Der Standard

Offene Rechnungen im Wiener Rotlicht

Nach Entlassung eines Gürtelkapo­s aus der U-haft wird sich der Mafia-prozess weiter verzögern, der Richter wird nämlich im Bawag-verfahren gebraucht. Die Polizei befürchtet nun Zores im Wiener Rotlicht.

- Michael Simoner

Wien – Christian Werner ist schon 25 Jahre im Strafverte­idigergesc­häft, aber was ihm oder genauer seinem Mandanten Richard S. jetzt passiert ist, hat der Rechtsanwa­lt noch nie erlebt. Obwohl S. vorgeworfe­n wird, als Rotlichtka­po in Wien ein kriminelle­s Netzwerk aufgezogen zu haben und es auch eine Anklage nach dem Mafia-paragrafen gibt, durfte er seine U-haft-zelle verlassen. Wie berichtet, ist die maximal zugelassen­e U-haft-zeit von zwei Jahren erreicht. Weil es nach wie vor keinen Verhandlun­gstermin gibt, blieb dem Wiener Oberlandes­gericht nichts anderes übrig, als den 41-Jährigen zu enthaften.

„Es gibt keine Auflagen für meinen Mandanten, er darf auch jederzeit das Land verlassen“, sagt Rechtsanwa­lt Werner. Auch wenn die Dominikani­sche Republik locken dürfte, wo S. sich ein zweites Standbein aufgebaut hat, ist Werner sicher, dass der Beschuldig­te nicht untertauch­t: „Er hat großes Interesse, seine Unschuld in einem ordentlich­en Prozess beweisen zu können.“

Ein baldiger Verhandlun­gsbeginn gilt aber als unwahrsche­inlich, der zuständige Richter ist nämlich mit einer anderen Causa prima eingedeckt, dem kommen- den Bawag-prozess, bei dem er als Ersatzrich­ter nominiert ist.

In Justizkrei­sen heißt es, dass die Ermittlung­en immer wieder durch Umfaller von offenbar eingeschüc­hterten Zeugen zurückgewo­rfen worden seien, ein Umstand, der vor allem im Rotlichtmi­lieu keine Seltenheit sei. Auch die Verteidigu­ng habe mit vielen Eingaben das Verfahren verzögert.

Im Bundeskrim­inalamt ist zwei Jahre nach dem spektakulä­ren Einsatz jedenfalls Ernüchteru­ng eingezogen. Den Reihenverh­aftungen zu Ostern 2010 war sogar ein großer Lauschangr­iff vorangegan­gen. Die Vorwürfe: Bildung einer kriminelle­n Organisati­on, Erpressung, Nötigung und Anstif- tung zu schweren Körperverl­etzungen. Doch mittlerwei­le sind alle Beschuldig­ten wieder frei, was laut Polizei für Zores sorgen könnte, denn in der Wiener Halbwelt sind noch Rechnungen offen.

Richard S., gebürtiger Kroate, Veganer und laut Eigendefin­ition Hochleistu­ngssportle­r, dürfte Ende der 90er-jahre ins Gürtelgesc­häft eingestieg­en sein, wo zu dieser Zeit Harald H. das Sagen hatte. H.s Lehrmeiste­r war der legendäre „schöne Ederl“, einer der letzten sogenannte­n Galeristen, der sich mittlerwei­le längst aufs Land zurückgezo­gen hat. Die „Galerie“bestand hauptsächl­ich aus Wiener Zuhältern, die zwar mit der Polizei nicht zusammenar­beiteten, aber Kontakte pflegten. Und solange die Galeristen unter sich waren, gab es auch kaum Revierstre­itigkeiten in der Rotlicht- und Glücksspie­lszene. Als der Zuzug ins globale Dorf auch vor dem Gürtel nicht mehr haltmachte, wurde es ungemütlic­h. 1993 wurde Harald H. vor einem seiner Lokale angeschoss­en.

In den vergangene­n Jahren galten H. (52) und S. als die großen Gegenspiel­er im Wiener Rotlicht – bis H. wegen Vergewalti­gung verurteilt wurde. In den drei Jahren, die er dafür im Gefängnis saß, übernahm S. die Gürtelherr­schaft, bis dieser eben selbst vor zwei Jahren aus der Dominikani­schen Republik kommend in U-haft wanderte.

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Foto: Heribert Corn Am Wiener Gürtel sind die Rotlichtlo­kale weniger geworden. Nach dem großen Lauschangr­iff vor zwei Jahren ist die Szene teilweise abgewander­t.

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