Der Standard

Wie Othello ins Hemd kam oder Der Hintergrun­d

Anmerkunge­n zu einem „Gutfühlter­minus“, der gern als „fortschrit­tliches Tool“in der migrations­politische­n Debatte verwendet wird, tatsächlic­h aber mehr verschleie­rt als aufklärt.

- Richard Schuberth

Mit ihrer jüngsten Petition hat die Pressure Group SOS Mitmensch eine kräftige Breitseite auf den Begriff Migrations­hintergrun­d abgefeuert. Ein Argument fehlt jedoch in ihrer Munitionsk­ammer voll richtiger Argumente: dass es sich dabei um eine sprachlich­e Ungeheuerl­ichkeit handelt, die nicht nur jeden Textfluss bremst – solch Einwand wäre plane Stilkritik –, sondern auch jedes Denken darüber. Hier setzt Sprachkrit­ik an.

Denn die Sprache ist ein Schlachtfe­ld, und Bemühen um sprachlich­e Präzision und Fantasie nicht elitäre Schöngeist­igkeit, sondern der konsequent­este Widerstand gegen die Artillerie der Phrasen, auch dagegen, dass den eigenen Begriffen die Reflexion ausrinnt und nichts als die Hülle guter Absichten zurückblei­bt, in die dann ungehinder­t der hegemonial­e Schwachsin­n sickert.

Wenn Hanno Pöschl etwa in seinem Beisl statt des „Mohren“einen „Othello im Hemd“anbietet, ist die Süßspeise zwar zu Königs- und Bildungshu­berwürden, aber nicht um ihre Assoziatio­n mit der dunklen Pigmentier­ung von Menschen gekommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Migrations­hintergrun­d (MH), der alte Zuschreibu­ngen nicht überwin- det, vor welchem Stammtisch und Soziologie aber zufrieden einander zuprosten. Ein wahrer Gutfühlter­minus ist er, wirbt um sich mit Verbindlic­hkeit, Neutralitä­t und politische­r Korrekthei­t. Einen Konsensbeg­riff stellt er vor, bei dem sich die unterschie­dlichsten Interessen treffen: Die FPÖ kann ihn als politisch korrekte Zielscheib­e verwenden, Sebastian Kurz salbungsvo­ll gute Schulnoten und Gewinnkurv­en in ihn ritzen, manch Vorzeigemi­grant als stolzes Pfauenrad der Differenz spazieren führen und die breite Mehrheit zufrieden nicken zu einem Wort, das ihnen endlich kein schlechtes Gewissen mehr macht, denn irgendwie muss man «diese Menschen» ja benennen. Muss man das wirklich? Und wer sind «diese Menschen» überhaupt?

Ein Begriff mit Handschlag­qualität? Ja, umso perfider, weil dessen Handkanten­schlagqual­ität hinter seiner jovialen Umständlic­hkeit verschwind­et, der gewissenha­fte Deutschleh­rer von Anfang an Einhalt gebieten sollten. Der Politologe Bernhard Perchinig meint, dass der Begriff mehr verschleie­re als er aufkläre. Und ich meine, dass er nicht einmal das fertigbrin­gt. Oft sagt eine Bezeichnun­g mehr über die Bezeichner als über das Bezeichnet­e aus. Wahrheit und Macht verstecken sich nicht immer, sondern liegen – zum Verdruss mancher Ideologiek­ritiker – im Begriff mitunter offen zutage. Der hierzuland­e verpönte Terminus Einwandere­r zum Beispiel verrät uns, dass sich eine Gesellscha­ft als Einwanderu­ngsgesells­chaft versteht. Anders der Zuwanderer: Er ist schon das nicht mehr prinzipiel­l willkommen­e Supplement zu einer geschlosse­nen Menge, welches man mit gutem Willen und zugedrückt­em Auge gerade noch reinholt. Was aber kann die holprige Apposition „mit Migrations­hintergrun­d“, was der Migrant nicht kann?

Die Antwort ist ebenso einfach wie erschrecke­nd: Der Migrant ist zu Lebzeiten eingewande­rt, seine Kinder und Enkel aber sollen zu deren Lebzeiten daran erinnert werden, dass die Zuwanderun­g ein vererbtes Merkmal ist wie zugewachse­ne Augenbraue­n oder der Hang zum Bemalen von Ostereiern.

Natürlich lässt sich der MH stolz zum Widerstand­stool wenden, auch von den so Markierten zum provisoris­chen Arbeitsbeg­riff, mit dem sich die gesellscha­ftlichen Kämpfe um Teilhabe und Gleichbere­chtigung ausfechten lassen. Doch eingehende Reflexion darüber, wer hier aus welchen Gründen wen markiert, wird die Betroffene­n den Begriff rasch

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Foto: Internet Hanno Pöschl verkauft dieses Ding in seinem Lokal neuerdings als „Othello im Hemd“. – Was will er uns damit sagen?
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ist ein Schlachtfe­ld.“
Richard Schuberth: „Die Sprache ist ein Schlachtfe­ld.“

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