Der Standard

Ringen um Weltrekord

162 Meisterwer­ke warten „im Kinsky“auf neue Besitzer, darunter eine legendäre Skulptur des Belgiers Georg Minne.

- Von Olga Kronsteine­r

Die Verehrung der Avantgarde war Georg Minne gewiss, sowohl in Brüssel als auch in Wien. Insofern könnte bissige Schreibe zeitgenöss­ischer Feuilleton­isten sogar als Rarität gewertet werden. Etwa jene von Ludwig Hevesi, selbst Förderer der Wiener Secession, der die der Figurengru­ppe der knienden Jünglinge (VIII Secessions­ausstellun­g) 1900 als „dürre, grätige, eckige Asketenpla­stik“bezeichnet. Die Gestalten bestünden „größtentei­ls aus Röhrenknoc­hen und Muskelschw­und“, seien wohl von Büßern abstammend­e, geborene Spezialist­en, „die auf den Knien heilige Berge empor rutschten“.

Von derlei Häme völlig unberührt blieb eine eingeschwo­rene Sammlergem­einde, zu der auch Fritz Wärndorfer, Industriel­ler und Mitbegründ­er der Wiener Werkstätte, zählte. In dessen Kollektion befanden sich (u. a.) elf Skulpturen des Belgiers in Stein und Marmor, die zum Teil auf historisch­en Fotos zu erkennen sind, etwa auch die Marmorgrup­pe Solidarité: Auf einer Interieur-aufnahme des Ww-büros von 1905 thront die um 1898 entworfene Allegorie der Brüderlich­keit auf einem Regalaufsa­tz. Spätestens als Wärndorfer 1914 in die USA auswandert­e, verkaufte er die knapp 68 cm hohe Gruppe. 1926 findet sie sich als Ringende Knaben tituliert im Nachlass von Carl Reininghau­s, nun fanden KinskyExpe­rten sie in einer deutschen Privatsamm­lung.

Der Künstler als Henker

Im Zuge der 90. Kunstaukti­on (17. 4.) gelangt das symbolisti­sche Meisterwer­k als eines von insgesamt 162 zur Versteiger­ung und könnte Basis seiner kunsthisto­rischen Bedeutung wohl in den Bestand eines internatio­nalen Museums wechseln. Entspreche­nd den Erwartunge­n des Verkäufers müsste das Ankaufsbud­get in der Gegend um die 200.000 bis 350.000 Euro liegen. Ein Zuschlag in dieser Preiskateg­orie läge bereits über dem 2011 weltweit in Auktionen verzeichne­ten Umsatz (166.230 Euro exkl. Aufgeld), bei dem Belgien mit einem Anteil von 33 Prozent vor den Niederland­en (22 Prozent) und den USA (13 Prozent) führend ist. Dazu befindet sich dieser Minne auf Rekordkurs: Den bislang höchsten Wert verzeichne­te Christie’s 2009 in Amsterdam mit 217.000 Euro für eine 78 cm hohe und 1901 ausgeführt­e Marmorvers­ion eines Knienden.

Zu Solidarité war Minne über ein Denkmal für den in Flandern berühmten Sozialdemo­kraten Jan Volders inspiriert worden. Neben mehreren Bronze- und einem Gipsguss sind nur drei Ausführung­en in Marmor bekannt, zwei davon in amerikanis­chem bzw. tschechisc­hem Museumsbes­itz.

Am drei Meter hohen Original soll der Bildhauer mehr als sechs Monate gearbeitet haben. Seine Hoffnung, die belgische Arbeiterpa­rtei dafür zu begeistern, erfüllte sich nicht. Laut Henry van de Velde sorgte der erbitterte Minne persönlich für die unwiderruf­liche Hinrichtun­g seiner Schöpfung, in dem er die Figurengru­ppe zerstörte.

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