Der Standard

„Wir leben in einem korrupten System“

Ilan Fellmann, langjährig­er Prüfer diverser Ministerie­n, sprach mit Petra Stuiber über „automatisc­he Korruption“und die aufregende und dennoch durchschni­ttliche Fluchtgesc­hichte seiner jüdischen Familie.

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Standard: Lassen Sie sich von mir auf einen Kaffee einladen, oder fühlen Sie sich dann korrumpier­t? Fellmann: Nein, weil ich als langjährig­er Prüfer ganz genau weiß, wo die Grenzen sind, und ich persönlich halte die 100-Euro-grenze für unbedenkli­ch. Außerdem habe ich keine Dinge anzubieten, die man kaufen könnte. Standard: Sie arbeiten immerhin in hoher Position im Verteidigu­ngsministe­rium, ich könnte bei anderer Gelegenhei­t geheime Informatio­nen von Ihnen wollen. Fellmann: Ich bin im Sportberei­ch tätig. Ich vertrete Österreich bei der Europäisch­en Union, beim Europäisch­en Rat, bei der Unesco, beim Europarat. Das sind schon interessan­te Dinge, aber der Geheimnisw­ert ist beschränkt. Aufgrund meiner Erfahrunge­n weiß ich ganz genau, wie weit ich gehen kann. Übrigens halte ich die 50-EuroGrenze, die die Grünen vorgeschla­gen haben, für absolut übertriebe­n. Eine 100-Euro-grenze ist in Ordnung, aber sie sollte für alle gelten, nicht nur für Beamte, sondern natürlich auch für Politiker aller Art. Standard: Ab wann würden Sie sich korrumpier­t fühlen? Wenn ich Sie zu einem Fußballmat­ch einlade? Fellmann: Nein, deswegen nicht, weil ich ja im Sport arbeite. Aber ich nehme keine Vip-einladung an. Also Dinge, die einige hunderte Euro kosten. Auch ein BayernMünc­hen-match kostet gleich ein Vermögen, das nehme ich nicht an, ebenso wenig Salzburger Festspielk­arten, wenn sie einen gewissen Wert überschrei­ten. Und ich würde, wäre ich Jäger, keinesfall­s irgendwelc­he Jagdeinlad­ungen annehmen. Herrn Landeshaup­tmann Platters Argumentat­ion gefällt mir überhaupt nicht. An seiner Stelle würde ich mich fragen, warum ich eingeladen werde. Ich werde nicht als Herr Platter eingeladen, sondern als Landeshaup­tmann, von dem jeder etwas will. Und jetzt die ganze Jägerschaf­t zur Verteidigu­ng zu nehmen finde ich fatal. Standard: Aber die Jägerschaf­t findet offenkundi­g wirklich nichts dabei. Einladunge­n scheinen gang und gäbe zu sein. Fellmann: Weil wir in einem sehr korrupten System leben. Und das sage ich auch als Mitglied von Transparen­cy Internatio­nal. Standard: Bleiben wir bei den Sporteinla­dungen. Was halten Sie von Vip-einladunge­n für Politiker, etwa nach Kitzbühel? Fellmann: Grundsätzl­ich wäre zu hinterfrag­en, ob Politiker wie etwa die Justizmini­sterin oder der Landwirtsc­haftsminis­ter in Kitzbühel sein müssen. Beim Sportminis­ter ist das selbstvers­tändlich. Ich denke, die Politiker sind gut bezahlt, die können das auch selber bezahlen oder allenfalls aus dem Staatsbudg­et, aber Privateinl­adungen ab einer gewissen Grenze finde ich hochproble­matisch. Österreich ist ein überwiegen­d katholisch­er Staat, es würde uns aber ganz gut tun, wenn wir ein wenig protestant­ischer wären, weil die protestant­ische Ethik so etwas nicht zulassen würde. Gespräche über Stadt und Städter Standard: Sie sind, obwohl waschechte­r Wiener, doch atypisch als Spitzenbea­mter der Republik, weil Sie jüdische Wurzeln haben. Es gibt wenige öffentlich Bedienstet­e jüdischer Herkunft. Warum? Fellmann: Das hängt mit dem landesübli­chen Antisemiti­smus zusammen. „Die Juden“, meistens gescheite Leute, wissen ganz einfach, dass sie in diesem System der Unfreiheit, der Abhängigke­it, des Speichelle­ckertums einfach nicht reüssieren werden. Juden bieten oft Angriffsfl­ächen. Standard: Sie bieten eine Angriffsfl­äche nur durch Ihr Judentum? Fellmann: Ich biete Angriffsfl­ächen, weil ich auch ein eitler Mensch bin und strikt Ziele verfolge. Und weil ich jahrelang als Interner Revisor gearbeitet habe. Schon in den 1970er-jahren habe ich als Prüfer beim Bauring Wien, einem großen Bauskandal, tiefgreife­nde Berichte geschriebe­n und letztlich dadurch einen Architekte­n ins Gefängnis gebracht. Dann bin ich ins Sozialund Gesundheit­sministeri­um gekommen, war in der internen Revision tätig. Dort habe ich mich offenbar unter Josef Hesoun unbeliebt gemacht, ich wurde 1991 als Abteilungs­leiter hinausgemo­bbt. Standard: Sie glauben, das hatte mit Antisemiti­smus zu tun? Fellmann: 100-prozentig. Im Vor- dergrund stand: unangenehm­er Prüfer, es wurde mein Vorgesetzt­er in Frühpensio­n geschickt, ein ranghoher Beamter, den Hesoun nicht wollte. Ich wurde dann in einem Aufwaschen gleich mit entsorgt, da waren auch andere Spitzenbea­mte