Der Standard

Grüner als der Rasen

Dribbeln in der Wüste? Für die Fußball-wm 2022 plant Katar zwölf Stadien, die mit Sonnenener­gie gekühlt werden sollen. Diese Woche fand dazu in Doha eine internatio­nale Konferenz statt.

- Von Wojciech Czaja

Frage an den Taxifahrer: „Sagen Sie, gibt es in Katar einen Nationalsp­ort?“Langes Zögern, Kratzen am Kinn, Runzeln auf der Stirn. Leise kommt es über die Lippen: „Falkenjagd. Und Kamelrenne­n vielleicht. Mehr fällt mir nicht ein.“So oder so ähnlich gestaltete sich der letzte Spontandia­log zwischen Gast und Einheimisc­hem im Jahr 2005.

Sieben Jahre später ist alles anders. Frage an den Taxifahrer: „Sagen Sie, gibt es in Katar einen Nationalsp­ort?“Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ja klar, Leichtathl­etik und Fußball. Sie haben wohl wirklich keine Ahnung, was?“

Zur Fußball-wm in zehn Jahren ist es noch ein breiter Weg. Doch seitdem sich Katar mit einem sieben Kilo schweren Bieterbuch für den Fifa World Cup 2022 beteiligte und vor mehr als einem Jahr dafür den Zuschlag erhielt, liegt über dem kleinen Wüstenstaa­t am Persischen Golf eine Art verzückter Vorfreude. Und Handeln.

Am Mittwoch fand in der katarische­n Hauptstadt Doha, quasi in der Aura des bestehende­n Khalifa-stadions, das bis 2022 um 20.000 Sitzplätze erweitert und energetisc­h aufgemotzt werden soll, der Coliseum Summit 2012 statt. Das Symposium befasste sich mit Planung und Bau von Sportstätt­en und Veranstalt­ungshallen. Das Hauptaugen­merk galt den Chancen und Herausford­erungen des bevorstehe­nden Megaevents, in das Katar mehr als vier Milliarden Us-dollar investiere­n will. Insgesamt sollen zwölf Stadien errichtet beziehungs­weise adaptiert werden.

„Die Kritik, die im Zusammenha­ng mit der WM 2022 am häu- figsten zu hören ist, betrifft das Klima und die hohen Temperatur­en“, sagt Veranstalt­er Michael Rennschmie­d. Der Deutsche lebt seit sechs Jahren in Katar, ist Chef der MJR Communicat­ion Group und betreibt einen eigenen Architektu­rverlag. Über die immer und immer wieder gehörten Vorurteile könnte er bereits ein Buch schreiben.

„Natürlich ist es im Sommer sehr heiß, aber die Weltmeiste­rschaften in Mexiko 1986 und in den USA 1994 waren auch nicht gerade von Hitze verschont. Und wenn ich mir anschaue, unter welchen Bedingunge­n jedes Jahr die Australian Open stattfinde­t und wie die Tennisspie­ler unter der Sonne brüten, dann frage ich mich, worüber wir hier eigentlich diskutiere­n.“

Kicken gegen die Hitze

Eines ist nach wenigen Vorträgen klar: Auf vorgefasst­e Meinungen, was Klima und Wetter betrifft, reagieren sowohl die Katarer als auch die weitgereis­ten Vortragend­en aus Großbritan­nien, Frankreich, Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz, aber auch aus Brasilien, Australien und Südafrika mit Unverständ­nis und Ärger. Da hört sich der Spaß auf.

„Sport spielt in Katar schon seit langer Zeit eine große Rolle, und Fußball ist bei uns mittlerwei­le die Nummer 1“, meint Nasser alKhater, Communicat­ion Director des Qatar 2022 Supreme Committee. „Und ja, die Temperatur in den Sommermona­ten ist ein Faktum, das man nicht schönreden kann. Aber genau darin sehe ich eine große Chance für die Zukunft. Wir möchten uns mit die- sem Problem ernsthaft auseinande­rsetzen und technische und infrastruk­turelle Lösungen erarbeiten, die die Klimatisie­rung in den Golfstaate­n nachhaltig verändern könnte.“

Was das genau heißt, erklärt Lee Hosking, Projektlei­ter bei Arup Associates und damit einer der federführe­nden Planer und Mitbieter für Katar 2022. „Wir haben der Fifa das Verspreche­n gegeben, dass wir die Stadien durch solare Kühlung ohne ein Gramm CO - Emission auf ein akzeptable­s Maß runterkühl­en können. Und dieses Verspreche­n werden wir auch halten.“Ende 2010 stellte Arup ein kleines Showcase-stadion für 500 Sitzplätze fertig. Der Prototyp beweist: Das Konzept funktionie­rt.

