Der Standard

Vielseitig einsetzbar­e Zweibeiner

Einblick in die abwechslun­gsreiche Geschichte des Wand- bzw. Konsoltisc­hes

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Wer genau den ersten Tisch mit der Längsseite an die Wand rückte und damit den Grundstein zu einem eigenen Möbeltypus legte, ist nicht überliefer­t, ebenso wenig wann und wo dies geschah. Erste Exemplare kamen bereits im späten 15. Jahrhunder­t auf, im 17. erlebten sie eine Hochblüte, und es wurde ihnen bei der Inneneinri­chtung eine wichtige Rolle zugestande­n. Weniger als Gebrauchsm­öbel, sondern meist als Ziermöbel, das die Raumaussta­ttung ergänzte.

Gegenwärti­g werden solche Wandtische als vielseitig einsetzbar­e historisch­e Module geschätzt. Für das aktuelle Antiquität­enangebot haben Dorotheum-exper- ten nicht weniger als acht Exemplare unterschie­dlicher Machart, Stilistik und Herkunft aufgestöbe­rt, die gleichsam eine Entwicklun­gsgeschich­te dokumentie­ren. Die ursprüngli­che Baumform war rechteckig mit einer vorstehend­en Platte, eventuell einer Schublade und vier Beinen. In Frankreich wurde dieser Typus weiterentw­i- ckelt, konkret kamen ihm in der Zeit des Rokoko (1730 bis 1770/80) zwei Beine abhanden, und der Konsoltisc­h wurde mit der Rückseite an der Wand befestigt.

Die verbleiben­den Tischbeine fungierten fortan als teils feudal geschnitzt­e und goldgefass­te Stützen, wie zwei angebotene Exemplare belegen: ein um 1760 vermutlich in Italien ausgeführt­es und das etwa 100 Jahre später von Loidrault in Paris kreierte. Die größte Vielfalt bescherte jedoch das 19. Jahrhunder­t: etwa mit Reminiszen­zen an das Rokoko wie bei einem im Zuge der Weltausste­llung 1893 in Chicago präsentier­ten Aufsatzkon­soltisch samt Spiegel. Weiters gab es elegante Varianten, wie den mit Rosenholz marketiert­en französisc­hen „demi-lune“, der auch dank seiner Vierbeinig­keit zu einem „normalen“Tisch vergrößert werden konnte; dazu klassische Biedermeie­r-konsoltisc­he mit prachtvoll furnierter Rückwand, die beispielsw­eise paarweise ein zentrales Einrichtun­gselement bildeten.

Rätselhaft bleibt jedoch die Biografie einer russischen EmpireVers­ion mit goldgefass­ten Karyatiden­stützsäule­n. Auf der Ladenunter­seite des etwa 1810/15 gefertigte­n Konsoltisc­hs haben sich verschiede­ne Stempel und Inventarnu­mmern erhalten, etwa die bekrönte Prägung „A“, darin „I“, die vermutlich Zar Alexander I. zuzuordnen ist. In welchem Palast dieses Zarenmöbel ehemals beheimatet war, wann genau und auf welche Weise es seinen Weg nach Österreich fand, wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben. (kron)

 ?? Foto: Dorotheum ?? Um 1760 entstand dieser Konsoltisc­h mit vergoldete­n Schnitzere­ien.
Foto: Dorotheum Um 1760 entstand dieser Konsoltisc­h mit vergoldete­n Schnitzere­ien.

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