Wie Othello ins Hemd kam oder Der Hintergrund
Anmerkungen zu einem „Gutfühlterminus“, der gern als „fortschrittliches Tool“in der migrationspolitischen Debatte verwendet wird, tatsächlich aber mehr verschleiert als aufklärt.
Mit ihrer jüngsten Petition hat die Pressure Group SOS Mitmensch eine kräftige Breitseite auf den Begriff Migrationshintergrund abgefeuert. Ein Argument fehlt jedoch in ihrer Munitionskammer voll richtiger Argumente: dass es sich dabei um eine sprachliche Ungeheuerlichkeit handelt, die nicht nur jeden Textfluss bremst – solch Einwand wäre plane Stilkritik –, sondern auch jedes Denken darüber. Hier setzt Sprachkritik an.
Denn die Sprache ist ein Schlachtfeld, und Bemühen um sprachliche Präzision und Fantasie nicht elitäre Schöngeistigkeit, sondern der konsequenteste Widerstand gegen die Artillerie der Phrasen, auch dagegen, dass den eigenen Begriffen die Reflexion ausrinnt und nichts als die Hülle guter Absichten zurückbleibt, in die dann ungehindert der hegemoniale Schwachsinn sickert.
Wenn Hanno Pöschl etwa in seinem Beisl statt des „Mohren“einen „Othello im Hemd“anbietet, ist die Süßspeise zwar zu Königs- und Bildungshuberwürden, aber nicht um ihre Assoziation mit der dunklen Pigmentierung von Menschen gekommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Migrationshintergrund (MH), der alte Zuschreibungen nicht überwin- det, vor welchem Stammtisch und Soziologie aber zufrieden einander zuprosten. Ein wahrer Gutfühlterminus ist er, wirbt um sich mit Verbindlichkeit, Neutralität und politischer Korrektheit. Einen Konsensbegriff stellt er vor, bei dem sich die unterschiedlichsten Interessen treffen: Die FPÖ kann ihn als politisch korrekte Zielscheibe verwenden, Sebastian Kurz salbungsvoll gute Schulnoten und Gewinnkurven in ihn ritzen, manch Vorzeigemigrant als stolzes Pfauenrad der Differenz spazieren führen und die breite Mehrheit zufrieden nicken zu einem Wort, das ihnen endlich kein schlechtes Gewissen mehr macht, denn irgendwie muss man «diese Menschen» ja benennen. Muss man das wirklich? Und wer sind «diese Menschen» überhaupt?
Ein Begriff mit Handschlagqualität? Ja, umso perfider, weil dessen Handkantenschlagqualität hinter seiner jovialen Umständlichkeit verschwindet, der gewissenhafte Deutschlehrer von Anfang an Einhalt gebieten sollten. Der Politologe Bernhard Perchinig meint, dass der Begriff mehr verschleiere als er aufkläre. Und ich meine, dass er nicht einmal das fertigbringt. Oft sagt eine Bezeichnung mehr über die Bezeichner als über das Bezeichnete aus. Wahrheit und Macht verstecken sich nicht immer, sondern liegen – zum Verdruss mancher Ideologiekritiker – im Begriff mitunter offen zutage. Der hierzulande verpönte Terminus Einwanderer zum Beispiel verrät uns, dass sich eine Gesellschaft als Einwanderungsgesellschaft versteht. Anders der Zuwanderer: Er ist schon das nicht mehr prinzipiell willkommene Supplement zu einer geschlossenen Menge, welches man mit gutem Willen und zugedrücktem Auge gerade noch reinholt. Was aber kann die holprige Apposition „mit Migrationshintergrund“, was der Migrant nicht kann?
Die Antwort ist ebenso einfach wie erschreckend: Der Migrant ist zu Lebzeiten eingewandert, seine Kinder und Enkel aber sollen zu deren Lebzeiten daran erinnert werden, dass die Zuwanderung ein vererbtes Merkmal ist wie zugewachsene Augenbrauen oder der Hang zum Bemalen von Ostereiern.
Natürlich lässt sich der MH stolz zum Widerstandstool wenden, auch von den so Markierten zum provisorischen Arbeitsbegriff, mit dem sich die gesellschaftlichen Kämpfe um Teilhabe und Gleichberechtigung ausfechten lassen. Doch eingehende Reflexion darüber, wer hier aus welchen Gründen wen markiert, wird die Betroffenen den Begriff rasch