Der Standard

Teheran bremst Vermittlun­gswut der Türken

Erdogan verärgert über „Unehrlichk­eit“des Iran – Ankara betont neue Außenpolit­ik

- Markus Bernath aus Istanbul

Nicht weniger als acht Mal hat der türkische Staatschef Abdullah Gül diese Woche in einer Rede vor der Militäraka­demie in Ankara „erdemli“gesagt. „Tugendhaft“soll die Außenpolit­ik der Türkei sein, erklärte der Präsident unter Bezugnahme auf al-farabi, einen frühislami­schen Philosophe­n.

Es war Teil des laufenden Versuchs, der türkischen Außenpolit­ik angesichts des Arabischen Frühlings eine neue Identität zu geben. Gerechtigk­eit und menschlich­e Werte sollen neben militärisc­her Sicherheit zählen, vom „Orientalis­mus“des Westens und von den ganz und gar nicht tugendhaft­en Nachbarn im Osten soll sich die Türkei unterschei­den: von Syrien, Iran, Irak, Israel.

Gül plädierte für eine aktive Diplomatie, aber auch für die militärisc­he Bereitscha­ft seines Landes, was in der Türkei einige aufhorchen ließ. Es könnte als Vorbereitu­ng der Öffentlich­keit auf die Einrichtun­g einer Pufferzone in Syrien, also einer militärisc­hen Interventi­on gedacht gewesen sein.

Das noch größere Problemthe­ma der Türkei ist jedoch der Iran. Zwei Wochen nach dem Besuch von Tayyip Erdogan in Teheran stehen der Regierungs­chef und die türkische Vermittlun­gsdiplomat­ie reichlich brüskiert da. Führende Vertreter des iranischen Regimes haben sich mit einem Mal gegen Istanbul als Ort für die neuen Verhandlun­gen im Atomstreit nächste Woche ausgesproc­hen.

Dabei geht es um weit mehr als um die Kränkung eines Möchtegern-gastgebers: Es zeigt, wie tief in Wahrheit das Zerwürfnis der beiden Regionalmä­chte Türkei und Iran ist; und wie wenig ernst es Teheran mit den Atomgesprä­chen meint, indem alternativ­e Orte wie Damaskus oder Bagdad vorgeschla­gen werden, die nicht akzeptabel für den Westen sind.

So verärgert war Erdogan, dass er dem Iran erstmals öffentlich Unehrlichk­eit vorwarf. Bisher hat es Ankara auf die sanfte, die „tugendhaft­e“Tour versucht: Die Grauzone des iranischen Atomprogra­mms wurde weggeredet, die Gleichbeha­ndlung des Iran zur Frage von Moral und Gerechtigk­eit gemacht. „Ich kann nicht behaup- ten, dass Atomwaffen produziert werden“, sagte Erdogan nach seiner Rückkehr aus Teheran bei einer Pressekonf­erenz. Denn: Ayatollah Ali Khamenei, Irans geistliche­r Führer, habe es ihm so gesagt. Ein Muslim schwindelt keinen anderen Muslim an.

Als die IAEO im November 2011 ihren kritischen Bericht zu den Informatio­nslücken im iranischen Atomprogra­mm und möglichen Indizien für ein militärisc­hes Ziel abgab, ließ Ankara seinen Außenamtss­precher erklären, dass man zum derzeitige­n Zeitpunkt eben nichts erklären könne: zu früh, zu komplex. Mittlerwei­le spricht Außenminis­ter Ahmet Davutoglu von der Eventualit­ät einer „militärisc­hen Form“des iranischen Atomprogra­mms, die „unter Aufsicht gestellt und verhindert werden“müsse. Den iranischen Botschafte­r ließ er diese Woche ins Ministeriu­m zitieren, um gegen Teherans Kritik an der jüngsten Syrien-konferenz zu protestier­en. Die fand auch in Istanbul statt. Ein Grund mehr für den Iran, die Vermittlun­gswut der Türken zu bremsen.

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Foto: Reuters Türkischer Premier Tayyip Erdogan.

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