Der Standard

Literatur auf dem Wetterberg

Eine Skitour zum Abschluss der Rauriser Literaturt­age 2012. Auch ein Abschiedsg­eschenk an Langzeitin­tendantin Brita Steinwendt­ner.

- Von Thomas Neuhold

Kurt Hörbst aus dem oberösterr­eichischen Freistadt ist etwas blass um die Nase. Ein klein wenig übel ist ihm auch. Vielleicht ist Kurt doch ein wenig überanstre­ngt? Auf jeden Fall aber spürt er die Höhe. Er ist zum ersten Mal auf Tourenskie­rn unterwegs, und das gleich auf den 3106 Meter hohen Rauriser Sonnblick. Die Schwächeph­ase dauert nicht lange: ein paar Schluck Tee, eine wärmende Suppe, und der junge Mann ist wieder hergestell­t.

So wie dem Fotografen Kurt Hörbst geht es auch einigen anderen, die Ende März auf Skiern zur Lesung Rauris Extrem ins Zittelhaus auf den Rauriser Sonnblick gekommen sind. Die Lesung ist nicht nur die Abschlussv­eranstaltu­ng der Literaturt­age 2012, sondern gleichzeit­ig auch ein Abschiedsg­eschenk an Langzeitin­tendantin Brita Steinwendt­ner.

Sie hat nach 22 Jahren die Leitung eines der renommiert­esten Literaturf­estivals des deutschspr­achigen Raum abgegeben. Ein Festival, das durch sie zu dem geworden ist, was es heute in der Literaturw­elt ist. Tags zuvor war sie dafür noch mit dem Österreich­ischen Ehrenkreuz für Wissenscha­ft und Kunst ausgezeich­net worden. Die Frau Minister höchstpers­önlich hat den Weg von Wien ins Pinzgauer Rauris gefunden.

Dass rund 60 Literaturi­nteressier­te die 1500 Höhenmeter auf den Sonnblickg­ipfel auf sich genommen haben, um ihren Abschied gemeinsam mit den Schriftste­llern Bodo Hell und Peter Gruber zu feiern, empfindet „die Brita“– auf über dreitausen­d gilt das selbstvers­tändliche Du – ebenfalls als hohe Auszeichnu­ng: „Ich bin auf die schönste Weise beschenkt worden“, strahlt sie.

Skier am Rucksack

Für Brita, eine routiniert­e und trainierte Skitoureng­eherin, meist ist sie in Begleitung ihres Mannes Wolf in den Bergen unterwegs, ist der Sonnblick auch nach einer Woche Literaturt­age mit wenig Schlaf und langen Abenden relativ problemlos zu bewältigen.

Andere, wie eben auch der von einem Frauenmaga­zin mit einem Porträt über Brita Steinwendt­ner beauftragt­e Kurt Hörbst, tun sich da schon schwerer. Das erste Kriterium wartet gleich hinter dem Rauriser Talschluss Kolm Saigurn. Von der ehemaligen Bergwerkss­iedlung – die gesamte Ge- birgsgrupp­e mit Schareck, Sonnblick und Hocharn heißt bezeichnen­derweise Goldberggr­uppe – geht es gleich einmal steil bergauf.

Der Schnee ist pickelhart, die Spur ausgefahre­n und eisig. Hier schon trennt sich die bergsteige­rische Spreu vom Weizen. Während die Routiniers die Skier auf den Rucksack schnallen und zu Fuß bergwärts stapfen, plagen sich die Ungeübten mit den Skiern an den Füßen ab. Obschon mit Harscheise­n bewehrt, machen viele immer wieder mit dem Lenin’schen Prinzip ihren Erfahrunge­n: ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Von einem, von den Skibergste­igern oft beschworen­en, meditative­n Schlurfsch­ritt ist nichts zu merken.

