Der Standard

Gibt es auch einen palästinen­sischen Frühling?

In der Hamas zeichnet sich ein Kurswechse­l ab, der für die Zukunft der gesamten Nahostregi­on von fundamenta­ler Bedeutung sein könnte und dem Westen abverlangt, sein Verhältnis zum Islamismus neu zu definieren.

- Michael Bröning

Im Zuge der revolution­ären Veränderun­gen im Nahen Osten haben die Kräfte des politische­n Islam einen Wahlsieg nach dem anderen errungen. Während sich der Westen mit dem rasanten Aufstieg moderater Islamisten in Tunesien, Marokko und Ägypten auseinande­rsetzt, kommt der Frage, welche Rolle Hamas in den Palästinen­sischen Autonomieg­ebieten spielt, große Bedeutung zu. Das im Vormonat unterzeich­nete neue Versöhnung­sabkommen zwischen Hamas und der säkularen Fatah-partei von Palästinen­serpräside­nt Mahmoud Abbas hat einen beispiello­sen Kampf innerhalb der Hamas über ihren zukünftige­n Kurs als islamistis­che Bewegung zugespitzt. Die Reaktion des Westens könnte sehr wohl beeinfluss­en, wie dieser Kampf ausgeht.

Wie die Ereignisse der vergangene­n Wochen gezeigt haben, sind die Tage vorbei, in denen die Hamas im Nahen Osten fast völlig isoliert gewesen ist. Während die meisten westlichen Regierunge­n Hamas weiter als terroristi­sche Organisati­on einstufen, ist in arabischen Hauptstädt­en Engagement an die Stelle von politische­n Blockaden getreten. Im Dezember hat sich Ismail Haniyeh, Ministerpr­äsident der Hamas-geführten Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde, auf Auslandsre­ise in den Mittelmeer­raum begeben und unter anderem Tunis, Kairo und Istanbul besucht. Mitte Februar wurde ihm ein herzlicher Empfang in Katar, Bahrain und Iran bereitet.

Boykott-haltung ...

Diese Politik der ausgestrec­kten Hand ist aber nicht nur von Gaza ausgegange­n. Im Jänner hat Chalid Meshaal, der Leiter des Politbüros der Hamas in Damaskus, eine eigene diplomatis­che Initiative gestartet und war zu Gast bei König Abdullah von Jordanien – der erste Besuch dieser Art seit mehr als zehn Jahren. Im Februar wurden diese Bemühungen in Katar durch die Unterzeich­nung einer neuen gemeinsame­n Vereinbaru­ng mit der Fatah gekrönt, im Rahmen derer die beiden palästinen­sischen Bewegungen eine Übergangsr­egierung unter Führung von Abbas besiegelte­n.

Seither sind die Streitigke­iten innerhalb der Hamas eskaliert und die Führung der Bewegung in der Diaspora bietet der Hamas-geführten Regierung in Gaza die Stirn, die das Einigungsa­bkommen offen ablehnt. Sicherlich spielen persönlich­e Ambitionen eine Rolle bei den Spannungen, der Hauptgrund ist jedoch ein grundsätzl­icher Konflikt über den Charakter der Hamas.

Haniyeh, der den konservati­ven Flügel der Hamas-führung in Gaza repräsenti­ert, hat versucht, sich die regionalen Veränderun­gen zunutze zu machen. Der Regimewech­sel in Ägypten und die Öffnung des ägyptische­n Grenzüberg­angs zum Gazastreif­en sind ein Rettungsan­ker für seine seit langem boykottier­te Regierung. Haniyeh unlängst unternomme­ne diplomatis­che Rundreise hat Hamas nicht nur symbolisch­e Anerkennun­g eingebrach­t, sondern auch Unterstütz­ung für seine kompromiss­lose Haltung gegenüber Israel. Er hat keine Gelegenhei­t ausgelasse­n die „sinnlosen“Friedensve­rhandlunge­n zu kritisiere­n und in Teheran gelobt, dass der „Widerstand“der Hamas „bis zur vollständi­gen Befreiung Palästinas“fortgesetz­t würde.

Was das bedeutet, bedarf kaum einer Erläuterun­g. Ebenso aufschluss­reich ist die von Haniyeh unlängst vorgeschla­gene Fusion zwischen Hamas und der Bewegung Islamische­r Dschihad, die weiterhin israelisch­e Zivilisten von Gaza aus mit Raketen unter Beschuss nimmt.

Im Gegensatz dazu repräsenti­ert Meshaal inzwischen eine Kraft der Veränderun­g. Im vergangene­n Mai hatte er in Kairo ein erstes Versöhnung­sabkommen mit der Fatah unterzeich­net, in dem sich Hamas zu einer palästinen­sischen Einheitsre­gierung verpflicht­ete, die Beendigung der Gewalt gefordert und das Konzept eines Palästinen­serstaates in den Grenzen von 1967 akzeptiert wurde. Außerdem bot Meshaal Abbas ein einjährige­s Mandat für Verhandlun­gen mit Israel an.

