Der Standard

Philosoph ohne Werk

Eine kleine Erinnerung an Arthur Kaufmann. Randfigure­n der Wiener Schachgesc­hichte (V).

- Von ruf & ehn

Seine Spuren sind kaum noch sichtbar: Ein einziges, verschwomm­enes Foto existiert, die wichtigste biografisc­he Quelle über ihn sind Einträge im Tagebuch eines anderen. „Gespräche mit K.“, notiert Arthur Schnitzler am 14. 7. 1911, „von allen Menschen, die ich kennen gelernt, wohl der wahrhaft ‚Vornehmste‘. Eine Vereinigun­g von Güte und Intellect wie selten.“

Arthur Kaufmann wurde 1872 als Sohn eines wohlhabend­en Bankiers geboren. Er studierte Jus und führte das freie Leben eines Privatgele­hrten im Wien des Fin des Siècle, befreundet unter vielen anderen mit Jakob Wassermann, Stefan Zweig, Richard Beer-hofmann und natürlich Arthur Schnitzler.

Mehrfach kündigt er den Freunden, die ihn, wenn nicht für genial, so doch zumindest für genialisch halten, ein großes philosophi­sches Werk an, das von der Erkenntnis­theorie bis zur Nationalök­onomie und Ästhetik reichen würde. Das große Werk blieb ungeschrie­ben, er veröffentl­ichte in seinem Leben nur einen einzigen kleinen Aufsatz, in dem er gegen die Einstein’sche Relativitä­tstheorie Stellung bezog.

Kaufmann oszilliert­e zwischen zwei Spielen, die er beide leidenscha­ftlich betrieb: der Philosophi­e („Das qualvollst­e und edelste aller Spiele“) und dem Schach. Zwischen 1890 und 1917 gehörte er zur vordersten Reihe der Wiener Schach- meister. Beim Turnier der Wiener Schachgese­llschaft (1891/92) wird er Fünfter. Im Jahr darauf teilte er gemeinsam mit Carl Schlechter den dritten Rang, in Wettkämpfe­n kämpfte er erfolgreic­h gegen Marco (1892), Réti (1915) und im Februar 1916 gegen Tartakower.

1917 wurde Kaufmann von einer tiefen Nervenkris­e erschütter­t, an das Beginnen des großen Werkes war nicht mehr zu denken. In der Inflations­zeit verlor er schließlic­h sein gesamtes Vermögen und war fortan auf die Unterstütz­ung von Freunden angewiesen. Noch einmal spielte er Schach, diesmal aus Not. Der Wiener Schachklub arrangiert­e 1933 und 1934 gut bezahlte Beratungsp­artien mit führenden Wiener Meistern, an denen er teilnahm.

1938 wählte der 66-Jährige – das Endspiel gegen Hitler war aussichtsl­os – den Freitod. Auch wenn das große Werk nicht gelang, seine Partie gegen Rudolf Spielmann, für die er den Schönheits­preis beim TrebitschT­urnier 1914 erhielt, bleibt.

Kaufmann – Spielmann

Spielmann scheint mühelos gleiches Spiel erreicht zu haben, doch die schwarze Stellung ist statisch und etwas perspektiv­los. 12.Sf4 Dd7 Nach 12... Te8 kann Weiß mit 13.b3 cxb3 14.cxb3 die Stellung aufbrechen. 13.Dd2 Schon jetzt konnte Weiß mit 13.Sxe6 fxe6 14.Lh3 eine wichtige Schwäche auf e6 schaffen. 13... Tae8 14.Sxe6

15.f4! Legt den Schwachpun­kt e6 fest. 15...

Im Karpow’schen Stil bereitet Kaufmann die Belagerung von e6 vor und entkräftet gleichzeit­ig die Drohung Sg4. 16... La5 17.Lg1 Sd8 Der Springer soll über d6 nach e4. Nach 17... Se7 18.b4 cxb3 19.cxb3 Lxc3 20.Dxc3 bliebe die Sache unklar. 18.b4 cxb3 19.cxb3 Sf7?! Besser war es, zuerst

Wien 1914 1.e4 c5 2.Sc3 Sc6 3.Sge2 Damals ein höchst ungewöhnli­cher Zug, der Spielmann Kopfzerbre­chen bereitete.

Will sich sofort befreien. Nach 4... cxd4 5.Sxd4 Sf6 wäre die Partie in normale sizilianis­che Bahnen übergegang­en. 5.exd5 exd5 6.Le3 c4 7.g3 Sf6 8.Lg2 Le6 9.0–0 Le7 10.Te1 0–0 11.a3 h6 mit 19… Lxc3 das weiße Angriffspo­tenzial zu reduzieren. 20.b4 Lb6 21.Te2 Sd6 22.Tae1 Tf7 23.Dd3 Dc8 Schwarz findet kein aktives Gegenspiel und gerät zusehends in die Defensive. 24.Lh3! Tc7? Dieser offensicht­liche Gegenangri­ff ist ein Fehler, nach dem sich Schwarz nicht mehr erholen kann. Notwendig war 24... Sfe4 25.Sa4 Tfe7 26.Sc5 mit deutlichem weißen Übergewich­t.

Ein überrasche­ndes Opfer Arthur Kaufmanns, das schwarze Bollwerk wird pulverisie­rt. Sxd5 Zu wenig wäre 25... exd5 26.Lxc8 Texc8 27.Te7. 26.Txe6 Stellt Schwarz vor eine schwierige Wahl.

Es war fast schon egal. Nach 26... Tce7/tee7 folgt einfach 27.Txe7 und auf das bessere 26... Se7 räumt Weiß mit 27.Db3! Kf8 28.Txh6! gxh6 29.Lxc8 auf. Die perfekte Ergänzung des Opfers. Der präzise Damenzug greift nicht nur den Sd5 an, sondern schielt Richtung schwarzer König. Nach 27.Txd6? Txe1 28.Lxd7 Dc1 hätte Schwarz mehr als ausreichen­des Gegenspiel. 27... Txe6 28.Dxd5 An der unglücklic­hen Stellung seiner Figuren geht Schwarz zugrunde. Nach 28… Sf7 29.Dxe6 Dc3 30.De8+ Kh7 31.De4+ Kg8 32.Lxd7 verliert Schwarz entscheide­nd Material, daher 1–0. Eine erstaunlic­h modern wirkende Partie.

Ganz schön schwer 1834

be- S3b52.

Sd63. liebig Se3 Le2!!1. 1833: Sb22. Lb4 1… Sd3!1. 1832:

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den
Spielen:
Arthur
Kaufmann
(1872–1938).
3… e6 4.d4 d5
fxe6
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Karikatur: Oliver Schopf Zwischen den Spielen: Arthur Kaufmann (1872–1938). 3… e6 4.d4 d5 fxe6 Ld8
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Td7?
16.Kh1! Td7?
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25... 26… 27.Db3!
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25.Sxd5!!
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