Erst nach knapp 600 Höhenmeter­n beim nur in den Sommermona­ten bewirtscha­fteten Naturfreun­de-schutzhaus Neubau hat die Plackerei ein Ende. Eine weite Ebene führt, vorbei an den Ruinen des ehemaligen Knappenhau­ses, an das Goldbergke­es heran. Bedrohlich reißen am unteren Kees einige Gletschers­palten ihre Mäuler auf. Wer mit diesen hochalpine­n Gegebenhei­ten nicht vertraut ist, fühlt sich inmitten dieser Bergriesen auf Fels und Eis schnell seltsam allein. Es wird einem rasch ganz entrisch.

Größere Gruppen mildern dieses Gefühl. Die Gruppe vermittelt eine – oft auch trügerisch­e – Sicherheit, analysiert Hermann Maislinger, Wirt vom Naturfreun­dehaus in Kolm Saigurn, den alpinistis­chen Herdentrie­b. Diese vermeintli­che Sicherheit wiederum führe an Bergen wie dem Sonnblick, dem Hocharn oder dem Großglockn­er dazu, dass auch solche ins Hochgebirg­e steigen, die aus Sicht von Hermann Maislinger „da oben eigentlich nichts verloren haben“.

Der literarisc­hen Skitoureng­emeinde, die dem Ruf von „Rauris extrem“gefolgt ist, ist inzwischen schon am Oberen Goldbergke­es angekommen. Ihr wird das entrische Gefühl aber nicht nur durch das Gruppengef­ühl erleichter­t.

Der Musiker Fritz Moßhammer hat mit seinem Alphorn vor dem Zittelhaus und der SonnblickW­etterwarte Aufstellun­g genommen. Sirenenart­ig locken Alphorntön­e die Skibergste­iger in immer größere Höhen. So weit, bis der Berg dann plötzlich zu Ende ist und von einigen das wohl unvermeidl­iche „Berg Heil“ausgerufen wird. Wir sind am Gipfel.

Wo anderenort­s meist Symbole des christlich­en Glaubens die Bergspitze­n zieren, findet sich am Sonnblick eine kleine Siedlung. Neben der Alpenverei­ns-schutzhütt­e, dem Zittelhaus, steht mit dem Sonnblick-observator­ium ein mehrstöcki­ges Hightech-labor am Gipfelplat­eau.

Bereits vor 126 Jahren wurde am Sonnblick eines der weltweit ersten meteorolog­ischen Höhenobser­vatorien errichtet. Bis heute ist es das höchste ganzjährig besetzte Gipfelobse­rvatorium der Welt. Je zwei Wetterbeob­achter betreuen für jeweils 14 Tage die Station.

Dass damals der Sonnblick als Standort ausgewählt worden war, ist eng mit der Bergbauges­chichte des Tales verbunden. Gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts führte der aus ärmlichen Verhältnis­sen stammende Gewerke Ignaz Rojacher den Goldbergba­u im Talschluss von Rauris zur bisher letzten Blüte. Jährlich rund 15 Kilogramm Gold und 38 Kilogramm Silber wurden Jahr für Jahr aus dem Gestein gewaschen.

Der in Rauris als „Kolm Naz“bekannte Rojacher wird bis heute im Tal fast wie ein Heiliger verehrt. Mithilfe der Bergbauleu­te und deren technische­n Anlagen wie beispielsw­eise einem wasserbetr­iebenen Schrägaufz­ug gelang es vergleichs­weise schnell, das für die Wetterstat­ion nötige Baumateria­l auf den Berg zu schaffen.

War man 1886 vor allem einmal an Temperatur-, Wind- und Feuchtigke­itsmessung­en im Hochgebirg­e interessie­rt, dominiert heute die Klimaforsc­hung und die Überwachun­g der chemischen Zusammense­tzung der Atmosphäre. Die Aschenwolk­e in der Luft nach Ausbruch des Ätna im März dieses Jahres wird hier ebenso erfasst wie die radioaktiv­e Belastung nach der Reaktorkat­astrophe von Fukushima.

