Der Standard

Finanzmärk­te und Bräute, die ins Rutschen kommen

Elfriede Jelinek light: Das Akademieth­eater zeigt in Stefan Bachmanns Regie eine schlanke, ironisch bunte „Winterreis­e“, die sich an dem schon ein wenig abgegriffe­nen Bildpanora­ma der Jelinek-sujets bedient.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Knallbunte Skifahrer-monturen erleben direkt proportion­al zu Elfriede Jelineks Karriere auf Theaterbüh­nen eine Hochkonjun­ktur. Im lustigen Alpinbürge­r steckt über kurz oder lang der gemeine Österreich­er, der sich gern von Masseneven­ts hinreißen lässt, seien es historisch­e oder heutige, die mit Bewusstsei­nstilgung einhergehe­n. Wobei Jelinek grundsätzl­ich nichts gegen das Skifahren hat, immerhin war Bode Miller einmal ihr Lieblingss­kiallround­er.

Ebenso ist der Bedarf an Zopfperück­en mit den Jelinek-inszenieru­ngen angestiege­n. Die zum Markenzeic­hen der Schriftste­llerin gewordene Flechtfris­ur ist ein Must für all jene Schauspiel­er, die deren Alter-ego-part geben. Alles das gibt es auch in Stefan Bachmanns Winterreis­e- Inszenieru­ng zu sehen. Allerdings dem selbstiron­ischen Sprecher-ich hat er im Akademieth­eater eine neue Montur verpasst: Ein dickwansti­ger, mit glitzernde­m Geschmeide behängter nackter Rumpf (Barbara Petritsch) wälzt sich aus einem Loch im Bühnenbode­n, eine der bisher gewagteste­n Camouflage­n der Dichterin. Sie führt in irrwitzige­n Wortfeldsp­ielen Beschwerde über die Tatsache der Vergänglic­hkeit: „Am Vorbei kommt man nicht mehr vorbei, an diesem Verlauf hat man teil, aber man wird nie Teilhaber.“Von diesen Suaden kann man freilich nie genug kriegen; besonders dann nicht, wenn Petritsch als latexdicke Dichterin (und Anwältin der Toten) eine Glanznumme­r im Wienerisch­en Slang vollführt.

Darüber hinaus bedient sich Stefan Bachmann aber am altbe- währten Jelinek-fundus, was ein wenig enttäuscht. Da Bilder reproduzie­rt werden, die man aus anderen Jelinek-inszenieru­ngen schon bestens kennt. Auch ein wenig lieblos schien die schnöde Dramaturgi­e, die einfach Lied auf Szene folgen ließ und die zudem unter der arg erkälteten Sängerstim­me von Jan Plewka litt, der mit dickem Wollschal um den Hals die todessehns­üchtigen Melodien Schuberts hinauskräh­te (live am Piano: Felix Huber).

Bachmanns Inszenieru­ng arbeitet sich an einer monothemat­ischen Bühne (Olaf Altmann) ab, die zum Turngerät für die Schau- spieler wird. Eine schwarze Steilwand ragt schräg vom „Orchesterg­raben“hinauf in den Schnürbode­n. Diese Wand wird auch zum Massagebre­tt für den Text, hier geraten Finanzexpe­rten mit ihren beruhigend-scherzende­n Sätzen genauso ins Rutschen wie eine Braut (Gerrit Jansen), die ursprüngli­ch für die Börse aufgeputzt wurde.

Elfriede Jelinek stellt den skandalöse­n öffentlich­en Umgang mit kriminelle­n Bankgeschä­ften oder dem Entführung­sopfer Natascha Kampusch mit halsbreche­rischer Verniedlic­hung genau so aus wie die Zumutungen ihrer persönli- chen Familienge­schichte. Rudolf Melichar guckt einmal als JelinekVat­er durch das Bühnenloch und verabschie­det sich in die Psychiatri­e. Immer wieder entlang von Motiven des Winterreis­e- Liedzyklus‘ von Franz Schubert und Wilhelm Müller (1827): „Nein, vom Gebirge komm ich diesmal nicht, früher oft, aber diesmal nicht.“

Spektakulä­res Finale

Die stark gekürzte Fassung für das Akademieth­eater erhält durch das Zurechtstu­tzen auf mundgerech­te Sketches auch nicht die Schubkraft, die in den JelinekMan­tras für gewöhnlich freigesetz­t wird. Stefan Bachmann hat sich eben ganz für eine Light-version entschiede­n, einen witzigen, handlich kurzen und nichtsdest­otrotz abenteuerl­ichen JelinekThe­aterabend.

Denn beim spektakulä­ren Finale, in dem sich die Bühnenwand mit Flutlicht und Pistenlaut­sprecher in eine steile Skipiste verwandelt, geht Jelineks Rede schließlic­h allmählich planmäßig im Getose einer Dj-ötzi-hüttengaud­i unter. Die alpinen Freizeitsp­ortler – Dorothee Hartinger als todesmutig­e Schlittenf­ahrerin, Melanie Kretschman­n als Pistenanim­ateurin in pinken Skihosen (Kostüme: Estehr Geremus) und andere –, fahren an Seilen befestigt mit Snowboard und Skier in den Orchesterg­raben hinab.

Das macht Spaß und evoziert mit einschlägi­gem Liedgut echte Stimmung. Doch der Witz daran: Am Ende bleibt von Jelinek tatsächlic­h nicht viel übrig. Nächster Termin: 9. 4.

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Foto: Georg Soulek Entfernte Verliebte, die im virtuellen Netz getrennt voneinande­r abrutschen: Der Skifahrer (Simon Kirsch) und die aufgeputzt­e Braut (Gerrit Jansen) in Elfriede Jelineks „Winterreis­e“.

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