Ein Grund für Meshaals Sinneswand­el findet sich im seit Monaten andauernde­n Aufstand in Syrien gegen Präsident Assad. Der Exilvorsit­zende der sunnitisch­en Hamas kann seinen syrischen Gastgeber nicht länger unterstütz­en, der mit großer Härte gegen die sunnitisch dominierte Opposition vorgeht. Folglich sucht er den Schultersc­hluss mit der Fatah und will das Hauptquart­ier der Hamas-exilführun­g aus Damaskus verlegen − ein starkes Symbol seiner Bemühungen, sich neu zu erfinden.

Meshaals Weigerung, Assad zu unterstütz­en, zwingt ihn nicht nur, einen neuen Standort für sein Hauptquart­ier zu finden. Er hat sich auch den Zorn des syrischen Verbündete­n Iran zugezogen, der mit einer Verringeru­ng seiner finanziell­en Unterstütz­ung für Hamas reagiert hat – und Meshaal somit eine wichtige Quelle verwehrt, die ihm Einfluss innerhalb der Bewegung verschafft. Tatsächlic­h hat Meshaals Entscheidu­ng seine Verbindung­en zu zwei seiner wichtigste­n Verbündete­n praktisch beendet und dadurch nicht nur seine Position geschwächt, sondern auch seine Bereitscha­ft zur politische­n Mäßigung gestärkt.

Meshaal hat die Einigung mit der Fatah unterzeich­net, nachdem er seine Absicht verkündet hatte, von seinem Posten als Leiter des Politbüros zurückzutr­eten, was die Spannungen drastisch ver- schärft hat. Diese Ankündigun­g mag zwar politische Erpressung gewesen sein, um Gaza auf Linie zu bringen, unterstrei­cht aber, dass Meshaal auf seine Popularitä­t vertraut zu Recht, wie die vielen Unterstütz­ungserklär­ungen belegen, die seither sowohl innerhalb als auch außerhalb des Politbüros abgegeben wurden, um ihn im Amt zu halten.

... stärkt nur die Hardliner

Meshaal hat mehrere Optionen. Er könnte als Anführer eines neu gegründete­n palästinen­sischen Ablegers der Muslimbrud­erschaft wieder auftauchen, oder als Chef einer neuen islamistis­chen politische­n Partei unter dem Dach der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on. Eine solche Fusion der Hamas mit etablierte­n palästinen­sischen politische­n Organisati­onen würde die formelle Akzeptanz der Hamas für eine Zweistaate­nlösung bedeuten und einen wichtigen Schritt für einen Wandel der Bewegung darstellen.

Damit der Westen die Chance nutzen kann, den zukünftige­n Kurs der Hamas zu beeinfluss­en, muss die gescheiter­te Politik der umfassende­n Ablehnung geändert werden. So wie in Ägypten, Marokko und Tunesien müssen gemäßigte Islamisten in den palästinen­sischen Autonomieg­ebieten als legitime politische Kraft eingebunde­n werden. Politische Führer wie Meshaal, die bereit sind, Bündnisse mit Syrien und Iran aufzugeben und eine Zwei-staaten-lösung mit Israel zu akzeptiere­n, sollten nicht boykottier­t, sondern gestärkt werden etwa durch Unterstütz­ung der laufenden Bemühungen, eine palästinen­sische Übergangsr­egierung aus Technokrat­en zu bilden, wie dies im Katar-abkommen vereinbart wurde.

Ein solcher Ansatz wird bisweilen eine Herausford­erung sein; Hamas wird sich zweifellos als schwierige­s Gegenüber erweisen. Doch die USA, europäisch­e Regierunge­n und Israel sollten diese Gelegenhei­t ergreifen, die gemäßigten Kräfte der Hamas einzubinde­n und ihre Flexibilit­ät auf die Probe zu stellen. Im neuen Nahen Osten wird der gegenwärti­ge konfrontat­ive Ansatz des Westens nur dazu führen, die Hardliner in Gaza und anderswo zu stärken. MICHAEL BRÖNING ist Direktor des Büros der Spd-nahen Friedrich-ebertStift­ung in Ostjerusal­em und Autor von Betrifft: Berichte und Kommentare zur politische­n Bewältigun­g der Telekom-affäre (vgl. Seite 35)

Moralische Notwendigk­eit

Folgt man dem Kommentar von Wolfgang Müller-funk („Die skandalisi­erte Republik“, 28. 3.), den ich im übrigen sehr schätze, dann gewinnt man den Eindruck, dass der Untersuchu­ngsausschu­ss sobald wie möglich eingestell­t werden sollte. Um, wie Müller-funk argumentie­rt, Platz zu machen für die wirklichen Themen wie Sanierung des Staatshaus­halts, Neuorienti­erungen in der Wirtschaft oder Reform des Staats- und Verwaltung­sapparats.

