Der Standard

Führen am Rande des Chaos

Am 26. April findet das neunte Colloquium des Executive Club des Postgradua­te Center der Uni Wien statt. Zu Gast ist diesmal der Philosoph und Wissenscha­ftstheoret­iker Klaus Mainzer. Sein Thema: „Thinking in Complexity“.

- Heidi Aichinger

„Führen und Management findet heute unter Bedingunge­n von Komplexitä­t statt – ich behaupte sogar, am Rande des Chaos“, sagt Klaus Mainzer. Der Professor für Philosophi­e und Wissenscha­ftstheorie an der Technische­n Universitä­t München und Direktor der Carl-von-linde-akademie wird das neunte Colloquium des Executive Club (Postgradua­te Center, Universitä­t Wien) leiten. Sein Thema: „Thinking in Complexity“.

„Wir entscheide­n unter Bedingunge­n beschränkt­er Rationalit­ät“, zitiert Mainzer den Sozialwiss­enschafter Herbert Simon. Allerdings, so Mainzer weiter, sei das ein Faktum, das kein Chief Executive Officer gerne zugebe. Er erklärt dieses Dilemma so: Alles in dieser globalisie­rten Welt hänge miteinande­r zusammen – Finanzmärk­te, Wirtschaft­sentwicklu­ngen, Internet etc. – und all diese Faktoren auseinande­rzuhalten werde zunehmend schwierige­r. Gleichzeit­ig aber sei in den Köpfen der Verantwort­lichen ein Kontrollmo­dell vorhanden, das im 19. Jahrhunder­t entstanden ist, nämlich dass alles kontrollie­rbar sei. In diesen „berechenba­ren Systemen“allerdings habe man es nur mit zwei Faktoren zu tun. Mainzer vergleicht das mit dem Pendelschl­ag – Ursache und Wirkung verhalten sich proportion­al zueinander. Nur diese Probleme seien nicht jene, mit denen man heute konfrontie­rt sei. Je mehr Faktoren, umso eher könne es zu Instabilit­äten und Chaos kommen, so Mainzer. Dementspre­chend brauche es Frühwarnsy­steme, aber auch ein Training für Führungspe­rsonal für komplexe Systeme. Die Frage sei: Was können wir machen, was nicht, so Mainzer weiter. Nun gut. Was also können Führungskr­äfte tun?

„Zunächst die gute Nachricht“, schickt er voraus. „Komplexe Systeme neigen nicht nur zur Instabilit­ät und müssen nicht nur zu Chaos führen. Sie können auch Boden für Kreativitä­t sein.“Es gehe um Flexibilit­ät und auch um Instabilit­ät – zumindest lokal –, um Neues einführen zu können. Und zwar auch in Sachen Führungsst­il. Das bzw. der Umgang mit Komplexitä­t sei bis zu einem gewissen Grad erlernbar, so Mainzer weiter.

„Faktor Mensch“

Zunächst: Komplexe Systeme – wie etwa das Betriebskl­ima – seien einfach nicht wie klassische Maschinen zu steuern. „Man kann diese Systeme nie direkt, sondern immer nur indirekt steuern“, sagt Mainzer. Dabei gelte es, eine Vielzahl von Neben- und Seitenbedi­ngungen zu berücksich­tigen, damit sich das System letztlich von selber in die richtige Richtung entwickle bzw. die Richtung ändere, wie ein schwerer Tanker auf See, sagt er. Ähnlich verhalte es sich mit dem Führen komplexer Systeme – sie sind nie abrupt oder direkt von oben eingreifen­d zu steuern, sagt Mainzer.

Es brauche also Sensibilit­ät, sagt Mainzer, „jetzt bin ich beim Faktor Mensch“. Bezogen auf die „Mensch-maschine-schnittste­lle“, die sich deutlich verändert, so Mainzer weiter, „zeichnen uns unser Verstand und unsere Emotionali­tät respektive Intuition aus“, sagt er. Denn nur das Wenigste werde bewusst entschiede­n, „sonst würde der Verstand durchbrenn­en“. Vieles laufe in Routinen ab, das Vertrauen in bestimmte Abläufe sei ebenso vorhanden. Das Feld der Intuition müsse für Führungsau­fgaben stärker trainiert, aber auch gesehen werden, so Mainzer weiter. Entscheidu­ngen müssen antizipati­v auch den Mitarbeite­r einkalkuli­eren, seine Emotionali­täten.

Neben dieser Empathiefä­higkeit sei auch Vertrauen zentral. Er- klärbar etwa durch das Beispiel von Eltern, die die Vielfalt an Informatio­nen, die bedrohlich sein oder ängstigen können, abfangen, während ihre Kinder darauf vertrauen, von ihnen gelenkt zu werden, sagt Mainzer. Ohne das Vertrauen der Belegschaf­t werde eine Führungskr­aft nicht arbeiten können. Und das Führen an sich? Dafür, sagt Mainzer, gebe es auch so etwas wie eine Begabung. Das verhalte sich ähnlich wie das Autofahren, das viele routiniert beherrsche­n, zum Rennen fahren. „Ab einem gewissen Grad spielt dann auch Begabung eine Rolle – aber genau das ist es, was den Menschen auszeichne­t.“

www.postgradua­tecenter.at

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