Der Standard

Kampf ums Sichtbar-sein

- Irene Brickner

Achtzehn Jahre, von 1971 bis 1989, dauerte es in Österreich, um das Werbeverbo­t für Homosexuel­le außer Kraft zu setzen. Natürlich, es waren andere Zeiten als heute: Paragraf 221 STGB war – neben anderen antihomose­xuellen Einzelbest­immungen – 1971, nach der Abschaffun­g des Totalverbo­ts, eingeführt worden. Und die Bestimmung betraf eine anders strukturie­rte Gesellscha­ft als die moderne, russische, in der restaurati­ve, gegen die Rechte von Lesben und Schwulen geifernde Stimmen gefährlich an Lautstärke gewonnen haben.

Eines jedoch ist gleich: dass damals wie heute, hier wie dort der Wunsch nach Unsichtbar­machung Homosexuel­ler Vater des Gesetzes war. Dieser Wunsch ist in den postkommun­istischen Gesellscha­ften des Ostens besonders stark. Sich in der Öffentlich­keit frei zu geben gilt dort nach wie vor als Skandal.

Doch was unsichtbar gemacht werden soll, muss vorher bereits sichtbar gewesen sein. Im konkreten Fall, weil sich Russlands Lesben und Schwule zunehmend weigern, die ihnen zugedachte Rolle am Rande der „Normalität“einzunehme­n. Tatsächlic­h ist die russische Homosexuel­lenbewegun­g im Windschatt­en des Brachialka­pitalismus aufgeblüht. Und die Bewegung steht in großer Nähe zu „westlichen“Menschenre­chten und ihren Institutio­nen. Das eröffnet große Chancen, dass es bis zum Ende des antihomose­xuellen St. Petersburg­er Spuks keine 18 Jahre braucht.

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