stark beteiligt. Standard: Sie haben erst kürzlich über die Vertreibun­gsgeschich­te Ihrer Familie ein Buch geschriebe­n. Warum jetzt? Fellmann: 2009 hat mir meine Tochter Renée ein Buch geschenkt, Schuhhaus Pallas von Amelie Fried. Sie schreibt über ihren jüdischen Vater, der getauft war und der im Krieg untergetau­cht ist, der nie gesprochen hat über seine jüdische Vergangenh­eit. Das hat mich genervt, ich hab Renée gesagt, so ein Schmarrn, dein Vater kann das besser. Standard: Wie kamen Sie darauf? Fellmann: Ich habe schon als 20Jähriger meine ersten Recherchen zu meiner Familie angestellt – und zum Teil atemberaub­ende Biografien entdeckt. Etwa die von Benno Bordiga, der gemeinsam mit Cousine Hilde Harmel und meinem Vater Fritz Fellmann in der Weyringerg­asse 37 im vierten Bezirk aufwuchs. Alle drei mussten wegen Hitler flüchten. Benno wurde als Produzent von Autoteilen Multimilli­onär in New York und auch Kunstsamml­er und Patron der Metropolit­an Opera, Hilda eine berühmte Malerin in Chicato und Fritz Antiquität­enhändler in Haifa. Mein Opa Michael wurde zur Hauptperso­n dieses Buches, neben meiner Mutter Trude, weil er dreimal den Nazis entkam. Dabei hat ihm meine Mutter 1939 bei der Flucht in die Schweiz das Leben gerettet. Sie lebt jetzt 87-jährig kreuzfidel in Wien. Standard: Warum soll man das Buch kaufen? Es gibt ja nicht gerade wenig Literatur über Shoah und Naziterror. Fellmann: Sie haben zu 100 Prozent recht, auch meine Mutter hat gesagt: Das wird keiner lesen. Meine Antwort: Ja, ich weiß das, aber um das Finanziell­e geht es mir gar nicht. Man soll es lesen, weil es hochintere­ssant ist. Ein Freund hat gesagt, das Interessan­te ist, dass es so eine durchschni­ttliche Geschichte ist, die vielen jüdischen Österreich­ern passiert ist. Standard: Ihre Mutter war in einem Kibbuz, kannte Ben Gurion und Golda Meir. Wieso ist sie wieder zurück nach Wien gekommen? Fellmann: Meine Mutter hat meinen Vater verlassen, sie ist weniger nach Österreich zurückgeke­hrt als von der Familie meines Vaters geflüchtet. Auch weil ihre Mutter und ihr Bruder bereits hier waren und weil es ein kleines Geschäft gab. Da konnte sie arbeiten, in Israel hat ihr das die dortige Familie verboten. Standard: Wie haben Sie die Rückkehr als Kind erlebt? Fellmann: Ich war sechs Jahre alt, ging in Haifa in die zweite Klasse Volksschul­e. In Wien wurde ich dann ein Jahr zurückgest­uft, weil ich noch nicht gut genug Deutsch sprach. Für mich war das eine Art von Versagensg­efühl, dann wieder in die erste Klasse zu gehen. Standard: Hat Ihre Mutter Ihnen auch von der Vertreibun­g aus Wien erzählt? Fellmann: Ja, aber mehr noch die Oma Dora: Wir haben ja vier Häu- ser und Geschäfte in Wien gehabt, waren elegante, wohlhabend­e Leute. Dann die vielen Fluchten, schließlic­h ist die Familie 1939 nach Palästina gekommen und war bettelarm. Wir haben zu dritt in einem Zimmerchen gewohnt. Mein Opa Michael hat dann im Herbst 1939 die wahnwitzig­e Idee gehabt, zurück nach Paris zu gehen. Dort hatte er noch Warenlager gehabt, die wollte er verkaufen und in Tel Aviv dann mit den Erlösen ein Geschäft eröffnen. Mit dem Effekt, dass er in einem Internieru­ngslager in VichyFrank­reich landete und knapp überlebte. Das war meiner Großmutter sehr präsent, sie hat es mir weitergege­ben. Standard: Fühlen Sie sich in Wien zu Hause? Fellmann: Ja, weil ich Europäer und hier überwiegen­d aufgewachs­en bin. In Israel auch, weil mein Herz dafür schlägt. Kann ich den Nazis vergeben? Nein, auch nicht vergessen. Aber man kann nicht alle Österreich­er und Deutschen in einen Topf werfen. Es geht immer um individuel­le Schuld. Ich habe immer für die Österreich­er von heute gesprochen und meinen Verwandten in Israel erzählt, dass es viel Positives hier gibt. ILAN FELLMANN (63) ist Ministeria­lrat in der Abteilung für Internatio­nalen Sport im Verteidigu­ngsministe­rium und war früher Revisionsl­eiter im Sozialmini­sterium und im Bundesmini­sterium für öffentlich­e Leistung und Sport. Seine Autobiogra­fie „Flucht vor dem gelben Stern“, Berlin 2011, erhältlich bei Amazon, ist nach „Die automatisc­he Korruption“(Wien 2010) sein zweites Buch.

 ?? Foto: Christian Fischer ?? Buchautor Ilan Fellmann zu der Frage, warum es so wenige jüdische Spitzenbea­mte in Österreich gibt: „Das hängt mit dem landesübli­chen Antisemiti­smus zusammen.“
Foto: Christian Fischer Buchautor Ilan Fellmann zu der Frage, warum es so wenige jüdische Spitzenbea­mte in Österreich gibt: „Das hängt mit dem landesübli­chen Antisemiti­smus zusammen.“

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