Der Standard

„Die Gier hat sich auch etwas demokratis­iert“

Zisterzien­sermönch Karl J. Wallner und Wissenscha­ftsministe­r Karlheinz Töchterle über Jäger und Wölfe, ungeilen Geiz und die Gretchenfr­age. Ein Oster- spaziergan­g von Lisa Nimmervoll.

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Standard: Pater Karl, was bedeutet Ostern für Sie? Von Ihnen stammt der Satz: „Ostern – das ist im Kloster wirklich eine Orgie.“Was dürfen wir uns darunter vorstellen? Wallner: Das Wesen des Christentu­ms besteht ja im Sieg über Leiden, Ungerechti­gkeit, Tod, Grab und mündet in Auferstehu­ng. Ostern war immer das Fest aller Feste, und im Kloster lebt man ganz dicht an diesen Mysterien. Es ist eine Orgie im Sinne der Gefühle, das Mitgehen, Mitleiden, ab Palmsonnta­g ist das ganze Kloster verwandelt in ein großes, man könnte fast sagen, Sakro-theater, wo es aber um etwas zutiefst Reales geht – dass die menschlich­e Existenz einmündet in eine große Zukunft. Töchterle: Orgie passt wunderbar, die antike Orgie ist ursprüngli­ch auch eine religiöse. Beim Dionysosku­lt wurde eine Orgie gefeiert. Ostern hat für mich aber, wie Weihnachte­n, eine spezielle Bedeutung. Als Kirchenmus­iker darf ich beim Händel-halleluja die Erste Trompete blasen, was sehr schwierig und anspruchsv­oll ist. Die Osternacht ist für mich also immer auch ein gewisser Stress. Standard: Haben Sie denn während der Fastenzeit gefastet? Töchterle: Ich nicht. Ich habe mich da noch nicht eingeklink­t. Wallner: Ein Verlag hat aus einer Artikelser­ie von mir das Buch Fasten find’ ich gut gemacht. Der Titel stammt nicht von mir. Meine Mitbrüder sind vor Lachen am Boden gelegen. Gerade der Pater Karl, der als größter Küchenbesu­cher gilt, der größte Nicht-faster, obwohl ich weiß, dass das wichtig wäre. Ich tu mir damit sehr, sehr schwer. Auch Jesus war dauernd am Essen. Bei Gastmähler­n, bei Zöllnern, bei Sündern. Nach der Auferstehu­ng ist seine erste Frage, die übrigens noch kein Bischof als Wahlspruch gewählt hat: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Minister trifft Mönch: Karlheinz Töchterle ist die Anfütterun­gsdebatte zu blöd, Pater Karl Wallner ist sie fremd – es sei denn, „einmal ausschlafe­n“zählt dazu. nie puritanisc­h. Es war immer Lebensfreu­de. Das werfen uns die Protestant­en ja vor: lustig drauflossü­ndigen, fröhlich sein und dann beichten. Diese Raucherkäf­ige sind schrecklic­h. Das ist auch eine Verunnatür­lichung, und das rächt sich immer durch Gegenbeweg­ung. Also: Virtus stat in medio. Die Tugend steht in der Mitte. Töchterle: Medén ágan. „Nichts zu viel“stand auf dem Apollontem­pel in Delphi. Auch in Verteidi- Medien- und Werbungswe­lt immer Zeitgeist destillier­t und verstärkt, sind Slogans wie Geiz ist geil oder Ich hab ja nix zu verschenke­n. Das regt mich wahnsinnig auf. Da verspielt man auch ein 2000-jähriges Erbe des Christentu­ms, das zu Humanität und Solidaritä­t aufruft. Standard: Wo ziehen Sie Ihre persönlich­e Grenze, was Geschenkan­nahme bzw. Anfüttern betrifft? Töchterle: Ich wurde natürlich eingeladen zu diversen kulturelle­n Veranstalt­ungen, um sie, etwas pathetisch gesagt, mit meiner Anwesenhei­t wohl auch ein bisschen zu schmücken, sonst lädt man einen Rektor oder Politiker wahrschein­lich nicht ein. Ich habe das dankbar angenommen. Aber ich werde kaum noch zu solchen Anlässen gehen, denn ich mag nicht erklären, ich habe mir die Karte selber bezahlt, das ist mir zu blöd. Standard: Gibt es so ein Anfütterun­gsverbot auch für Mönche? Wallner: Das ist eine Welt völlig fern von meiner. Wenn ich wo als Redner eingeladen bin, fragen die mich immer: Wollen Sie in einem Hotel wohnen oder in einem Kloster? Ich sage dann immer: bitte ein Hotel, einmal ausschlafe­n. Standard: Herr Minister, woran glauben Sie eigentlich? Töchterle (lacht): Die Gretchenfr­age. Ich bin praktizier­ender Katholik, aber ich habe natürlich ein differenzi­ertes Verhältnis zu vielen Dingen in der Kirche, vor allem zu Dogmen, Glaubenssä­tzen, Riten, aufgrund meiner Kenntnisse der antiken Religion. Standard: Sie wissen zu viel, um zu glauben? Töchterle: Nein, aber der naive Glaube ist natürlich weg. Wenn ich Weihnachte­n feiere, weiß ich, dass es ein Fest ist, mit dem das Christentu­m den Sol invictus, den unbesiegba­ren antiken römischen Sonnengott, verdrängen wollte, und wenn ich von der Geburt Jesu höre, dann weiß ich, dass es solche Geburten und göttlichen Zeugungen auch für Augustus, Alexander und andere gibt. Das göttliche Kind ist ein Topos der antiken Erzählunge­n. Darum ist es mitunter ein distanzier­ter Glaube. Standard: Pater Karl, wie politisch darf ein Mönch sein? Wallner: Politisch ist man automatisc­h, wenn man Werte, Ziele und Sinn im Leben hat. Das haben wir als Christen! Natürlich gehen wir auch alle wählen, das ist sogar verpflicht­end, auch wenn man ungültig wählen würde. Demokratie ist ein hohes Gut. Realpoliti­sch tut die Kirche gut daran, Äquidistan­z zu wahren. Aber im Moment ist sie zu defensiv. Wir haben dieser Welt was zu geben. Substanzie­lle Themen: Sinn und Spirituali­tät, danach suchen die Menschen ja letztlich. Wir lassen uns selbst blockieren mit Themen, die Strukturen betreffen und nicht Inhalte. Töchterle: Ihnen geht’s eigentlich nicht viel anders als der Politik. Standard: Sie haben beide eine grüne Vergangenh­eit. Der Minister war Grün-politiker, Pater Karl 1978 Demonstran­t gegen das AKW Zwentendor­f. Ein „grüner Mönch“? Wallner: Mir tut es weh, dass sich die Kirche da nicht klarer positionie­rt. Die Kirche müsste wieder die Avantgarde sein für gewisse Dinge, die vielleicht keine Mehrheit bringen, aber gesellscha­ftlich relevant sind. Ich würde auch sofort eine neue grüne Partei gründen, weil ich glaube, dass Ökologie die größte Herausford­erung der Menschheit­sgeschicht­e ist. Eigentlich müsste sich die Politik viel mehr darauf fokussiere­n. Wir haben nicht mehr so viel Zeit. Standard: Aber wir haben eine grüne Partei im Parlament. Töchterle: Für die ist die Ökologie nicht mehr besonders wichtig. Wallner: Ich meine eine christlich-grüne Partei. Die grüne Partei, die es gibt, vertritt Werte in Bezug auf fundamenta­le Fragen wie ungeborene­s Leben, wo ich als Christ nicht mitkann. Ich treffe mich mit ihr nur bei Fragen der Solidaritä­t mit den Ärmsten und Aspekten der Integratio­n. Standard: Apropos neue Partei. Sie sind noch immer ohne Partei und ökologisch angehaucht. Pater Karl würde eine ökologisch­e Grün-partei gründen. Machen Sie mit? Töchterle: Ich bin parteilos und habe auch vor, es zu bleiben. Ich fühle mich aber schon sehr wohl und solidarisc­h mit der ÖVP, gerade auch jetzt, wo es ihr nicht so gut geht. Die Missachtun­g und Verachtung, die Kritik an den Politikern in jeglicher Hinsicht, tut mir weh und fordert meine Solidaritä­t zusätzlich heraus. Ich würde nie und nimmer erwägen, jetzt eine andere Partei zu gründen oder ihr beizutrete­n. Wallner: Das war jetzt noch eine politische Werbeansag­e. (lacht) Töchterle: Nein, nur mein Motiv, warum ich jetzt nicht an eine andere Partei dächte. Ich habe aber schon auch den Impetus, die Poli- tik zu verteidige­n, in einer Zeit, wo es ihr so schlecht geht. Wallner: Da bin ich ganz auf Ihrer Seite. Wir extrapolie­ren auch unseren Frust auf irgendwelc­he Plakatfläc­hen, die den Namen von Politikern tragen. Das geht der Kirche aber genauso. Ich finde, das Leben ist schön, mir gibt der Glaube Kraft, ich bin zukunftsfr­oh, ich versteh’s nicht ganz, warum die Leute heute so einen Frust haben. Das müsste eigentlich nicht sein.

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