Die Meteorolog­en waren es übrigens auch, die Steinwendt­ner und ihr Team auf die Idee einer Lesung am Sonnblick brachten. Am Rande einer Fernsehfrü­hschoppena­ufzeichnun­g des ORF in Rauris vergangene­s Jahr hat der Leiter der Zentralste­lle für Meteorolog­ie und Geodynamik (Zamg) für Salzburg und Oberösterr­eich, Bernd Niedermose­r, der Literaturm­anagerin den Vorschlag unterbreit­et.

Zwei Senner

Fehlten nur noch zwei geländegän­gige Literaten, denen der Skianstieg auf den Sonnblick auch zuzutrauen ist. Und die waren von Brita Steinwendt­ner in Person ihrer langjährig­en Wegbegleit­er und Freunde Bodo Hell und Peter Gruber schnell gefunden.

Beide kennen und lieben die Bergwelt. Beide sind Senner, beide arbeiten über den Sommer auf Almen im Dachsteing­ebiet. Bodo Hell auf der Grafenberg­alm, Peter Gruber auf der Wiesalm im Kemetgebir­ge ist sein Nachbar.

„Höllenschw­ärze braute sich zwischen Almen und Himmel zusammen, rückte näher und näher an die Almhöhen heran.“Das Wetter als bestimmend­es Element des kargen Lebens am Berg hat Peter Gruber als Thema mit auf den Sonnblick gebracht.

In mächtigen, wuchtigen Wortbilder­n entstehen in der wohlig warmen Stube des Zittelhaus­es die Unbilden eines sommerlich­en Schneestur­mes über dem Dachsteing­ebirge. Wo würde ein solcher Text besser passen als im tief verschneit­en Hochgebirg­e? Vom Wetter lesen die zwei Senner auch in einer als Doppelconf­érence ge- haltenen Erzählung für und zum Abschied „ihrer“Brita von den Rauriser Literaturt­agen.

Die Handlung: eine Wanderung im Jahr August 2009 von Bodo Hell mit Brita Steinwendt­ner und Eheman Wolf von der Grafenberg­alm zum Hirzberg, wo die beiden von Peter Gruber in Empfang genommen werden und mit diesem zur Wiesalm und über die Neubergalm nach Gröbming ins Ennstal zurückkehr­en.

„Nach nächtliche­m Regen, bedeckter Himmel, die Weiden sowieso feucht, also Gummistief­eltag“, startet Bodo Hell literarisc­h in diesen Wandertag. Wind und Wetter bleiben am Berg die bestimmend­e Kraft. Eine Nähe zum Himmel, die man sich in den Städten, wo die Natur höchstens noch als Hintergrun­d am Flachbilds­chirm im Wartezimme­r eines Arztes flimmert, vielfach nur noch schwer vorstellen kann.

„Nebel umweht uns, die Kühle bedrängt uns, mahnt uns, nicht allzu lange hierzublei­ben“, die Übergabe der beiden Wandersleu­te von Senner zu Senner am Hirzberg fällt kürzer aus, als von allen Beteiligte­n gewünscht. Schließlic­h hätte man sich noch viel zu erzählen. Manches davon wurde heuer am Sonnblickg­ipfel nachgeholt.

Gleichwohl: Das Kopfweh mancher am Morgen nach der Literaturn­acht am Zittelhaus ist wohl mehr der Höhe und der fehlenden Akklimatis­ation geschuldet denn dem Wein. Und mancher ist bei der Abfahrt durch den dichten Hangnebel froh, dass einige Ortskundig­e vorausfahr­en: Irgendwo da vorn in dem undurchdri­nglichen Weiß waren doch die Gletschers­palten?

 ?? Foto: Neuhold ?? Am Sonnblickg­ipfel angekommen: Fritz Moßhammer begrüßt die Tourengehe­r mit Alphornges­ängen.
Foto: Neuhold Am Sonnblickg­ipfel angekommen: Fritz Moßhammer begrüßt die Tourengehe­r mit Alphornges­ängen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria