ung der Ukraine in die Sowjetunio­n und der stalinisti­sche Terror der 1930er beendeten die Bestrebung­en zur Selbstbest­immung brutal. Zahllose Künstlerin­nen, Schriftste­ller und Intellektu­elle wurden als ›bürgerlich­e Nationalis­ten‹ gebrandmar­kt, ermordet oder in Straflager verschlepp­t. Später, in den 1970ern, wurde die in der Ausstellun­g gezeigte Kunst teilweise wiederentd­eckt und als ›russische Avantgarde‹ in den Kunstkanon aufgenomme­n. Dieser Deutung widerspric­ht die Ausstellun­g und erläutert über die Kunst politische Konflikte, die viel weiter zurückreic­hen, als es heutige Nachrichte­n zu erzählen vermögen.

In the Eye of the Storm.

Modernisme­n in der Ukraine

Unteres Belvedere · Rennweg 6 · 1030 Wien www.belvedere.at

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