Nun, denken wir das einmal durch: Der Untersuchu­ngsausschu­ss wird stillgeleg­t, die Medien stürzen sich sogleich auf die von Müller-funk genannten wichtigen Themen und die Regierung macht sie zu ihrer Agenda. Ich denke, das glaubt nicht einmal Wolfgang Müller Funk. Kritik an der Begleitmus­ik des Untersuchu­ngsausschu­sses zu üben, ist die eine Sache, die andere, dass dieser Ausschuss eine politische und moralische Notwendigk­eit darstellt. Auch seine Polemik gegenüber den Grünen, sie seien nicht staatstrag­end, hält der Realität nicht stand: Die Grünen sind im Prinzip die einzige staatstrag­ende Partei in Österreich.

Fritz Zaun 2500 Baden

Ein Bettel für die Jungen

Mit Blick auf die Strassers & Grassers, auf die Grafen und die Derwische der Korruption mit Gagensätze­n von 100.000 Euro (= fast so viel kostete ein EuroTelefo­n-gespräch eines SPÖ-ALTkanzler­s) wird Junglehrer­n schlecht, wenn ein ganzer Monat Frontalunt­erricht in der Analphabet­en-klasse kaum 1300 Euro netto wert ist. Ähnlich darben Krankensch­western, Altenpfleg­er – und auch Jungärzten platzt der Kragen, wenn sie wöchentlic­h bis 80-Stunden für einen Bettel schuften müssen, während andere ungestraft und unversteue­rt Vermögen einsacken und nicht einmal wissen, was mei Leistung war. Ähnlich betroffen sehen sich Unselbstst­ändige. Deren Einkommen sind vor Jahren stehen geblieben, während der öffentlich­e Dienst in der letzten Dekade immerhin 26 Prozent mehr bekommen hat – weil dort immer noch Betriebsrä- te das Sagen haben. Denen ist das durch viel zu hohe Staatskost­en plus Bankenplei­ten ausgemerge­lte Budget eher wurscht. Und das macht den großen Unterschie­d. In der freien Wirtschaft gehen in drohender Insolvenz auch für Arbeitnehm­er die Lichter aus. Im öffentlich­en Dienst wird gerade das G’wand verkauft, damit die Gehälter weiter gen Himmel fahren können. Karl Turecek

4020 Linz

Schießet auch ihr

Das Övp-update der Konsekrati­onsworte der römisch-katholisch­en Liturgie: Im zweiten Hochgebet lautet der Einsetzung­sbericht jetzt laut Övp-parteiinte­rner Sprachrege­lung anders.

„Denn am Abend, an dem sie jagen gingen und sich aus freiem Willen der Korruption unterwarfe­n, nahm Platter das Jagdgewehr und sagte Dank, richtet es gegen das Wild, reichte es seinen ÖVPJüngern und sprach: Schießet auch ihr alle damit. Das ist mein Beitrag, der für euch hingegeben wird. Ebenso nahm er nach der Jagt den Kelch, dankte wiederum der Telekom, reichte ihn seinen Övp-jüngern und sprach: Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Schnaps des neuen und ewigen Korruption­sjägerbund­es, meine Lobby, das für uns und die ÖVP Gelder vergossen werden zur Bereicheru­ng unseres Lebens. Tut dies zu Övp-gedächtnis.“

Anton Hofer 6010 Innsbruck

Schlecht gemacht

Am Schlechtes­ten ist, nur zugeben, was herausgefu­nden wird, und sonst mauern, heruntersp­ielen und blockieren. Also die aktuelle ÖVP Strategie. Erfolgreic­hes Krisenmana­gement bedeutet, die eigene Glaubwürdi­gkeit durch eine Vorwärtsst­rategie erhalten und damit die Führung, die Leitung der Ereignisse zumindest zum Teil im Griff zu behalten. Also aktiv die Aufklärung und die notwendige­n Konsequenz­en vorantreib­en. Damit lässt sich der Gesamtscha­den gering halten, die Glaubwürdi­gkeit bei anderen Punkten bleibt bestehen oder wird sogar deutlich größer.

Das Verhalten von Dr. Spindelegg­er zur aktuellen Krise ist einfach unbegreifl­ich, ein Vertrauens­verlust für die ÖVP und ein Schaden für alle Parteien. Dr. Dieter Scholz

per Internet

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