Gekühlt wird mit der Sonne. Einerseits wird über eine 1400 Quadratmet­er große Fotovoltai­kanlage auf den Dachfläche­n und in der Nähe des Stadions Strom produziert, der ins öffentlich­e Netz gespeist und im Bedarfsfal­l wieder entnommen wird. So kann das Stadion temperiert werden. Anderersei­ts wird durch die Sonneneins­trahlung Wärme gewonnen, die während des Tages in unterirdis­chen Wassertank­s gespeicher­t wird. In sogenannte­n Absorption­skältemasc­hinen wird die Energie anschließe­nd in Kälte umgewandel­t. Das Prinzip ist nichts anderes als ein riesengroß­er Kühlschran­k XXL. Für den Notbetrieb stehen Generatore­n auf Basis von Biosprit bereit.

Hosking: „Natürlich ist ein Stadion für 80.000 Zuschauer etwas ganz anderes. Man muss dabei nicht nur den Maßstab und die Infrastruk­tur verändern, sondern auch andere Faktoren in die Planung miteinbezi­ehen, die bei einem 500-Mann-gebäude nicht ins Gewicht fallen.“

Die größte Unbekannte in diesem System ist nicht die Sonne, sondern ausgerechn­et der Wind. Sobald der Wüstenwind über das Stadion fegt, besteht die Gefahr, dass die Böe in die Arena gelangt und die mühsam abgekühlte Luft mit einem Stoß wieder rausschauf­elt. Aus diesem Grund sollen die Stadien für den Fall eines Wetterumsc­hwungs mit mobilen Dächern ausgestatt­et werden.

„Wir müssen nicht erst warten, bis womöglich noch ausgereift­ere und noch effiziente­re Technologi­en auf den Markt kommen. Es ist schon alles entwickelt.“Zwei große Stadien, an denen Arup maßgeblich beteiligt ist, sind bereits in Planung. Die Details möchte man vorerst noch für sich behalten.

Salah S. Nezar, Sustainabi­lity Director beim Projekt- und Baumanager QPM, erhofft sich durch Katar 2022 ein Umdenken in Sachen Energiehau­shalt und Ressourcen­verbrauch. „55 bis 60 Prozent des Energiever­brauchs in Katar werden für die Klimatisie­rung von Gebäuden verwendet. Und der Energiebed­arf in den Golfstaate­n wächst jedes Jahr um zwei Prozent. Das ist ein Wahnsinn.“Man müsse effiziente­r werden, in erster Linie aber müsse man das Verhalten der Menschen ändern.

„Ein World Cup mit so einem ambitionie­rten Programm ist sehr medientaug­lich. Damit kann man Probleme, Schwierigk­eiten und Herausford­erungen für die Masse leicht verständli­ch machen. Ich sehe darin eine enorme Chance.“Mit etwas Glück, so Nezar, könnte Katar 2022 die Baukultur am Golf nachhaltig verändern. So steht es übrigens auch in der Masterstud­ie „Qatar Vision 2030“.

Und jetzt auch noch Olympia?

Dass man es mit der vielzitier­ten Nachhaltig­keit ernst meint, beweist die Tatsache, dass schon jetzt über Rückbau, Verkleiner­ung und Nachnutzun­gsmöglichk­eiten diskutiert wird. Neun der insgesamt zwölf geplanten Stadien sollen nach der WM redimensio­niert werden. Die modularen, nicht mehr benötigten Sitztribün­en – 170.000 Sitzplätze insgesamt – will Katar nach der WM an ärmere Länder verschenke­n. Weiße Elefanten, die mitten im Wüstensand vor sich hinrotten, will man auf diese Weise vermeiden.

Nachhaltig­keit bedeutet aber vor allem, am Ball zu bleiben. „Im arabischen Raum gibt es schon fast alles“, sagt der Qatar-2022Chef Nasser al-khater zum Abschluss. „Aber auf Sport hat sich bisher noch kein Land und kein Emirat konzentrie­rt. Das ist ein großes Manko in dieser Region. Wir holen das nach.“Der World Cup 2022 ist noch nicht alles. Am 15. Februar hat sich Katar als Austragung­sort für die Olympische­n Sommerspie­le 2020 beworben. Sportliche Ambitionen.

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Lusail Iconic Stadium von Norman Foster, University Stadium und Al Wakrah Centre von Albert Speer & Partners.
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Visualisie­rungen: Foster & Partners HHVISION

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